Prof. Dr. Volker Wahrendorf
0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit dem Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz – GKV-VStG) v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 2983) mit Wirkung zum 1.1.2012 eingeführt worden. Aufgrund des Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) v. 10.12.2015 (BGBl. I S. 2229) sind mit Wirkung zum 1.1.2016 in Abs. 1 Satz 2 nach dem Wort "abgeben" ein Semikolon sowie die Wörter "hierzu gehören auch Empfehlungen zu einer sektorenübergreifenden Notfallversorgung" eingefügt worden.
1 Allgemeines
1.1 Systematische Zusammenhänge
Rz. 2
§ 90a steht im Zusammenhang mit dem gesetzgeberischen Bemühen, den Einfluss der Länder auf die Durchführung der Bedarfsplanung zu stärken (Wiegand, in: jurisPK-SGB V, § 90a Rz. 3). Ausdruck dieser Bemühungen ist z. B. § 90 Abs. 4. Danach wirken die obersten Landesbehörden bei den Aufgaben des Landesausschusses mit. Der Gesetzgeber verspricht sich, Fehlentwicklungen bei der medizinischen Versorgung zu vermeiden (Wiegand, a.a.O.). Kommunale Beteiligungsrechte an der Gesundheitsversorgung (vgl. Münkler, GesR 2024, 349) sollen weiter ausgebaut werden, was in § 90a nicht zwingend vorgesehen ist. Um den regionalen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, liegt es nahe, auch Vertreter der Kommunen heranzuziehen (vgl. Vahldiek, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 90a Rz. 2).
1.2 Einrichtung von Landesgremien
Rz. 3
§ 90a Abs. 1 ist eine Ermächtigungsnorm. Die Bundesländer haben im Rahmen der allgemeinen Daseinsfürsorge die Pflicht, eine flächendeckende, umfassende medizinische Versorgung sicherzustellen. Diese Verpflichtung ist der gesetzlichen Sicherstellungspflicht einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung übergeordnet, sodass ein Bundesland sich um die Sicherstellung der medizinischen Versorgung seiner Bürgerinnen und Bürger kümmern muss, wenn im Bundesland irgendwelche medizinischen Sicherstellungsprobleme bestehen. Auf Drängen der Bundesländer ist mit Wirkung zum 1.1.2012 durch die Vorschrift die Option geschaffen worden, in allen Bundesländern Landesgremien einzurichten, in denen Empfehlungen zu sektorenübergreifenden Versorgungsfragen abgegeben werden können, aber nicht müssen.
Rz. 4
Mit dem gemeinsamen Landesgremium sind die Voraussetzungen für eine landesbezogene Möglichkeit geschaffen worden, den Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (vgl. § 90) bei seinen Entscheidungen zur sektorenübergreifenden Sicherstellung der ambulanten und stationären ärztlichen Versorgung durch ein anders zusammengesetztes Fachgremium zu unterstützen. Außerdem können in dem Landesgremium sektorenübergreifende Versorgungsfragen und in diesem Zusammenhang auch die Fragen zur spezialfachärztlichen Versorgung nach § 116b erörtert werden. Während im ambulanten Bereich die Kassenärztliche Vereinigung gemeinsam mit den Krankenkassen die Bedarfsplanung ohne Mitentscheidungsrecht des Landes gestaltet, hat das Land im Bereich der akut-stationären Krankenhausplanung im Wesentlichen ein Alleinentscheidungsrecht. Im Reha-Bereich vollzieht sich die Bedarfsdeckung durch Verträge der Krankenkassen mit einzelnen Leistungserbringern. Die Versorgungsplanung innerhalb der jeweiligen Leistungssektoren geschieht dabei nach eigenen Regeln, mit unterschiedlichen Akteuren sowie unterschiedlichen Zielsetzungen und Prioritäten. Ob es deshalb zur Bildung des gemeinsamen Landesgremiums kommt, hängt vom Recht des jeweiligen Landes ab. Inzwischen sind in fast allen Bundesländern solche Gremien eingerichtet oder die Einrichtung steht kurz bevor.
Rz. 5
Der Begriff der sektorenübergreifenden Versorgung ist vom Gesetzgeber nicht festgelegt worden, was kritisch zu sehen ist, weil damit Unklarheiten bleiben (Huster, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 140a Rz. 8). Nach Auffassung des BSG (Urteil v.6.2.2008, B 6 KA 27/07 R) ist der Begriff der integrierten und damit der sektorenübergreifenden Versorgung aus ihrem Zweck heraus zu bestimmen. Die Zielrichtung dieser Versorgungsform bestehe zunächst darin, die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu durchbrechen und den Krankenkassen die Möglichkeit zu schaffen, außerhalb der bisherigen Regelversorgung eine alternative Versorgungsstruktur zu eröffnen. Für die vertragsärztliche Versorgung sind die Ausführungen des BSG ausreichend Anlass, die verschiedenen Leistungssektoren zu verzahnen, um eine wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten und um auch die medizinischen Handlungsabläufe zu verbessern, Wartezeiten zu verkürzen und Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Inwieweit die Gemeinsamen Landesgremien auf die Bedarfsplanung einwirken, bleibt jedem selbst überlassen. Die Regelung des § 90a ist mit dem Defizit behaftet, dass seine Beschlüsse nicht verbindlich sind. Gleichwohl soll die Missachtung Gegenstand eines sozialgerichtlichen Verfahrens sein können (Vahldiek, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 90a Rz. 3).
Rz. 6
Die Verwendung des Begriffs Gremium ist ungewöhnlich und macht die rechtliche Zuordnung schwierig. Sachlich ist...