Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft. Bestimmung der Angemessenheit von Unterkunftskosten. Anforderung an die Datenerhebung zur Formulierung eines schlüssigen Konzepts in Bezug auf die Angemessenheitsgrenze. Anforderung an die inhaltliche Ausgestaltung einer Kostensenkungsaufforderung
Orientierungssatz
1. Bei einem Landkreis, der einen Flächenkreis ohne ein zentral gelegenes Zentrum bildet, kann für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze für Unterkunftskosten im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende als Vergleichsraum das gesamte Landkreisgebiet zugrunde gelegt werden. Das gilt auch dann, wenn es den Leistungsempfängern aufgrund der Größe des Landkreises regelmäßig nicht zugemutet werden wird, zur Senkung der Unterkunftskosten im gesamten Vergleichsraum umzuziehen, da dieser Umstände erst bei der individuellen Ermittlung der Angemessenheit von Unterkunftskosten relevant wird.
2. Eine Veröffentlichung des gesamten Konzepts zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen für Unterkunftskosten im Rahmen der Grundsicherungsleistungen ist regelmäßig nicht geboten. Es genügt insoweit eine angemessene Zugänglichmachung der als Ergebnisse des Konzepts festgestellten Angemessenheitsgrenzen.
3. Wird die Angemessenheitsgrenze für die Kosten der Unterkunft im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende auf der Basis lediglich von 10 % des regional in Betracht zu ziehenden Mietwohnungsbestandes abgeleitet, so ist die Bestimmung dieser Grenze nur dann rechtmäßig, wenn innerhalb dieser 10 Prozent der Wohnungsmarkt in den einzelnen Wohnungsmarkttypen realitätsgerecht abgebildet werden, dabei auch hinsichtlich der verschiedenen Wohnstandards. Sind dagegen Datensätze aus den Grundsicherungsakten überrepräsentiert, fehlt es an einer geeigneten Datengrundlage, so dass die Angemessenheitsgrenze fehlerhaft bestimmt wurde.
4. In einer Kostensenkungsaufforderung eines Grundsicherungsträgers müssen die als angemessen akzeptierten Kosten der Unterkunft in Bezug auf die Bruttokaltmiete und die maximal anerkannte Wohnungsgröße ausgewiesen sein.
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 30. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2015, geändert durch Bescheide vom 29. November 2015, 9. Februar 2016, 29. März 2016 und 18. April 2016 verurteilt, für die Monate August bis Dezember 2015 der Klägerin zu 1. sowie der Klägerin zu 2. jeweils weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 39,20 Euro und für den Monat Januar 2016 jeweils in Höhe von 44,75 Euro zu gewähren.
2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der den Klägerinnen im Rahmen ihres Leistungsanspruchs nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewährenden Kosten der Unterkunft (KdU) und Heizung im Zeitraum 1. August 2015 bis 31. Januar 2016.
1. Die 1955 geborene Klägerin zu 1. und die 1994 geborene Klägerin zu 2., ihre Tochter, bezogen seit 2008 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Seit dem 15. März 2014 bewohnten sie eine Dreizimmerwohnung mit einer Grundfläche von 75 Quadratmetern in D-Stadt, D-Straße. Die Grundmiete betrug im streitgegenständlichen Zeitraum 300,00 Euro, die Nebenkosten (ohne Heizung) 140,50 Euro monatlich, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft ohne Heizung also insgesamt 440,50 Euro.
2. In Hinblick auf die in seinem Zuständigkeitsbereich geltenden Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft im Rahmen des SGB II hatte der Beklagte in der Vergangenheit verwaltungsintern ermittelte Werte festgelegt. Ab dem 1. August 2014 stützte er sich zur Bestimmung der im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II "angemessenen" KdU auf ein Konzept, das von der Firma E. (E.), mbH im Auftrag des Landkreises Limburg-Weilburg als dem zuständigen Träger der SGB XII- wie auch der KdU-Leistungen nach dem SGB II erstellt wurde (vgl. den Abschlussbericht der E. vom 30. Juli 2014: "Konzept zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft im Landkreis Limburg-Weilburg"; im Weiteren: das Konzept). Zum 1. September 2015 erfolgte eine Neufassung dieses Konzepts unter Berücksichtigung der Änderungen der angemessenen Wohnungsgrößen für öffentlich geförderte Mietwohnungen (HWoFG, geändert durch Erlass des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 22. Juli 2014, StAnz. 32/2014, S. 654; relevant für Haushalte mit drei und mehr Personen). Zum 1. Januar 2016 erfolgte eine Anpassung der Angemessenheitsgrenzen im Wege der Indexfortschreibung. Die ab diesem Zeitpunkt geltenden Werte lassen sich der "Indexfortschreibung des schlüssigen Konzepts 2013. Endbericht Oktober 2015" entnehmen (im Weiteren: Fortschreibung 2016). Das Konzept der Firma E. wurde zum 1. Juli 2017 durch ein gänzlich neues, vom F. in F-Stadt (F.) erstelltes Konzept abgelöst.
3. Mit Schreiben vom 12. August 2014, im Betreff überschrieben mit "Kosten de...