Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung: Übernahme von Behandlungskosten für eine minimalinvasive adipositaschirurgische Maßnahme. Genehmigungsfiktion bei Nichtentscheidung eines Antrags auf Leistungsgewährung. Zulässigkeit eines Naturalleistungsanspruchs bei Umsetzung einer Genehmigungsfiktion

 

Orientierungssatz

1. Erfolgt die Genehmigung einer medizinischen Behandlung (hier: minimalinvasive adipositaschirurgische Maßnahme) durch die gesetzliche Krankenkasse aufgrund der Genehmigungsfiktion nach nicht rechtzeitig beschiedenem Antrag auf Leistungsgewährung, kommt es nicht darauf an, ob die Leistung im konkreten Einzelfall erforderlich ist.

2. Auch dann, wenn die Pflicht zur Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenkasse allein aus der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB 5 wegen nicht rechtzeitig entschiedenem Leistungsantrag resultiert, besteht gegen die gesetzliche Krankenkasse ein Naturalleistungsanspruch, nicht lediglich ein Kostenerstattungsanspruch.

3. Auch eine aufgrund der gesetzlichen Fiktion in § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB SGB 5 anzunehmende Genehmigung einer medizinischen Versorgung eines Patienten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt wirksam bestehen, solange und soweit diese Genehmigung nicht zurückgenommen bzw. widerrufen wurde oder sich anderweitig erledigt hat.

4. Einzelfall einer Genehmigungsfiktion zur Übernahme der Kosten für eine minimalinvasive adipositaschirurgische Maßnahme.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin mit einer minimalinvasiven adipositaschirurgischen Maßnahme als Sachleistung zu versorgen.

2. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Versorgung mit einer minimalinvasiven adipositaschirurgischen Maßnahme.

Die 1960 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Die Klägerin wog bei einer Körpergröße von 1,45 m im Jahr 2013 etwa 120 kg und wiegt derzeit 127 kg. Damit besteht eine Adipositas permagna mit einem Body Maß Index (BMI) von 57,1 kg/m² (2013) bzw. aktuell 60,4 kg/m². Außerdem leidet die Klägerin an arterieller Hypertonie, einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom mit CPAP-Beatmung, Insulinresistenz, Asthma bronchiale und Polyarthrose. Inwieweit bei der Klägerin eine manifeste psychische Erkrankung vorliegt, ist derzeit unklar. In der Vergangenheit waren unter anderem eine Angststörung (Oktober 2013), eine depressive Entwicklung (August 2013) und eine Essstörung (2011) attestiert worden. Die Klägerin hatte sich bis 2012 in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Die Klägerin nahm verschiedentlich an Ernährungsberatungen teil, außerdem an einer Selbsthilfegruppe Adipositas-Chirurgie im Universitätsklinikum M.

Am 02.10.2013 wurde durch den Facharzt für Chirurgie und Viszeralchirurgie Dr. B., den Facharzt für Chirurgie Dr. O. sowie die Fachärztin für Chirurgie und Gefäßchirurgie Dr. G. vom Universitätsklinikum M. ein bariatrisches Gutachten zur Frage nach Therapiemöglichkeiten zur Adipositasbehandlung erstellt. Danach bestehe die Indikation für eine bariatrische Operation zur Behandlung der morbiden Adipositas. Kontraindikatoren wie instabile psychopathologische Zustände, aktive Substanzabhängigkeit, unbehandelte Bulimia nervosa, konsumierende Grunderkrankungen und Neoplasien oder chronische Erkrankungen wie zu Beispiel Leberzirrhose lägen nicht vor.

Am 14.11.2013 formulierte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese einen an die Beklagte gerichteten Antrag auf Gewährung einer minimalinvasiven adipositaschirurgischen Maßnahme als Sachleistung. Medizinische Berichte und das Gutachten waren beigefügt. In Anbetracht des Body Maß Index bestehe eine primäre Indikation für eine Operation. Das Antragsschreiben wurde vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14.11.2013 ausweislich eines Sendeberichts per Fax an eine Nummer gesendet, an der bei der Beklagten ein Faxgerät betrieben wird. Im Sendebericht ist der Faxversand mit “OK„ bestätigt. Die Beklagte bestreitet, diesen Antrag erhalten zu haben. Eingangsprotokolle kann sie nicht vorlegen.

Die Klägerin hat am 31.12.2013 Klage erhoben, mit der sie zunächst die Feststellung einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) begehrt hat. Die Klageschrift, der alle Antragsunterlagen sowie die Antragsschrift vom 14.11.2013 beilagen, wurde der Beklagten unter dem 06.01.2014 vom Gericht übermittelt.

Die Antragsschrift nebst Anlagen ging der Beklagten am 07.02.2014 per Faxübertragung vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu.

Die Beklagte veranlasste am 10.02.2014 eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Der Klägerin wurde am 13.02.2014 zunächst mitgeteilt, dass die Beklagte den Antrag erhalten habe und diesen dem MDK zur Beratung und Beurteilung gegeben habe. Sobald die Stellungnahme vorliege, erhalten sie weitere Nachricht. Nachdem der MDK am 12.02.2014 mitgeteilt hatte, dass er Befunde angeforde...

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