Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung: Organspende als Arbeitsunfall. Anerkennung eines chronischen Erschöpfungssyndrom als wesentliche Folgen einer Lebendnierenspende
Orientierungssatz
1. Für die Annahme eines Ursachenzusammenhangs zwischen einer Organspende und einem Spätschaden an der Gesundheit des Spenders genügt bereits die Möglichkeit der Schadensentstehung nach medizinisch-empirischen Erkenntnissen, auch wenn die konkrete Krankheitsursache ungeklärt bleibt (hier: chronisches Erschöpfungssyndrom als Folge einer Lebendnierenspende). Ein Vollbeweis der Kausalität ist dagegen nicht erforderlich.
2. Einzelfall zur Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Auftreten eines chronischen Erschöpfungssyndroms als Folge einer Lebendnierenspende (hier: MdE von 20 angenommen).
Tenor
1. Der Bescheid vom 22.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2015 wird dahingehend abgeändert, dass ein Chronisches Erschöpfungssyndrom als wesentliche Folgen des Arbeitsunfalles anerkannt wird.
2. Die Beklagt wird verurteilt, der Klägerin eine Verletztenrente auf Basis einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in Höhe von 2/3 zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Chronischen Erschöpfungssyndroms (CFS) als Unfallfolge bei einer Lebendnierenspende sowie die Gewährung einer Verletztenrente.
Die 1957 geborene Klägerin spendete ihrem Sohn am 23.11.2010 eine Niere. Aus dem Entlassungsbericht der Chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums M. vom 02.02.2011 geht hervor, dass aufgrund von Verwachsungen und enger anatomischer Lage keine komplett laproskopische Entnahme durchgeführt worden sei, sondern eine offene Nephrektomie, bei der sich postoperativ eine Pankreasfistel gezeigt habe.
Am 18.02.2011 zeigte die Krankenversicherung der Klägerin der Beklagten gegenüber das Vorliegen eines Arbeitsunfalles in Form von Komplikationen bei der Nierenspende mit der Folge einer Pankreasfistel an. Die Beklagte bat hieraufhin das Universitätsklinikum M. um Vorlage entsprechender Befundberichte. Mit Schreiben vom 11.04.2011 führte Dr. W., Oberarzt der Chirurgischen Klinik im Universitätsklinikum M., aus, dass die Pankreasfistel als Folge der Nierenentnahme zu sehen sei und diese Erkrankung inzwischen komplett geheilt sei.
Im Bericht vom 19.03.2012 diagnostizierte der Dipl. Psychologe Herr Z. ein Fatigue-Syndrom nach Nierenlebendspende bei der Klägerin. Nach stufenweiser Wiedereingliederung als Sachbearbeiterin in der Stadtverwaltung seit 11.04.2011 werde diese ihren Angaben zu Folge den beruflichen Anforderungen nur noch sehr eingeschränkt gerecht, so dass sie ihre Arbeitszeit habe reduzieren müssen.
Im Bericht des Prof. Dr. Z., Ärztlicher Leiter der Nephrologie des Universitätsklinikums H., vom 21.05.2012 wurde eine unauffällige Nierenfunktion nach Nierenlebendspende festgehalten.
Am 13.06.2012 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie immer noch Beschwerden habe und ihre Arbeitszeit reduziert habe. Sie befinde sich mittlerweile im Universitätsklinikum H. in Behandlung. Sie bat um Mitteilung, welche Unfallfolgen die Beklagte anerkenne. Die Beklagte forderte hieraufhin entsprechende Berichte an.
Mit Schreiben vom 30.07.2012 führten die Ärzte der Chirurgischen Klinik im Universitätsklinikum M. Prof. Dr. P. und Dr. B., aus, dass die Klägerin zuletzt am 27.09.2011 zum Ausschluss einer Narbenhernie vorstellig gewesen und hierbei ein regelrechter Befund erhoben worden sei. In dem Ambulanzbrief des Universitätsklinikums M. vom 24.08.2012 führte Prof. Dr. K. aus, dass sich die Klägerin am 02.03.2011 erstmalig zur internistisch-nephrologischen Nachsorge in der Transplantationsnachsorge-Sprechstunde vorgestellt habe. Zu diesem Termin sowie zu den Wiedervorstellungen am 27.04., 20.05. und 13.07.2011 habe die Klägerin über gelegentliche Müdigkeit und Kopfschmerzen berichtet. Am 16.08.2012 habe die Klägerin über ein insgesamt verschlechtertes Gesamtbefinden mit vermehrter Erschöpfbarkeit, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen berichtet. Das aktuelle, unspezifische Beschwerdebild der Klägerin sei differenzialdiagnostisch am Ehesten funktionell bedingt und gut mit einem Erschöpfungssyndrom zu vereinbaren, welches möglicherweise mit der komplizierten Lebendnierenspende assoziiert sei. Als weitere psychosomatische Auslöser müssten differenzialdiagnostisch sowohl die langjährige, intensive Pflege des schwer körperlich behinderten und schwer nierenkranken Sohnes, als auch eine berufliche Stresssituation im Sinne einer psychosozialen und sozioemotionalen Belastungsreaktion bzw. einer Somatisierungsstörung diskutiert werden. Aufgrund des aktuell erhöhten Leidensdrucks und der zunehmenden Beeinträchtigung der Klägerin sei ein stationäres psychosomatisches Rehabilitationsverfahren zur gesundheitlichen Rekonvaleszenz und zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit zu empfehlen. Auf Anfrage der Beklagten führte d...