Rz. 10
Im Urteil v. 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R, USK 2007-25 = SGb 2007 S. 415; nachgehend BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 30.6.2008, 1 BvR 1665/07, NJW 2008 S. 3556) hat der 1. Senat des BSG unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung klargestellt, dass Arzneimittel mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sind, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Ferner hat das BSG in diesem Urteil den off-label-use eines Arzneimittels nur dann als zulässig angesehen, wenn es
- um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,
- keine andere Therapie verfügbar ist und
- aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat einen Behandlungserfolg kurativ oder palliativ erzielt werden kann (B 1 KR 17/06 R, SGb 2007 S. 287 = USK 2007-25 m. w. N. aus der früheren Rspr.).
Dabei kann von hinreichenden Erfolgsaussichten nur dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zulassen werden kann. Dies wiederum kann dann angenommen werden, wenn
- entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (d. h. i. d. R. randomisierte Doppelblindstudien, die viele tausend Patienten einschließen und sich über mehrere Jahre erstrecken) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder
- außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittel in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den genannten einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinn besteht.
Rz. 11
Diese vom BSG aufgestellten Anforderungen stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG. Danach gehört die Vorsorge in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung zum Kernbereich der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (BVerfGE 115 S. 25, 49). Daraus folgt aber kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen. Vielmehr ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein am Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse orientiertes sachverständiges Prüfverfahren vorzusehen. Dies schließt insbesondere eine zulässige Verknüpfung der Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Leistung (§ 12 Abs. 1) mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts ein, da das Arzneimittelrecht neben der Prüfung der Unbedenklichkeit auch die der Qualität und Wirksamkeit des jeweiligen Arzneimittels beinhaltet (BVerfG, NJW 1997 S. 3085; NJW 2008 S. 3556).
Rz. 12
Vor diesem Hintergrund soll in der Sonderregelung nach § 35c Abs. 2 ein Anspruch auf Versorgung im Rahmen von klinischen Studien geschaffen werden, womit zugleich Erkenntnisgewinn und Evidenzbasierung gefördert werden sollen. Erfasst werden nur bereits zugelassenen Arzneimittel, die außerhalb ihres Zulassungsbereiches verordnet werden sollen. Nicht betroffen sind hingegen nicht zugelassene Arzneimittel, die zur klinischen Prüfung bestimmt sind. Insofern ist eine gesetzliche Regelung auch nicht notwendig, da diese Arzneimittel an Krankenhäuser und Ärzte nach § 47 Abs. 1 Nr. 2g AMG nur abgegeben werden können, wenn sie vom pharmazeutischen Unternehmer kostenlos zur Verfügung gestellt werden (Abs. 2 Satz 2). Ebenso betrifft die Regelung nicht die Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln, die im Rahmen ihrer Zulassung in klinischen Studien im ambulanten Bereich verordnet werden.
Rz. 13
Klinische Studien sind klinische Prüfungen i. S. d. AMG. Dabei wird der Einfluss einer medizinischen Behandlung auf eine Krankheit in einem kontrollierten experimentellen Umfeld am Menschen erforscht (vgl. § 4 Abs. 23 AMG). Gleichzeitig muss eine therapierelevante Verbesserung der Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten zu erwarten sein und die damit verbundenen Mehrkosten in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen stehen. Ferner muss die Behandlung durch einen Arzt erfolgen, der an der vertragsärztlichen Versorgung oder an der ambulanten Versorgung nach §§ 116b und 117 teilnimmt. Letztlich darf der Gemeinsame Bundesausschuss der Arzneimittelverordnung nicht widersprochen haben. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann nur Mitteilungen widersprechen, die nicht den Kriterien des Gesetzes entsprechen (BT-Drs. 16/4247 S. 33). Erfolgt kein Widerspruch, so erwirbt der Versichert...