Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. neue Operationsmethode. Lipofilling zur Brustangleichung nach Krebserkrankung. Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative. theoretisches Rezidivrisiko keine medizinische Kontraindikation. gesteigerte Aufklärungspflicht der Krankenhausärzte
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Lipofilling als Potentialbehandlungsmethode im Sinne von § 137c Abs 3 SGB 5.
2. Das mit der Behandlungsmethode des Lipofilling ggf verbundene theoretische Risiko eines Rezidivs der Krebserkrankung stellt keine medizinische Kontraindikation dar. Es wird jedoch eine gesteigerte Aufklärungspflicht der Krankenhausärzte ausgelöst (zum Umfang der Aufklärungspflicht: BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R = BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 34 ff).
Tenor
1. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 23.04.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2021 verurteilt, die Klägerin mit einer stationären Krankenhausbehandlung zur Brustangleichung rechts mittels Lipofilling zu versorgen.
2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Zwischen Beteiligten ist die Versorgung der Klägerin mit einem Lipofilling zur Brustangleichung rechts streitig.
Die 1964 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert.
Bei der Klägerin besteht ein Zustand nach einem Mamma-Carzinom links (Erstdiagnose 2008), einem Rezidiv des Mamma-Carzinoms links im Jahr 2015 und einem Mamma-Carzinom rechts (Erstdiagnose 2018).
Zur Therapie dieser Erkrankungen fand im Jahr 2008 zunächst eine brusterhaltende Therapie mit Axilladissektion links statt. Es wurden sodann 2 Nachresektion mit brustwarzenerhaltender Mastektomie und Brustrekonstruktion mittels Latissimus-Dorsi -Lappen Plastik und Protheseneinlage links erforderlich.
Im Juni 2013 fand eine angleichende Mamma-Reduktionsplastik rechts statt.
Nach dem Auftreten des Lokalrezidivs links fand eine Tumorexstirpation sowie ein Prothesenwechsel statt.
Nach der Erstdiagnose des Mamma-Karzinoms rechts wurde eine brustwarzenerhaltende Mastektomie rechts mit Prothesenrekonstruktion durchgeführt.
Wegen einer Kapselfibrose mussten die Implantate am 17.09.2020 entfernt werden. Es wurde Wiederaufbau der Brüste mittels Doppel-DIEP-Lappenplastik durchgeführt.
Mit Schreiben vom 16.02.2021 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf die Versorgung mit Operationen zur Korrektur der bestehenden Narben und der starken Asymmetrie der Brüste.
Mit dem Antrag überreichte die Klägerin einen Arztbericht der B Klinik L vom 24.11.2020. In dem Arztbericht war aufgeführt, dass bei der Klägerin eine Asymmetrie der Mammae (links größer rechts) bestehe. Darüber hinaus seien an der abdominalen Narbe beidseits kleine Dog Ears vorhanden. Als Korrekturoperationen wurden in dem Arztbericht die Narbenkorrektur oder das Lipofilling genannt.
Im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens legte die Klägerin mit E-Mail vom 18.03.2021 einen Arztbericht der B Klinik L vom 25.02.2021 vor. In dem Arztbericht war als Therapievorschlag ein mehrzeitiges Vorgehen enthalten. Zunächst solle eine Resektion der schmerzhaft adhärenten Narben an beiden Brüsten sowie des dog ear am Bauch erfolgen. Im weiteren Verlauf sei ein Lipofilling der rechten Brust zum Ausgleich des Größenunterschieds zur linken Seite indiziert.
Die Beklagte holte am 19.04.2021 ein Gutachten bei dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung R (MDK) ein. In diesem gab die Ärztin im MDK K an, dass die Narbenresektion medizinisch indiziert sei. Gleichfalls sei die Resektion des Dog-Ears medizinisch erforderlich.
Das beantragte Lipofilling könne aus sozialmedizinischer Sicht jedoch nicht befürwortet werden. Zum einen fehle es im Hinblick auf das langfristige ästhetische Ergebnis an evidenzbasierten Studien. Um zu überleben sei es für die eingebrachten Fettzellen erforderlich, Anschluss an das lokale Blutgefäßsystem zu finden. Da dieser Vorgang limitiert sei, könne es durch absterbende Fettzellen zu sog. „Ölzysten “, Verkalkungen und schmerzhaften Verhärtungen kommen. Im Übrigen werde durch die Verkalkungen die spätere Kontrolle auf fragliche Tumorrezidive erschwert.
Es bestehe weiterhin das Risiko, dass bei der Fett-Absaugung freie Stammzellen aus dem Gewebeverband herausgelöst werden. Dadurch bestehe ein theoretisches Risiko für eine erneute Krebserkrankung. Es liege keine Studie vor, welche die Unbedenklichkeit der Einbringung von freien Fettzellen und damit auch von Stammzellen in zuvor krebsbelastetes Gewebe belege.
Mit Bescheid vom 23.04.2021 übernahm die Beklagte die Kosten für die beantragte Narbenkorrektur im Brust- und Bauchbereich. Es wurden auch die Kosten für die Angleichung der rechten Brust übernommen. Eine Kostenübernahme für die beantragte Methode des Lipofilling wurde durch die Beklagte jedoch abgelehnt.
Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass es sich bei dem Lipofilling um eine nicht anerkannte Behandlungsmethode handele, bei der gesundheitli...