Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 13
Auf das Bestreben der Länder hin wurde mit dem GKV-VStG anerkannt, dass ein bundesweiter Regelungsrahmen nicht allen regionalen Besonderheiten der Versorgungsstruktur Rechnung tragen kann; für viele regionale Besonderheiten können daher durch den Gemeinsamen Bundesausschuss keine abstrakt-generellen Regelungen geschaffen werden, ohne dass sich dadurch negative Auswirkungen in anderen Regionen ergeben. Zur Anpassung des bundeseinheitlichen Rahmens der Bedarfsplanung an regionale Besonderheiten sind deshalb begründete Abweichungen auf regionaler Ebene möglich. Rechtsgrundlage für die Deckung eines lokalen oder qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarfs im Rahmen der Bedarfsplanung sind (§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 3a). Damit strebt der Gesetzgeber eine Verfeinerung der Planungsgrundlagen an (Pawlita, in: jurisPK-SGB V, § 101 Rz. 160). Dazu gehört auch eine Ergänzung der Zulassungen im Wege des Sonderbedarfs (BT-Drs. 16/2474 S. 23). Unbenommen davon beschreibt die Bedarfsplanungs-Richtlinie aber eine umfassende funktionale Planungssystematik, sodass die Umsetzung einer rechtskonformen und richtliniengemäßen Bedarfsplanung in einer KV auch dann durchzuführen ist, wenn in ihrem Bereich keine regionalen Besonderheiten vorhanden sein sollten.
Die Bedarfsplanungs-Richtlinie gilt bundeseinheitlich (vgl. § 3 Abs. 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie), was zunächst heißt, dass sie grundsätzlich ohne Änderung bei der verpflichtenden Aufstellung des Bedarfsplans (vgl. § 99 Satz 1) in jedem KV-Bereich zugrunde zu legen ist; sofern aber gemäß § 99 Abs. 1 Satz 3 SGB V und § 12 Abs. 3 Satz 2 Ärzte-ZV von einer KV oder einem im Land existierenden gemeinsamen Landesgremium aus Vertretern des Landes, der KV, der Landesverbände der Krankenkassen sowie der Ersatzkassen (Landesvertretung des vdeK), der Landeskrankenhausgesellschaft sowie weiteren Beteiligten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen (vgl. dazu § 90a) begründete bzw. zulässige regionale Besonderheiten für eine bedarfsgerechte Versorgung abweichend von der bundeseinheitlichen Richtlinie im regionalen Bedarfsplan vorgesehen werden, sind diese Abweichungen für die KV-Region insoweit verbindlich (§ 3 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie). Die Abweichungen sind im Bedarfsplan der KV zu kennzeichnen und die Besonderheiten darzustellen. Sieht das Landesrecht die Einrichtung eines gemeinsamen Landesgremiums nach § 90a SGB V vor und sollen dessen Empfehlungen berücksichtigt werden, sind die sich daraus ergebenden Besonderheiten ebenfalls darzustellen (vgl. § 12 Abs. 3 Ärzte-ZV).
Das bedeutet zwangsläufig, dass die in einer KV-Region zwar geplanten, aber mit dem Sinn des § 99 Abs. 1 Satz 3 nicht übereinstimmenden Abweichungen bei der Aufstellung oder Fortentwicklung des Bedarfsplans automatisch ausgeschlossen bleiben. Sachfremde Erwägungen bei den Abweichungen können somit bei der Bedarfsplanung keine Rolle spielen, egal von welcher Seite (z. B. KV- oder Krankenkassenseite) sie angestellt werden. Wenn aber die KV oder das gemeinsame Landesgremium zulässige, regionale Abweichungen von der Bundesrichtlinie verabschiedet haben, sind diese Abweichungen bei der Anwendung der Richtlinie auf den Bedarfsplan im jeweiligen KV-Bereich maßgebend. Dann gilt für den Bedarfsplan der jeweiligen KV-Region die bundeseinheitliche Richtlinie, abgeändert durch bzw. ergänzt um die regionalen Besonderheiten.
Rz. 14
Regionale Besonderheiten i. S. d. § 99 Abs. 1 Satz 3 SGB V, § 12 Abs. 3 Ärzte-ZV und § 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie können insbesondere sein:
- die regionale Demografie (z. B. ein über- oder unterdurchschnittlicher Anteil von Kindern oder älteren Menschen),
- die regionale Morbidität (z. B. auffällige Prävalenz- oder Inzidenzraten),
- sozioökonomische Faktoren (z. B. Einkommensarmut, Arbeitslosigkeit und Pflegebedarf),
- räumliche Faktoren (z. B. Erreichbarkeit, Entfernung, geografische Gegebenheiten wie Gebirgszüge oder Flüsse, Randlagen, Inseln oder eine besondere Verteilung von Wohn- und Industriegebieten) sowie
- infrastrukturelle Besonderheiten (u. a. Verkehrsanbindung, Sprechstundenzeiten/Arbeitszeiten und Versorgungsschwerpunkte des Vertragsarztes, Barrierefreiheit, Zugang zu Versorgungsangeboten angrenzender Planungsbereiche unter Berücksichtigung von Über- und Unterversorgung und anderer Sektoren, z. B. in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen etc.).
In einem Gutachten des IGES-Instituts (Institut für Gesundheits- und Sozialforschung, Berlin), welches die Patientenvertreter im Rahmen der Erstellung der Bedarfsplanungs-Richtlinie in Auftrag gegeben hatten, ist z. B. der Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Faktoren und der Morbidität einer Bevölkerung gut gesichert. Bedarfsbestimmende Faktoren können dabei das Einkommen oder morbiditätsbezogene Kenngrößen der Wohnbevölkerung eines Planungsbereichs sein. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Indizes, die potenziell auf regionaler Ebene Anwendung finden können. Dazu zählt auch z. B. der sog. "Bayerische Index Multipler Deprivation" (...