Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilferecht: Leistungsausschluss für Ausländer bei Ehegattennachzug
Orientierungssatz
Lag der Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet jedenfalls auch der Nachzug zu einem deutschen Ehegatten bzw. die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft als Motiv zugrunde, so kommt der für den Bereich des Sozialhilferechts bestimmte Leistungsausschluss für Ausländer auch dann nicht zur Anwendung, wenn bereits bei der Einreise eine Bedürftigkeit bestand und auch der Ehegatte nicht über ausreichend Einkommen und Vermögen zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügte.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig und unter Vorbehalt der Rückforderung ab 1. Dezember 2014 bis längstens 31. März 2015 Grundsicherungen im Alter und bei Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre Kosten in notwendigem Umfang zu erstatten.
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe ohne Verpflichtung zur Entrichtung von Raten bewilligt und Rechtsanwalt D. beigeordnet.
Gründe
I. Die am 17. Mai 1949 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Sie lebte bis zur gemeinsamen Einreise am 11. August 2013 mit ihrem am 4. Februar 1951 geborenen Ehemann, der die polnische und die deutsche Staatsangehörigkeit, in Polen. Ab 15. August 2013 erhielten beide Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Jobcenter Stade. Sie wohnen seit 1. November 2013 in einer von ihnen angemieteten, im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners gelegenen Wohnung. Am 4. November 2013 sprachen die Eheleute erstmals beim Antragsgegner vor und beantragten für die Antragstellerin Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII). Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 28. August 2014 ab und führte aus, dass Ausländer, die eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergäbe, sowie ihre Familienangehörigen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe hätten. Bei der Antragstellerin sei für den Einreiseentschluss der finanzielle Zugewinn durch das deutsche Sozialhilfesystem prägend gewesen. Mit Bescheid vom 16. September 2014 hob das Jobcenter Stade seine bisherige Bewilligung auf und bewilligte ab 1. Oktober 2014 Leistungen nach dem SGB II nur noch an den Ehemann der Antragstellerin. Die Antragstellerin habe mit Vollendung des 65. Lebensjahres keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Am 9. Oktober 2014 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 28. August 2014 und am 6. November 2014 beantragte sie bei einer Vorsprache im Sozialamt des Antragsgegners erneut Grundsicherung nach dem SGB XII. Den Überprüfungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. November 2014 ab, wogegen am 19. November 2014 Widerspruch erhoben wurde. Mit ihrem am 3. Dezember 2014 beim Sozialgericht (SG) eingegangenen Antrag verfolgt die Antragstellerin das Ziel, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Erbringung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII zu verpflichten. Sie trägt vor, in die Bundesrepublik Deutschland nicht eingereist zu sein, um Sozialhilfe zu erhalten, sondern ihrem deutschen Ehemann zu folgen und um die eheliche Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann hier fortzuführen. Hilfsweise beantragt sie die Verpflichtung zur vorläufigen Erbringung von Leistungen gemäß § 1a Asylbewerberleistungsgesetz. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt dessen Ablehnung. Nach seiner Auffassung ist von einem finalen Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe auszugehen. So sei unmittelbar nach der Einreise Arbeitslosengeld II beantragt worden. Die Antragstellerin sei nicht erwerbstätig und verfüge keine über ausreichenden Existenzmittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes. Sie habe sogleich mitgeteilt, dass bei ihr keine Erwerbsfähigkeit gegeben sei. Auch bei ihrem Ehemann läge nur ein eingeschränktes Leistungsvermögen vor. Die Antragstellerin habe nicht davon ausgehen können, den Lebensunterhalt durch eigenes oder durch Erwerbseinkommen ihres Ehemannes aufstocken zu können. Schon bei der Einreise, spätestens bei Anmietung der Wohnung müsse den Eheleuten klar gewesen sein, dass die Deckung ihrer Kosten ohne staatliche Leistungen nicht möglich sein werde. Beide sprächen kein Deutsch und hätten ihre Sprachkenntnisse auch nicht erweitert, obwohl sie mittlerweile seit über einem Jahr in Deutschland lebten; die Vorsprachen beim Sozialamt seien jeweils nur mit Dolmetscher möglich gewesen. Die Antragstellerin sei nach einem Bescheid seines Ordnungsamtes vom 11. November 2014 nicht freizügigkeitsberechtigt und die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für ausländische Ehegatten eines Deutschen gemäß § 28 Abs...