Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 2
Bei der Leistungsgewährung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung steht der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. § 106 bildet die gesetzliche Grundlage für die Überprüfung der vertrags- und zahnärztlichen Versorgung auf ihre Wirtschaftlichkeit. Auch in der Wirtschaftlichkeitsprüfung verwirklicht sich in § 106 das dem SGB V immanente Prinzip gemeinsamer ärztlicher Selbstverwaltung. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit richtet sich an alle Leistungserbringer, alle Versicherten und alle Krankenkassen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 12 Abs. 1 Satz 2, § 70 Abs. 1). Der Begriff wird dadurch bestimmt, dass die Versorgung ausreichend, notwendig und zweckmäßig sein muss, um als wirtschaftlich zu gelten. Es bedeutet nicht, dass ökonomisch eine Kosten-Nutzen-Relation bestimmend ist. Überflüssig ist eine Maßnahme, die an sich geeignet ist, die aber aufwendiger als andere zum gleichen Erfolg führende Behandlungen ist.
Rz. 3
Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Rahmen der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung sind die logische Konsequenz aus der verpflichtenden Beachtung des gesetzlichen Wirtschaftlichkeitsgebots, welches sich für die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung an die Vertragsärzte und -zahnärzte, Vertragspsychotherapeuten, zugelassenen medizinischen Versorgungszentren, ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen (vgl. § 72 Abs. 2), an die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen (vgl. § 75 Abs. 1) und durch die genannten Rechtsvorschriften auch an die Krankenkassen sowie deren Verbände richtet. Dem gesetzlich verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechend ist in der gesetzlichen Krankenversicherung eine bedarfsgerechte, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten und Patienten zu gewährleisten. Die Versorgung muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden.
Rz. 4
Die Beachtung der Wirtschaftlichkeit im System der vertragsärztlichen Versorgung ist mit Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 GG vereinbar (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v.30.6.2008, 1 BvR 1665/07). Nach der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit (vgl. u. a. BSG, Urteil v. 29.5.1962, 6 RKa 24/59) sind die Rechtsbegriffe "ausreichend", "notwendig", "zweckmäßig" und "wirtschaftlich" wie folgt definiert:
- Als ausreichend ist eine Behandlung zu verstehen, deren Intensität im konkreten Einzelfall der Art und Schwere der Krankheit des Patienten entspricht und den Stand der medizinischen Erkenntnisse (Mindeststandard) berücksichtigt.
- Notwendig ist alles, worauf der Arzt bei der Behandlung eines Patienten nicht verzichten darf. Bei Verzicht wäre die Behandlung unvollständig.
- Zweckmäßig sind solche Leistungen, die objektiv geeignet sind, im Rahmen der anerkannten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten den angestrebten Heilerfolg zu erzielen. So müssen wissenschaftlich nachprüfbare Erkenntnisse über die Qualität und die Wirksamkeit der Behandlung vorliegen.
- Wirtschaftlich ist die vertragsärztliche Versorgung dann, wenn die Leistungen mit einem möglichst geringen Aufwand an Kosten erbracht werden. Stehen dem Arzt bei einer bestimmten Indikation für eine als notwendig erkannte Therapie mehrere gleich wirksame und für den Patienten gut verträgliche Alternativen zur Verfügung, soll der Vertragsarzt die kostengünstigste Möglichkeit wählen. Ein Mehr an diagnostischem oder therapeutischem Aufwand ist dann wirtschaftlich, wenn dem auch ein Mehr an Nutzen (Erfolg) gegenübersteht.
Auch wenn sich die vorgenannte Definition der Rechtsbegriffe von der Wortwahl her auf die vertragsärztliche Versorgung und auf Ärzte/Vertragsärzte/Vertragspsychotherapeuten und andere ärztliche Leistungserbringer bezieht, gilt sie in gleicher Weise für die vertragszahnärztliche Versorgung sowie für alle vertragszahnärztlichen Leistungserbringer. Die Vorschrift richtet sich ebenfalls an zugelassene Ärzte, MVZ, ermächtigte Einrichtungen (§ 116a, §§ 117 bis 119c), Hochschulambulanzen (§ 117), psychiatrische Institutsambulanzen (§ 118), medizinische Behandlungsenden (§ 119), letztere mit der Besonderheit, dass die Prüfung durch die Krankenkassen erfolgt. Impfleistungen sind nicht von vornherein Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung (BSG, Urteil v. 21.3.2018, B 6 KA 31717 R). Sie unterliegen nur dann der Wirtschaftlichkeitsprüfung, wenn sie auf vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Verbänden der Krankenkassen und der KV beruhen, indem sie Impfleistungen in die vertragsärztliche Versorgung einbeziehen (Gerlach, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 106 Rz. 8).
Rz. 5
Anhaltspunkte, ob das Wirtschaftlichkeitsgebot eingehalten ist, bieten Behandlungsrichtlinien (zur Cannabis-Verordnung vgl. z. B. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 20.3.2024, L 3 KA 51/23). Gültig sind die Behandlungsrichtlinien, die im Zeitraum der Behandlung gegolten haben (SG Marburg, Urteil v. 1...