Rz. 9a
Im Rahmen des Sachleistungsprinzips bei der Abgabe verordneter Arzneimittel stehen die Apotheken nicht im Preiswettbewerb um Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung, welche regelmäßig auch keine Kenntnisse über konkrete Preise der Arzneimittel haben. Aufgrund des Rechts der Versicherten, unter den Apotheken, für die der Rahmenvertrag Geltung hat, nach § 31 Abs. 5 frei zu wählen, ist es den Krankenkassen nicht erlaubt, Versicherte an eine bestimmte Apotheke zu verweisen. Ein Preiswettbewerb im Rahmen des Sachleistungsprinzips wäre daher als Wettbewerbsfaktor nicht geeignet, das eingeschränkte Leistungsangebot von Versandapotheken aus anderen EU-Mitgliedstaaten auszugleichen, da der Preis der Arzneimittel bei der Versorgung im Wege der Sachleistung gegenüber Versicherten keine Lenkungsfunktion zu einer bestimmten Apotheke entfaltet und aus Gründen des Gesundheitsschutzes auch nicht entfalten soll. Das Sachleistungsprinzip dient zudem der Mäßigung des Gewinnstrebens der Apotheken und gewährleistet die flächendeckende Arzneimittelversorgung. So soll das Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung sicherstellen, dass die privatwirtschaftlichen Anbieter von Gesundheitsleistungen, die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zusammen mit den Krankenkassen den gesetzlichen Versorgungsauftrag erfüllen und dafür feste Vergütungssätze pro Leistung erhalten (Fallpauschalen im Krankenhausbereich, Vergütungen nach den einheitlichen Bewertungsmaßstäben im ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Bereich, feste Aufschläge der AMPreisV in der Arzneimittelversorgung), untereinander nicht über finanzielle Werbeanreize (Wertreklame) konkurrieren. Diese im Rahmen der Sachleistung in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzliche Maßgabe stellt einerseits einen Schutz der Versicherten vor unsachlicher Beeinflussung und vor Verzögerungen bei der Therapie von Erkrankten durch Kostenvergleiche dar, soll aber andererseits auch sicherstellen, dass Leistungserbringer im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht untereinander in einen durch Rabatte gesteuerten Wettbewerb um Versicherte treten. Vielmehr soll der Wettbewerb im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Qualität (Qualitätswettbewerb durch Transparenz der Qualitätsdaten) und die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung durch die Selbstverwaltung gesteuert werden. Der Wettbewerb soll nicht durch die Steuerung von Versichertengruppen (i. S. einer Kundenlenkung) über Rabattanreize erfolgen, die sich direkt an die Patienten wenden und in keinem Verhältnis zur Qualität der Leistungserbringung und zur Gesamthöhe der monetären Vergütung durch die Krankenkasse stehen.
Das Verbot von Rabattanreizen gewährleistet die Umsetzung des Sachleistungssystems im Rahmen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung, dessen Ausgestaltung als wesentlicher Teil der Organisation des nationalen Gesundheitssystems gemäß Art. 168 Abs. 7 AEUV grundsätzlich in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt. Diese Verantwortung entbindet die Mitgliedstaaten zwar nicht von der Beachtung der Grundfreiheiten. Gleichwohl hat nach der Gesetzesbegründung der EuGH anerkannt, dass etwaige Einschränkungen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können, insbesondere durch zwingende Gründe des finanziellen Gleichgewichtes des Systems der sozialen Sicherung oder der Intaktheit des nationalen Gesundheitswesens (Urteil des EuGH v. 11.12.2003, C-322/01). Derartige Gründe liegen gemäß der Gesetzesbegründung hier vor. Durch etwaige direkte Rabatte und Boni von Apotheken an Versicherte und die damit einhergehende Aufgabe einheitlicher Apothekenabgabepreise würden sowohl das Sachleistungs- als auch das Solidaritätsprinzip als tragende Strukturprinzipien des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung unterlaufen. Einheitliche Apothekenabgabepreise führen im Rahmen des Sachleistungsprinzips dazu, dass Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen unmittelbar eine Apotheke zur Versorgung mit Arzneimitteln in Anspruch nehmen können. Durch Rabatte und Boni von Apotheken, die bei den Versicherten verbleiben, würde zudem das Solidaritätsprinzip unterwandert, da diese nicht der Solidargemeinschaft zugute kämen. Darüber hinaus sind einheitliche Apothekenabgabepreise für das austarierte System der Erstattung von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung erforderlich. Denn die der Selbstverwaltung zur Hebung von Wirtschaftlichkeitsreserven im Bereich der Arzneimittelversorgung zur Verfügung stehenden sozialrechtlichen Steuerungsinstrumente knüpfen regelmäßig direkt oder indirekt an einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für Arzneimittel an. Anders als in der Entscheidung des EuGH v. 19.10.2016 geht es vorliegend auch nicht um ein grundsätzliches Rabattverbot in allen Bereichen, sondern allein um die Umsetzung im Rahmen der Arzneimittelversorgung der Versicherten in der geset...