Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Ordnungsgeld wegen Nichterscheinens eines Beteiligten. keine Ermessensreduzierung auf Null bei nicht erforderlichem persönlichen Erscheinen
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen einen im Termin nicht persönlich erschienenen Beteiligten (§ 202 SGG iVm § 141 Abs 3 S 1 ZPO).
2. Eine Ermessensreduzierung auf Null für die Auferlegung des Ordnungsgeldes kommt nicht in Betracht, wenn das persönliche Erscheinen nicht erforderlich war.
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 24. Juni 2013 aufgehoben.
Die Kosten der Beschwerdeführerin hat die Staatskasse zu tragen.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
Die Beteiligten stritten in der Hauptsache darüber, ob die Beklagte der Klägerin noch einen Betrag in Höhe von 1.034,24 € zu zahlen hat. Die Beschwerdeführerin ist die Geschäftsführerin der Klägerin. Mit Verfügung vom 3. Juni 2013 bestimmte die Vorsitzende der 38. Kammer des Sozialgerichts Gotha einen Termin zur mündlichen Verhandlung für den 24. Juni 2013 und ordnete ihr persönliches Erscheinen an. Zum Verhandlungstermin erschien diese nicht. Die Klägerin war durch eine Bevollmächtigte vertreten, die in der Verhandlung die Klage zurücknahm. Nach der Niederschrift wurde dort ein Beschluss verkündet, nach dem gegen die Beschwerdeführerin "wegen unentschuldigten Fernbleibens vor Gericht" ein Ordnungsgeld in Höhe von 800 € verhängt wurde. Nach der Ausfertigung wurde er allein von der Kammervorsitzenden erlassen. Er ist nicht begründet und nur mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen.
Mit ihrer am 25. Juli 2013 beim Sozialgericht Gotha eingegangenen Beschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss. Die Festsetzung des Ordnungsgeldes sei ermessensfehlerhaft, da die Klägerin ausreichend vertreten gewesen sei, was sich auch in der Klagerücknahme gezeigt habe. Darüber hinaus hätte es eines ausdrücklichen Hinweises bedurft, dass die Beschwerdeführerin nicht nur in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin der Klägerin geladenen war.
Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 24. Juni 2013 aufzuheben.
Klägerin und Beklagte haben keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Beschluss der Vorsitzenden der 38. Kammer des Sozialgericht Gotha leidet an erheblichen Verfahrensmängeln und ist bereits deshalb aufzuheben.
Der Vorsitzende kann nach § 111 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung anordnen. Bleibt der Beteiligte im Termin aus, so kann gegen ihn nach § 202 SGG i.V.m. § 141 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden. Die Ermessensentscheidung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. Januar 2009 - L 13 AS 5633/08 B; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 111 Rn. 6a m.w.N.) ist unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu treffen (vgl. Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 1. September 2010 - L 2 AL 78/10 B; Thüringer LSG, Beschluss vom 22. September 2008 - L 1 B33/08 U m.w.N., nach juris). Der Beschluss ist nach § 142 Abs. 2 SGG zu begründen (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2005 - L 6 B 64/05 R). Die Begründung muss die Ermessenserwägungen zum Grund und zur Höhe enthalten (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. Januar 2009 - L 13 AS 5633/08 B mit zustimmender Anmerkung Freudenberg in jurisPR-SozR 10/2009 Anm. 6; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. November 2008 - L 20 B 1261/08 AS; Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. April 1997 - L 11 S 2/97, alle nach juris). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob das persönliche Erscheinen zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts erforderlich war (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 111 Rn. 6a).
Der Beschluss der Vorsitzenden der 38. Kammer des Sozialgerichts Gotha erfüllt alle diese Voraussetzungen nicht. Es ist aus der Niederschrift schon nicht ersichtlich, ob der Beschluss unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter oder allein von der Vorsitzenden gefasst wurde. Jedenfalls nach der Ausfertigung hat ihn die Vorsitzenden allein gefasst und damit die formellen Voraussetzungen nicht erfüllt. Sie hat ihn auch entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 142 Abs. 2 SGG nicht begründet. Es fehlt damit auch an den notwendigen Ermessensabwägungen, die hier in jedem Fall erforderlich gewesen wären, weil es keinen Anhalt dafür gibt, dass das persönliche Erscheinen der Beschwerdeführerin überhaupt erforderlich war. Dagegen spricht, dass das Verfahren trotz ihres Fernbleibens durch Rücknahme beendet worden ist. Eine Ermessensreduzierung auf Null für die Auferlegung kommt in einem solchen Fall jedenfalls nicht in...