Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Verfassungsmäßigkeit des Beitragszuschlags für Kinderlose. Entscheidungserheblichkeit einer Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG
Leitsatz (amtlich)
Die Erhebung eines Beitragszuschlags für Kinderlose in der Sozialen Pflegeversicherung gemäß § 55 Abs 3 SGB 11 verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG noch gegen das Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 S 2 GG.
Orientierungssatz
Die Beanstandung der Vorenthaltung einer gesetzlichen Begünstigung als gleichheitswidrig kann die Entscheidungserheblichkeit einer Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG nur dann begründen, wenn der Klagepartei die Feststellung der Verfassungswidrigkeit die Chance offen hält, eine für sie günstigere Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen. Beschränkt sich das Interesse des Klägers nur auf die Beseitigung einer Drittbegünstigung, scheidet eine Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG an das BVerfG aus (vgl SG Münster vom 10.3.2006 - S 6 P 136/05 = Breith 2006, 642)
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Höhe der von der Beklagten festgesetzten Beiträge zur Sozialen Pflegeversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (Soziale Pflegeversicherung) - SGB XI -.
Der am 23. Mai 1968 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert. Er ist verheiratet und kinderlos. Mit Bescheid vom 9. Februar 2005 setzte die Beklagte ihm gegenüber Beiträge zur Pflegeversicherung ab 1. Januar 2005 in Höhe von 68,74 € monatlich fest. Die Erhöhung des Beitragssatzes beruhe auf dem Kinderberücksichtigungsgesetz. Danach werde in der Pflegeversicherung der Beitragssatz für alle Versicherten, die keine Kinder erzögen oder erzogen hätten, um 0,25 Prozent angehoben. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 11. Februar 2005 Widerspruch ein. Er sehe in dem Kinderberücksichtigungsgesetz einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Intention des Bundesverfassungsgerichts sei es gewesen, Familien zu entlasten, nicht jedoch Kinderlose zu belasten. Seine Ehefrau könne aus medizinischen Gründen keine Kinder bekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 2005 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Die Beitragserhebung entspreche den gesetzlichen Vorgaben und sei nicht zu beanstanden.
Am 14. März 2005 hat der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2005 und den Widerspruchsbescheid vom 4. März 2005 unter dem Aktenzeichen S 9 P 37/05 Klage erhoben. Nachdem das Verfahren zunächst zum Ruhen gebracht wurde (Beschluss vom 5. April 2005), wird es nunmehr unter dem neuen Aktenzeichen S 3 P 121/06 geführt.
Der Kläger ist der Auffassung, das Kinderberücksichtigungsgesetz sei verfassungswidrig.
Einen bestimmten Antrag stellt der Kläger nicht.
Die Beklagte stellt ebenfalls keinen bestimmten Antrag und äußert sich nicht zur Sache.
Beide Beteiligte haben auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen. Deren Inhalt war Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zunächst dahingehend auszulegen, dass sich der Kläger gegen die Erhebung des Beitragszuschlags für Kinderlose in der Sozialen Pflegeversicherung wendet und - hilfsweise - die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) begehrt (§ 123 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 124 Abs. 2 SGG), bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Festsetzung der Beiträge zur Sozialen Pflegeversicherung im Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2005 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht (§ 54 Abs. 2 SGG).
Mit Wirkung zum 1. Januar 2005 wurde mit dem Gesetz zur Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der Sozialen Pflegeversicherung vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I 2004, S. 3448) - KiBG - einen Beitragszuschlag für Kinderlose eingeführt. Nach der nunmehr geltenden Fassung des § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI erhöht sich für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, der in Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift bestimmte Beitragssatz von 1,7 v.H. um 0,25 Beitragssatzpunkte (Beitragszuschlag für Kinderlose). Dies gilt nach § 55 Abs. 3 Satz 2 SGB XI nicht für Eltern im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch (Allgemeiner Teil). Darüber hinaus sind bestimmte Personengruppen, nämlich vor dem 1. Januar 1940 geborene Mitglieder, Wehr- und Zivildienstleistende sowie Bezieher von Arbeitslosengeld II, vom Beitragszuschlag für Kinderlose ausgeschlossen (§ 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI).
Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für die Auferlegung des in § 55 Abs. ...