Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Überprüfung der Billigkeit der Gebührenbestimmung des beigeordneten Rechtsanwalts. Verfahrensgebühr. Synergieeffekte. Erledigungsgebühr. Annahme eines Teilanerkenntnisses und Erledigungserklärung im Übrigen

 

Orientierungssatz

1. Bei dem Vergütungsanspruch des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts ist die Billigkeit der geforderten Gebühren auch ohne entsprechenden Vortrag der Staatskasse von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und vom Sozialgericht zu überprüfen. Dem steht nicht der Beschluss des BGH vom 20.1.2011 - V ZB 216/10 = ASR 2011, 211 entgegen (vgl Senatsbeschluss vom 21.1.2013 - L 6 SF 1578/12 B = NZS 2013, 359), denn die Staatskasse ist nicht Dritter iS des § 14 Abs 1 S 4 RVG. Vielmehr ist sie aufgrund der Beiordnung für die gesetzliche Vergütung nach §§ 45 ff RVG Vergütungsschuldnerin des Rechtsanwalts.

2. Beim Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist vor allem der zeitliche Aufwand im Verfahren zu berücksichtigen, den der Rechtsanwalt im Vergleich mit den übrigen beim Sozialgericht anhängigen Verfahren tatsächlich in der Sache betrieben hat und objektiv auf die Sache verwenden musste. Ist ein Schriftsatz in großen Teilen wortidentisch mit dem Text in anderen dem Senat bekannten Verfahren, dann sind die damit verbundenen erheblichen Synergieeffekte bei der Vergütungsfeststellung zu berücksichtigen.

3. Zum Vorliegen eines Teilanerkenntnisses anstelle eines vollen Anerkenntnisses, wenn sich die beklagte Behörde zwar bereit erklärt hat die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten und die Klageforderung zu erfüllen, die Kosten des gerichtlichen Verfahrens jedoch nicht übernommen hat.

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 7. September 2015 aufgehoben und die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 473,81 Euro festgesetzt.

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwalts-vergütung für ein beim Sozialgericht Nordhausen anhängig gewesenes Verfahren (S 30 AS 5887/11) der von dem Beschwerdeführer vertretenen Kläger. Sie begehrten mit der Klage Akteneinsicht in die Verwaltungsakten, die Gewährung von Leistungen “in gesetzlicher Höhe„ und die Übernahme der außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren. Mit Beschluss vom 26. März 2012 bewilligte das Sozialgericht den Klägern Prozesskostenhilfe und ordnete den Beschwerdeführer bei. Im Erörterungstermin am 25. September 2012 verhandelte das Sozialgericht die Klage mit 15 weiteren Klagen der Kläger. Nach der Niederschrift erklärte sich die Beklagte bereit, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten und den Klägern Regelsatzerhöhungen “im Zuge des Bundesverfassungsgerichts zum Az.: 1 BvL 10/12„ ohne Kostenfolge zu erstatten. Die den Beschwerdeführer vertretende Rechtsanwältin erklärte daraufhin: “Ich nehme das Anerkenntnis an und erkläre die Klage im Übrigen vollständig für erledigt.„ Weiter ist dort festgehalten: “Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass für das gerichtliche Verfahren keine weiteren Kosten anfallen.„

Unter dem 16. Januar 2013 beantragte der Beschwerdeführer folgende Gebühren aus der Staatskasse:

Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG

221,00 Euro

Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG

 66,30 Euro

Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG

200,00 Euro

Erledigungsgebühr Nr. 1006, 1005 VV-RVG

190,00 Euro

Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld

  4,18 Euro

Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG

  20,00 Euro

701,48 Euro

Umsatzsteuer

 133,28 Euro

Gesamtbetrag

834,76 Euro

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12. September 2013 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 636,86 Euro fest. Zur Begründung gab sie an, die Verfahrensgebühr werde auf 170,00 Euro festgesetzt. Die Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger sei durchschnittlich. Streitgegenstand sei die Bestimmung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gewesen. Der Beitragsrahmen erhöhe sich um 0,3 auf 51,00 Euro. Die Terminsgebühr werde auf die halbe Mittelgebühr festgesetzt. Die durchschnittliche Dauer für das Verfahren habe 19 Minuten betragen. Die Einigungsgebühr setzte die UdG auf 190,00 Euro fest.

Dagegen hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt und die Höhe der Terminsgebühr beanstandet. Sie könne allenfalls um ein Drittel gekürzt werden. Der Beschwerdegegner hat ebenfalls Erinnerung eingelegt und die Erledigungsgebühr beanstandet. Eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung an der Erledigung des Rechtsstreits sei nicht ersichtlich. Damit errechne sich ein Vergütungsanspruch von 410,76 Euro.

Mit Beschluss vom 7. September 2015 hat das Sozialgericht die zu gewährende Vergütung auf 410,76 Euro festgesetzt. Für die Terminsgebühr sei eine halbe Mittelgebühr anzusetzen. Nach der Niederschrift habe die Kammervorsitzende die wesent...

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