Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Sprechstundenverpflichtung. Streikrecht kein zulässiger Unterbrechungsgrund. kein Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit
Orientierungssatz
1. Ein Streikrecht stellt keinen zulässigen Grund für eine Unterbrechung der Sprechstundenverpflichtung durch einen Vertragsarzt dar.
2. Auch aus Art 9 Abs 3 GG kann kein Recht auf Unterbrechung der Sprechstundenverpflichtung hergeleitet werden.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Verweis, der ihm erteilt wurde, da er am 10.10.2012 sowie am 21.11.2012 - wie auch andere Vertragsärzte - seine Praxis geschlossen hatte, um das ihm seiner Meinung nach zustehende Streikrecht auszuüben.
Der Kläger wurde mit Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte mit Wirkung vom 27.03.1985 als Facharzt für Allgemeinmedizin für den Vertragsarztsitz S. zugelassen.
Mit Schreiben vom 08.10.2012 setzte der Kläger die Beklagte darüber in Kenntnis, dass er am 10.10.2012 zusammen mit fünf anderen Kollegen das allen Berufsgruppen verfassungsrechtlich zustehende Streikrecht ausüben und deshalb an diesem Tag seine Praxis schließen werde. Eine Notfallversorgung werde gewährleistet, indem zum Beispiel über den Anrufbeantworter und einen Hinweis an der Praxis auf einen die Notfallversorgung übernehmenden Kollegen hingewiesen werde. Mit diesem Warnstreik werde der Forderung nach einem ärztlichen Honorarsystem Ausdruck verliehen, welches feste Preise ohne irgendeine Form von Mengenbegrenzungen vorsehe. Die derzeit stattfindenden Honorarverhandlungen auf Bundesebene und die Angebote der Krankenkassenseite verdeutlichten die Dringlichkeit des Anliegens.
Am 10.10.2012 schloss der Kläger seine Praxis. Den Patienten, die an diesem Tag die Praxis aufsuchen wollten, wurde über den Anrufbeantworter und einen Aushang an der Praxis mitgeteilt, dass die klägerische Praxis geschlossen sei und andere Ärzte benannt, deren Praxis geöffnet war.
Mit Beschluss vom 29.10.2012 beantragte der Vorstand der Beklagten die Einleitung eines Disziplinarverfahrens unter anderem gegen den Kläger.
Mit Schreiben vom 19.11.2012, laut Aktenvermerk bei der Geschäftsstelle des Disziplinarausschusses eingegangen am 14.02.2013, erklärte der Kläger, dass er auch am 21.11.2012 gemeinsam mit anderen Ärzten seine Praxis schließen werde, um das allen Berufsgruppen verfassungsrechtlich zustehende Streikrecht auszuüben.
Am 21.11.2012 schloss der Kläger seine Praxis erneut. Den Patienten, die an diesem Tag die Praxis aufsuchen wollten, wurde wieder über den Anrufbeantworter und einen Aushang an der Praxis mitgeteilt, dass die klägerische Praxis geschlossen sei und andere Ärzte benannt, deren Praxis geöffnet war.
Mit Beschluss vom 21.01.2013 eröffnete die Beklagte ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger. Der Kläger sei im Rahmen des mit der Zulassung übernommenen Versorgungsauftrages als Vertragsarzt verpflichtet, für die Versorgung seiner Patienten persönlich zur Verfügung zu stehen. Im Falle der Abwesenheit von der Praxis sei die Vertretung zu regeln, entweder durch einen Vertreter in der Praxis oder in Absprache mit niedergelassenen Kollegen. Vertretungsgründe seien hierbei die Abwesenheit wegen Urlaub, Krankheit, ärztlicher Fortbildung sowie Teilnahme an einer Wehrübung. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze, bestehe der Verdacht, dass die Praxisschließung des Klägers vertragsarztwidrig erfolgt sei, da er nicht seinem mit der Zulassung übernommenen Versorgungsauftrag nachgekommen sei, für die Versorgung der Patienten persönlich zur Verfügung zu stehen. Die Ausübung eines “Streikrechts„ sei dabei kein zulässiger Vertretungsgrund.
Mit Beschluss vom 23.01.2013 wurde dem Kläger die Eröffnung des Disziplinarverfahrens bekannt gegeben und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
Mit Schreiben vom 26.02.2013 gab der Kläger an, entgegen der Darstellung der Beklagten sei eine Notfallversorgung gewährleistet gewesen. Er habe die beiden Praxisschließungen durchgeführt, um vor dem Hintergrund der Honorarbeschlüsse auf Bundesebene im Sinne eines Warnstreiks der Forderung nach einem ärztlichen Honorarsystem, das feste Preise ohne irgendeine Form von Mengenbegrenzungen vorsehe, Ausdruck zu verleihen. Dabei berücksichtige der Disziplinarausschuss nicht, dass sich aus dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit, der allgemeinen Vereinigungsfreiheit sowie der Berufsfreiheit die Zulässigkeit kollektiver Praxisschließungen bzw. Streiks ergebe. Zwar werde gemäß der traditionellen Auslegung das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit lediglich Arbeitnehmern zugestanden, nicht jedoch Freiberuflern. Dass der Vertragsarzt, bei dem wesentliche Elemente der Freiberuflichkeit nicht gegeben seien, nur dem Namen nach eine freiberu...