Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Besorgnis der Befangenheit. Androhung der Auferlegung von Verschuldenskosten wegen Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung
Orientierungssatz
Zur Frage, ob in der Androhung der Auferlegung von Verschuldenskosten wegen Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung gemäß § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG ein Verhalten erkannt werden kann, welches geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Tenor
Das Gesuch der Kläger, den Richter am Sozialgericht U. als Vorsitzenden der 46. Kammer des Sozialgerichts Gotha für befangen zu erklären, wird zurückgewiesen.
Gründe
Die instanzielle Zuständigkeit des Senats ist gegeben, obwohl nach Wegfall der Regelung des § 60 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) a.F. durch das Änderungsgesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl I 1864) mit Wirkung ab 1. Januar 2012 über § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 45 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) über das Gesuch das Sozialgericht zu entscheiden hat, dem der abgelehnte Richter angehört. Auch ohne ausdrückliche Übergangsregelung folgt das aus den intertemporalen Verfahrensgrundsätzen, nach denen die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs sich nach dem Recht richtet, welches im Zeitpunkt seines Eingangs - hier bis 31. Dezember 2011 - gegolten hat (Kopp, "Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts" in SGb 1993, S. 593 (601) m.w.N.).
Das Gesuch der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Kläger werfen Richter am Sozialgericht U. vor, durch die Androhung der Verhängung von sog. Missbrauchskosten in Höhe von bis zu 700 Euro zu versuchen, sie zur Rücknahme ihres Antrages auf Durchführung der mündlichen Verhandlung - und damit letztlich auch ihrer Klage - zu bewegen.
Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 42 ZPO ist ein Richter auf das zulässige Ablehnungsgesuch eines Verfahrensbeteiligten von der Ausübung des Richteramtes im Rechtsstreit auszuschließen, in dessen Person gesetzliche Ausschließungsgründe vorliegen oder der die Besorgnis der Befangenheit begründet (§ 42 Abs. 1 ZPO). Die Besorgnis der Befangenheit ist anzunehmen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist, sondern allein darauf, ob ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann (BSG SozR - 1500 § 60 Nr. 3). Für die Besorgnis der Befangenheit müssen aber objektive Gründe vorliegen, die - vom Standpunkt des Ablehnenden aus - bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung rechtfertigen, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Antragstellers reichen hingegen nicht aus, die Besorgnis der Befangenheit eines Richters zu begründen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 60 RdNr. 7 m.w.N.).
Unrichtige oder für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen oder Tatsachenausführungen eines Richters sind grundsätzlich nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen (Senat, Beschluss vom 5. Oktober 2011 - L 4 SF 1488/11). Es müssen vielmehr objektive Gründe dafür dargetan werden, die dafür sprechen, dass eine mögliche Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten beruht oder willkürlich im Sinne einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit ist (BSG, Beschluss vom 10. Dezember 2010 - B 4 AS 97/10 B m.w.N., juris). Unterschiedliche Auffassungen zwischen Richtern und Verfahrensbeteiligten in materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen Fragen bieten ohne besondere weitere Anhaltspunkte ebenfalls keinen Anlass zu einer begründeten Besorgnis der Befangenheit. Eine Befangenheit ist vielmehr nur dann zu besorgen, wenn die Fehlerhaftigkeit der richterlichen Meinungsäußerung bzw. in Betracht gezogenen verfahrensrechtlichen Maßnahme auf einer unsachlichen, nicht mehr neutralen Einstellung des Richters gegen den betroffenen Beteiligten oder auf Willkür im konkreten Fall beruht. Von einer auf Willkür beruhenden Rechtsauffassung bzw. Verfahrenshandlung kann jedoch nur dann gesprochen werden, wenn sie bei verständiger Würdigung schlechterdings nicht mehr verständlich erscheint oder offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BayLSG, Beschluss vom 29. April .2002 - L 5 AR 28/02 RJ m.w.N., juris).
In der Androhung von Missbrauchskosten kann vorliegend kein Verhalten erkannt werden, welches geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Die Auferlegung von Gerichtskosten nach § 192 Abs. 1 SGG mit dem Vorwurf der Missbräuchlichkeit über die Rechtslage hinaus, erfordert einen Vorwurf gegenüber dem Beteiligten, der es nahelegt, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl die Aussichtslosigkeit für ihn erkennbar ist. Die fehlende Aussichtslosigkeit des fortgeführten Klageverfahrens war für die Kläger durch die Ausführunge...