Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Asylbewerberleistungen. Grundleistungen. Höhe der Bedarfssätze für erwachsene Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Aus dem Beschluss des BVerfG vom 19.10.2022 - 1 BvL 3/21=BVerfGE 163, 254, wonach § 2 Abs 1 S 4 Nr 1 AsylbLG in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.8.2019 (juris: AsylbLGÄndG 3) mit Art 1 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art 20 Abs 1 GG unvereinbar ist, soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird, ergibt sich ohne Zweifel auch die Verfassungswidrigkeit der Parallelregelungen des § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b AsylbLG bzw des § 3a Abs 2 Nr 2 Buchst b AsylbLG.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung ab dem 17.4.2024 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 17.4.2024 Grundleistungen gemäß §§ 3 und 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 streitig.
Der ledige Antragsteller ist in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Abs. 1 AsylG untergebracht.
Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller mit Bescheid vom 27.12.2023 und in der Folge konkludent ab 1.1.2024 Grundleistungen gemäß §§ 1, 3 AsylbLG i.V.m. § 3a Abs. 1 Nr. 2b und § 3a Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG in Höhe der Regelbedarfsstufe 2.
Mit Schreiben vom 17.4.2024 legte der Antragsteller gegen den Bescheid Widerspruch ein, über den die Antragsgegnerin bisher nicht entschieden hat.
Gleichzeitig beantragte der Antragssteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Stuttgart mit der Begründung, dass ihm entsprechend der Entscheidung des BVerfG vom 19.10.2022 - 1 BvL 3/21 - Leistungen der Regelbedarfsstufe 1 zustünden.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 17.4.2024 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 27.12.2023 (Az.: 2602.756117) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen in verfassungsgemäßer Höhe in der Regelbedarfsstufe 1 ab Eingang dieses Antrages bei Gericht zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass es für die Regelbedarfsstufe 1 keine gesetzliche Grundlage gebe. Die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung beziehe sich lediglich auf Analogleistungen nach § 2 AsylbLG. Zudem habe der Antragsteller auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es sei nicht erkennbar, dass die finanziellen Kapazitäten des Antragstellers ausgeschöpft seien und er habe nicht dargelegt, welche Nachteile zu erwarten seien, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen werde.
Hinsichtlich und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Papierverwaltungsakte der Antragsgegnerin und die elektronisch geführte Gerichtsakte Bezug genommen.
II.Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist zulässig und begründet.
Der einstweilige Rechtschutz richtet sich hier nach § 86 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Dies ist der Fall, wenn dem Antragsteller bei summarischer Prüfung ein Anspruch auf die begehrte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und die Durchsetzung des Anspruchs wegen besonderer Eilbedürftigkeit nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache warten kann (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Absatz 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Absatz 2 Zivilprozessordnung - ZPO).
Der Antragsteller hat sowohl Anordnungsanspruch wie Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Anspruch ergibt sich nach der Überzeugung des Gerichts bereits aus dem Beschlusses des BVerfG vom 19. 10.2022 (Az. 1 BvL 3/21).
Mit diesem Beschluss hat das BVerfG § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG mit Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar erklärt, soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird, und hat bis zu einer Neuregelung angeordnet, dass auf Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG § 28 SGB XII i. V. m. dem Re...