Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 40
Abs. 1a Satz 3 bis 6 bestimmt dagegen die Ausnahmen, wann Kinder- und Jugendärzte oder Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung sowohl hausärztlich als auch fachärztlich tätig werden dürfen bzw. wann Allgemeinärzte und Ärzte ohne Gebietsbezeichnung ausschließlich an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen können. Die Ausnahmefälle für Kinder- und Jugendärzte oder Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung gründen auf der Gewährleistung einer bedarfsgerechten fachärztlichen Versorgung, die Ausnahmen für Allgemeinmediziner zielen auf die Qualität der Versorgung, wenn z. B. spezielle fachärztliche Leistungen erforderlich sind, welche diese Allgemeinmediziner auch erbringen können.
Nach Abs. 1a Satz 3 kann der Zulassungsausschuss einem Kinder- und Jugendarzt oder einem hausärztlichen Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung die Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung zusätzlich zur hausärztlichen Tätigkeit für einen befristeten Zeitraum genehmigen. Der Genehmigungsbescheid stellt sicher, dass der Kinder- und Jugendarzt oder der hausärztliche Internist ohne Schwerpunktbezeichnung die im Genehmigungsbescheid definierten fachärztlichen Leistungen über seine Kassenärztliche Vereinigung erbringen und abrechnen kann. Solche Genehmigungen sind sehr selten und nicht auf andere Arztgruppen übertragbar (BSG, Urteil v. 31.5.2006, B 6 KA 74/04 R; Urteil v. 27.6.2007, B 6 KA 24/06 R), sie eröffnen aber zumindest eine Möglichkeit, auf die regionale Versorgungssituation angemessen zu reagieren, insbesondere wenn für einen absehbaren Zeitraum ein Versorgungsmangel in bestimmten Teilbereichen der fachärztlichen Versorgung besteht oder droht. Diesen Versorgungsbedarf festzustellen, obliegt seit 1.1.2000 dem Zulassungsausschuss und nicht mehr dem Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (vgl. § 90). Das Verfahren vor dem Landesausschuss hatte sich als zu schwerfällig erwiesen. Dagegen war der Zulassungsausschuss schon vorher befugt, den Versorgungsbedarf bei den Sonderbedarfszulassungen festzustellen, was jetzt auch die Feststellung des Versorgungsbedarfs für einzelne Versorgungsmängel in Teilbereichen der fachärztlichen Versorgung erleichtert.
Die Genehmigung ist eine Kann-Bestimmung, sie gibt also dem Zulassungsausschuss einen gewissen Entscheidungsspielraum, der von den Sozialgerichten nur eingeschränkt überprüft wird. Nach Abs. 1a Satz 3 ist die Genehmigung aber immer davon abhängig, dass anderenfalls eine bedarfsgerechte fachärztliche Versorgung nicht gewährleistet ist.
Der betreffende Arzt kann nicht gezwungen werden, im Rahmen der Abs. 1a Satz 2 auch fachärztlich tätig zu sein, sondern er muss zustimmen, dass er unabhängig von seiner Versorgungs-Zuordnung als Hausarzt künftig neben der hausärztlichen auch die fachärztliche Versorgung für eine bestimmte Zeit sicherstellen soll. In der Praxis dürfte dies, wie im Zulassungswesen allgemein üblich, einen Antrag des Arztes an den Zulassungsausschuss erfordern. Allerdings wird die für die Sicherstellung zuständige Kassenärztliche Vereinigung im Rahmen der Niederlassungsberatung einen geeigneten Vertragsarzt auch bitten können, einen Antrag zu stellen.
Der auf Vorschlag des Bundesrates und des Bundestagsausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) mit Wirkung zum 23.7.2015 in Abs. 1a eingefügte Satz 4 stellt ein Abweichen von der gesetzlich bestimmten Differenzierung der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung dar. Sie dient der Gewährleistung einer bedarfsgerechten Versorgung, indem sie den Zulassungsausschuss verpflichtet, nach der Feststellung des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, dass für die Arztgruppe der Hausärzte, der Kinder- und Jugendärzte oder der fachärztlich tätigen Internisten eine Unterversorgung besteht oder in absehbarer Zeit droht (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1), innerhalb von 6 Monaten den Beschluss zu fassen, dass Kinder- und Jugendärzten oder Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung die gleichzeitige Wahrnehmung haus- und fachärztlicher Aufgaben für einen befristeten Zeitraum erlaubt wird. Diese Mussbestimmung stellt neben den strengeren Maßnahmen nach § 100, einer Unterversorgung entgegenzuwirken, eine weitere, in ihrer Wirkung aber rascher umzusetzende Möglichkeit dar, Versorgungsproblemen im hausärztlichen und/oder fachärztlichen Bereich kurzfristig zu begegnen. Mit der zeitlichen Anknüpfung an die Feststellung des Landesausschusses ist sichergestellt, dass sich der Zulassungsausschuss zeitnah mit der Versorgungssituation befasst. Der Bundesrat hat jedenfalls die Erwartung geäußert, dass durch die Einführung der Prüfpflicht für die Zulassungsausschüsse solche Genehmigungen künftig besser genutzt werden. Kritisch wird bemerkt, dass ein sinnvoller Anwendungsbereich nicht erkennbar wird (Rademacker, in: BeckOGK SGB V, § 73 Rz. 12). Mit der Erbringung fachärztlicher Leistungen durch Hausärzte könne von vornherein kein Beitrag zur Beseitigung einer Unterversorgung geleistet werden. Dazu muss die formale Qualifikation zur Erbringung der fachinter...