Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Erlass einer einstweiligen Anordnung. Folgenabwägung bei lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten. Hyperthermietherapie. Kostenübernahme
Leitsatz (amtlich)
Begehrt ein an einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit erkrankter Versicherter von seiner Krankenkasse im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine potentiell lebensverlängernde Therapie und ist es dem Gericht in der gebotenen Zeit nicht möglich, den Sachverhalt zu den Anspruchsvoraussetzungen für die beantragte Behandlung aufzuklären, führt die vorzunehmende Folgenabwägung regelmäßig zum Ergebnis, dass dem Versicherten die Therapie vorläufig zu gewähren ist.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab sofort 20 ambulante Hyperthermiebehandlungen bei M. H. als Sachleistung zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Hyperthermietherapie zur Bekämpfung ihrer Krebserkrankung.
Die am XX.XX.XXXX geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Sie erlitt im Jahr 2001 einen Herzinfarkt. Außerdem wurde bei ihr im Jahr 2002 ein Mammakarzinom diagnostiziert, das operativ entfernt und onkologisch nachbehandelt wurde. Im Jahr 2008 traten Knochenmetastasen auf, die zunächst stationär und im Anschluss mit Strahlentherapie und Chemotherapie behandelt wurden. Trotz dieser Behandlung traten im März 2009 Metastasen in der Leber auf, woraufhin die chemotherapeutische Behandlung intensiviert wurde. Eine Vergrößerung der Lebermetastasen konnte hierdurch nicht verhindert werden.
Im September 2009 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme für eine Hyperthermiebehandlung und legte einen Arztbrief ihres behandelnden Arztes M. H. vom 11.09.2009 vor. Danach sei es im Rahmen der laufenden Chemotherapie zu einem erneuten Tumorprogress gekommen. Zur Verstärkung der Chemotherapiewirkung, Verbesserung der Lebensqualität, Schmerzreduktion und besseren Tumorkontrolle führe er in seiner Praxis begleitend zur Chemotherapie zwei bis drei Mal in der Woche eine kapazitive lokoregionale Radiofrequenz-Elektrohyperthermie (EHT) durch. Die Antragstellerin toleriere die Therapie ohne Nebenwirkungen. Eine ergänzende Hyperthermietherapie mit den klassischen Therapieformen (Chemotherapie und Strahlentherapie) sei medizinisch sinnvoller und Erfolg versprechender als Standardtherapien ohne Hyperthermie, was sich aus der vorliegenden Literatur und langjährigen klinischen Erfahrungen ergebe. Dies führte Herr H. näher aus (Bl. 11/15 Verwaltungsakte). Für jede Sitzung würden Kosten von EUR 145,14 zzgl. Kosten für Zusatzmaßnahmen nach Bedarf entstehen.
Die Antragsgegnerin holte ein von Dr. S. nach Aktenlage erstelltes Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 18.09.2009 ein (Bl. 19/22 Verwaltungsakte). Danach würden genaue Angaben über den Behandlungsverlauf fehlen. Die lokale und Ganzkörperhyperthermie sei bereits Gegenstand einer wissenschaftlichen Methodenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses gewesen. Dieser sei zum Ergebnis gekommen, dass der Stellenwert der Hyperthermie beim Mammakarzinom im Vergleich zu Standardtherapien wie Operation, Strahlen-, Chemo- und Hormontherapie noch unklar sei und weitere klinische Prüfungen erforderlich seien, um eine eindeutige Schlussfolgerung zur Verträglichkeit und Sicherheit ziehen zu können. Lediglich beim Thoraxrezidiv eines Mammakarzinoms könne lokale Hyperthermie additiv zur Strahlentherapie zukünftig ggf. eine zusätzliche Therapieoption darstellen, wenn größere Studien die bisher nur an kleinen Patientenkollektiven gezeigten Ergebnisse bestätigten. Die Antragstellerin leide zwar zweifelsfrei an einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung, jedoch stünden zur Behandlung verschiedene Chemotherapien und ggf. auch gezielte Therapien mit HER-Inhibitoren zur Verfügung. Außerdem vertrat der MDK unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R die Rechtsauffassung, der Nachweis einer hinreichenden Erfolgsaussicht einer Therapie sei regelmäßig nicht mehr möglich, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss zum Ergebnis gelangt sei, dass nach dem maßgeblichen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die medizinische Notwendigkeit, der diagnostische und therapeutische Nutzen sowie die Wirtschaftlichkeit nicht hinreichend gesichert seien und er daher eine negative Bewertung abgegeben habe.
Auf dieser Grundlage lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin mit Bescheid vom 22.09.2009 ab und wies sie gleichzeitig darauf hin, dass in der Universitätsklinik Tübingen unter bestimmten Voraussetzungen eine Hyperthermiebehandlung im Zusammenhang mit einer Strahlentherapie möglich sei. Sie bat die Antragstellerin, sich dort sc...