Prof. Dr. Volker Wahrendorf
1.1 Zweck der Vorschrift
Rz. 2
Die Vorschrift gehört zum 8. Titel des 4. Kapitels SGB V, der die Überschrift "Bedarfsplanung, Unterversorgung, Überversorgung" trägt und die §§ 99 bis 105 umfasst. Zulassungsbeschränkungen sind sowohl bei einer ärztlichen/psychotherapeutischen Unterversorgung (vgl. dazu § 100) als auch bei Überversorgung für eine Arztgruppe oder Psychotherapeuten in einem bestimmten Planungsbereich vorgesehen. Die Vorschrift regelt bei Überversorgung (vgl. § 101) deren Feststellung, die Anordnung und Beendigung von Zulassungsbeschränkungen sowie die gesetzlich geregelten Ausnahmen, die bei Zulassungsbeschränkungen zu berücksichtigen sind.
RZ 2a
In der Vorschrift sind unterschiedliche Regelungen zusammengefasst. Sie verliert dadurch für den Rechtsanwender die nötige Durchsichtigkeit. Abs. 1 regelt die Feststellung der Überversorgung, Abs. 2 enthält Vorgaben für die Anordnung von Zulassungsbeschränkungen, in Abs. 3 sind die Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen geregelt, Abs. 3a betrifft das Nachbesetzungsverfahren, Abs. 4 die Praxisnachfolge, Abs. 4a die Besonderheiten der Medizinischen Versorgungszentren, Abs. 4b die Besonderheiten der Job-Sharing Anstellung, Abs. 4c regelt die Praxisweiterführung, Abs. 5 betrifft die Warteliste, Abs. 6 betrifft die Praxisnachfolge im Nachbesetzungsverfahren bei gemeinsamer Praxisausübung, Abs. 7 hat Zulassungsfragen im Zusammenhang mit Belegarztverträgen zum Gegenstand, Abs. 8 enthält Ausnahmeregelungen für Vertragszahnärzte.
RZ 2b
Die Wortwahl "Zulassungsbeschränkung" bedeutet, dass es in bestimmten Planungsbereichen für die Zulassungen Schranken gibt, die auf der einen Seite eine kompromisslose Sperrung von Planungsbereichen für Zulassungen beinhalten und auf der anderen Seite in Ausnahmefällen (z. B. bei Sonderbedarf) in einem vorgegebenen Umfang in diesen Planungsbereichen Zulassungen dennoch ermöglichen.
Zulassungsbeschränkungen bei Überversorgung betreffen ausschließlich die vertragsärztliche Versorgung, da nach Abs. 8 der Vorschrift die Abs. 1 bis 7 für Zahnärzte nicht gelten. Dies trifft auch auf die mit Wirkung zum 23.7.2015 eingeführten Vorschriften zu, die in der Paragrafenfolge zu den Abs. 1 bis 7 gehören. In der vertragszahnärztlichen Versorgung spielen Zulassungsbeschränkungen deshalb keine Rolle, weil sich schon wegen des unterschiedlichen Behandlungsbedarfs der Versicherten die Versorgungsverhältnisse gänzlich anders darstellen als in der vertragsärztlichen Versorgung.
In der vertragsärztlichen Versorgung besteht das Problem, dass es insgesamt zwar genügend Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten gibt. Seit 1990 beträgtlaut Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die Zahl der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten annähernd 185.298 Personen (Stand 1.4.2023).
Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Anzahl der Ärzte und Psychotherapeuten zwar weiter erhöht (+ 6,8 %), aber der Trend zur Teilzeittätigkeit ist ungebrochen, was vor allem bei den Psychotherapeutensitzen auffällig ist.
Die Anzahl der Berufsausübungsgemeinschaften und der in einem MVZ tätigen Ärzte steigt deutlich stärker an als die in Einzelpraxen. Im Jahr 2022 waren rund 46 % aller Ärzte und Psychologen in der vertragsärztlichen Versorgung in kooperativen Strukturen tätig.
Während sich also die Zahl der Ärzte und Psychotherapeuten, die ihre Leistungen mit den Krankenkassen abrechnen, seit 1990 erhöht hat, waren bzw. sind immer weniger Mediziner bereit, sich als Vertragsärztin oder Vertragsarzt vor allem in ländlichen Gebieten bzw. Stadtrandbezirken niederzulassen oder als Hausärztin bzw. Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Während es nach Angaben der KBV 1999 noch 59.290 Hausärzte gab, sank deren Zahl bis 2020 auf rund 56.000. Die Zahl der Hausärzte hat sich aber gegenüber dem Tiefststand leicht erhöht.
Die vorgenannten Daten ergeben sich aus dem Bundesarztregister (§ 10 Ärzte-ZV), in dem jeder Arzt oder Psychotherapeut verzeichnet ist, der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Die KVen führen die Daten der Ärzte und Psychotherapeuten ihrer Region im jeweiligen Landesarztregister (§ 1 Ärzte-ZV) und übermitteln sie jeden Monat an die KBV. Dabei geben sie nicht nur Name und Anschrift des Mediziners bekannt, sondern z. B. auch, ob er in einer Einzel- oder in einer Gemeinschaftspraxis arbeitet. Außerdem sind seine Fachgebiete, Schwerpunkte und Zusatz-Weiterbildungsmaßnahmen vermerkt. Die Stammdaten des Bundesarztregisters bestehen insgesamt aus rund 60 Attributen.
Aus den gesammelten Daten des Bundesarztregisters werden die Vertragsarztstatistiken der KBV erstellt. Sie sind Grundlage für steuerungsrelevante Informationen wie die regionale Verteilung der Arztpraxen, die Altersstruktur der Ärzte oder die Verfügbarkeit von Ärzten mit bestimmten Zusatz-Weiterbildungen beispielsweise für die Einführung neuer Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Rz. 3
In Deutschland gibt es keinen generellen Ärztemangel, sondern regionale und fachbezogene Verteilungsprobleme. Das...