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Eine Auswahlentscheidung mit der daraus resultierenden Einräumung von Exklusivität und Begründung einer Sonderstellung im Wettbewerb (Byok, GesR 2007 S. 553) ist konstitutiver Bestandteil für die Annahme eines öffentlichen Auftrages. Dabei kommt es, wie bereits zu Arzneimittelrabattvereinbarungen nach § 130a Abs. 8 entschieden, allerdings nicht darauf an, ob Exklusivität ausdrücklich durch den Auftraggeber vertraglich zugesichert wird. Vielmehr ist es für die Annahme eines öffentlichen Auftrages grundsätzlich ausreichend, wenn sich für den Leistungserbringer faktisch ein Wettbewerbsvorteil ergibt. Diese Voraussetzungen sind im Bereich der Hilfsmittelversorgung immer dann gegeben, wenn Verträge gemäß § 127 Abs. 1 nach einer Auswahlentscheidung durch die Krankenkassen geschlossen werden. In diesen Fällen ist ein gleicher Marktzugang sämtlicher Leistungserbringer nicht mehr möglich. Haben nämlich Krankenkassen Vereinbarungen nach § 127 Abs. 1 geschlossen, hat die Versorgung der Versicherten gemäß § 33 Abs. 6 Satz 2 durch den Vertragspartner zu erfolgen; ein Wahlrecht der Versicherten existiert in diesen Fällen grundsätzlich nicht. Der Zuschlagsempfänger erwirbt dann eine gesetzlich abgesicherte Sonderstellung im Wettbewerb, da die Versicherten gehalten sind, ausschließlich den Vertragspartner der Krankenkassen in Anspruch zu nehmen und dieser hierdurch im Verhältnis zu seinen Mitbewerbern in die Lage versetzt wird, seinen Absatz zu steigern. Nur bei einem berechtigten Interesse können Versicherte im Einzelfall – allerdings gegen Tragung der Mehrkosten – einen anderen Leistungserbringer wählen (vgl. § 33 Abs. 6 Satz 3). Insofern entfalten die Verträge in diesen Konstellationen auch eine Lenkungs- und Steuerungswirkung.

Für eine Auswahlentscheidung (und damit gleichzeitig für die Annahme eines öffentlichen Auftrages) ist demgegenüber kein Raum, wenn Verträge im Bereich der Hilfsmittelversorgung nach Maßgabe des § 127 Abs. 2 geschlossen werden. Denn Vergabeverfahren zielen darauf ab, unter mehreren Bietern eine Auswahlentscheidung zu treffen (BT-Drs. 16/10609 S. 52). Zwar erfolgt auch hier der Zugang zur Versorgung durch einen Vertragsschluss. Einer Ausschreibungspflicht steht jedoch entgegen, dass Leistungserbringer in diesen Fällen gemäß § 127 Abs. 2a einen gesetzlich geregelten Anspruch auf Beitritt – also auf gleichberechtigten Marktzugang und Teilhabe an der Versorgung der Versicherten – haben. Die Durchführung eines Auswahlverfahrens ist in derartigen Konstellationen somit nicht erforderlich.

Soweit davon ausgegangen wird, dass eine vom öffentlichen Auftraggeber zu treffende Auswahlentscheidung nicht Voraussetzung, sondern notwendige – und unionsrechtlich determinierte – Folge der Annahme eines öffentlichen Auftrages ist, wären öffentliche Auftraggeber bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 und 2 GWB gehalten, bei sämtlichen Beschaffungen eine Auswahlentscheidung zu treffen und Aufträge jedweder Art im Wettbewerb zu vergeben. Ein solches Regelungskonzept kann dem primären und sekundären Unionsrecht nicht entnommen werden – ungeachtet der Frage, ob Beschaffungen durch öffentliche Auftraggeber ausschließlich "im Wettbewerb" wirtschaftspolitisch wünschenswert sein mögen. Keiner weiteren Erörterung bedarf, dass der Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB) als tragendes Prinzip bei der Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand gilt und zum Ziel hat, sämtlichen potenziellen Bewerbern einen freien Zugang zu den Beschaffungsmärkten der öffentlichen Hand zu ermöglichen, zumal sich in der Vergangenheit die Aufsplitterung in einzelne nationale Vergabemärkte sowie die damit verbundene Errichtung von Marktzutrittsschranken für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten als eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Realisierung eines echten Binnenmarktes dargestellt hat (Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften – Vollendung des Binnenmarktes, KOM <85> 310, Rz. 81). Die aus dem Wettbewerbsgrundsatz resultierenden Ge- und Verbote (z. B. das Prinzip des Geheimwettbewerbs oder der Vorrang des offenen Verfahrens vor dem nichtoffenen Verfahren nach § 101 Abs. 7 GWB) gelangen jedoch erst dann zur Anwendung, wenn durch den öffentlichen Auftraggeber eine Auswahlentscheidung zu treffen ist. In diese Richtung hat sich auch die Europäische Kommission geäußert. Mit Schreiben vom 27.8.4.2009 hat sie im Rahmen eines sog. Vertragsverletzungsbeschwerdeverfahrens mitgeteilt, dass mit der Änderung der §§ 69, 127 durch das GKV-OrgWG (zuvor geäußerte) Zweifel an der Unionskonformität dieser Regelungen ausgeräumt worden seien (Zit. nach Steher, WzS 2009 S. 303). In einem weiteren Schreiben v. 11.6.2009 hat sie an dieser Auffassung festgehalten und erläutert, dass sie in dem Wahlrecht der Krankenkassen zwischen § 127 Abs. 1 und Abs. 2 eine Unionsrechtswidrigkeit nicht erkennen könne. Verträge nach § 127 Abs. 2, denen sämtliche potenziellen Leistungserbringer beitreten könnten, unterfielen nicht dem Vergaber...

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