Entscheidungsstichwort (Thema)

Betreibung der Feststellung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung durch den Sozialhilfeträger. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Kausalitätsprüfung. keine allumfassende Pflicht eines Rentenversicherungsträgers zur Information der Versicherten über einen möglichen Rentenanspruch. elektronische Datenerfassung von Beschäftigten mit einer Behinderung in einer Werkstatt für behinderte Menschen. keine Aussage über die Erfüllung der Voraussetzungen des § 43 Abs 6 SGB 6 nach einer Wartezeit von 20 Jahren

 

Orientierungssatz

Wird im Rahmen einer Betreibung der Feststellung einer Erwerbsminderungsrente nach § 95 SGB 12 ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung geltend gemacht, lässt sich bei der Kausalitätsprüfung aus § 109 SGB 6 keine Pflicht des Rentenversicherungsträgers ableiten, ggf durch EDV sicherzustellen, alle Versicherten zu informieren, sobald die Möglichkeit eines Rentenanspruchs besteht, auch solcher Ansprüche, die - wie § 43 Abs 6 SGB 6 - ggf erheblicher weiterer Ermittlungen bedürfen. EDV-technisch zu erfassen, wer in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt ist, besagt nichts darüber, dass damit nach einer Wartezeit von 20 Jahren der Tatbestand des § 43 Abs 6 SGB 6 per se erfüllt ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 28.02.2024; Aktenzeichen B 5 R 143/23 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. September 2020 aufgehoben und die Klagen abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten für die von der Klägerin für die Beigeladene erhobene Klage und eingelegte Berufung zu erstatten.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens wegen eines Erstattungsanspruchs gegen die Beklagte zu tragen, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt als Sozialhilfeträger von der Beklagten, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung der Versicherten B (nachfolgend Beigeladene) bereits ab 1. Januar 2014 bewilligt und die hieraus resultierende Nachzahlung an ihn erstattet wird.

Die Beigeladene ist am 8. Februar 1968 geboren und von Geburt wegen einer geistigen Behinderung mit Anfallsleiden voll erwerbsgemindert.

Sie bezog seit 1988 eine Invalidenrente nach der Rentenverordnung der ehemaligen DDR. Seit dem 1. Juli 1991 arbeitete sie in einer Werkstatt für behinderte Menschen (Lebenshilfewerk W/A e.V.). Darüber hinaus erhielt sie Sozialhilfeleistungen (nach dem BSHG bzw. dem SGB XII).

Mit Bescheid von Ende 1991 wurde die Invalidenrente der Beigeladenen auf Grund des ab 1. Januar 1992 geltenden neuen Rentenrechts (SGB VI) umgewertet und seitdem als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit geleistet. Der Rentenanspruch enthielt einen Vorschuss auf einen Sozialzuschlag. Mindestens seit 1994 wurde dem Landessozialamt Thüringen die Rente überwiesen.

Am 5. Oktober 1994 beantragte die Beigeladene einen Sozialzuschlag zu ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente. Zur Prüfung des Anspruchs wurde eine Bescheinigung des Lebenshilfewerk W/A e.V. vom 28. September 1994 beigefügt, in der die Tätigkeit der Beigeladenen seit 1. Juli 1991 und die von ihr bis zum Antragsdatum erzielten Verdienste aufgeführt wurden.

Mit Bescheid vom 9. November 1994 wurde der Anspruch der Beigeladenen ab 1. Januar 1992 neu berechnet und eine Überzahlung in Höhe von 1.477,92 DM festgestellt. Die Erstattung der Überzahlung forderte die Beklagte von dem Landessozialamt.

Nachfolgend wurde der Rentenanspruch nach§ 307 a SGB VI (Anrechnung von Hinzuverdienst) mehrfach neu berechnet. Erstattungen wegen Überzahlungen wurden anschließend beim Landessozialamt geltend gemacht.

Der Kläger (Landkreis Weimarer Land) ist für die Leistung nach dem SGB XII an die Beigeladene seit dem 1. Juli 2003 zuständig.

Mit Schreiben vom 14. Februar 2018 (bei der Beklagten am 16. Februar 2018 eingegangen) wandte sich die Betreuerin der Beigeladenen (V, Bestellung am 11. Juni 2004; Bl. 86 der Verwaltungsakte der Beklagte - VA) an die Beklagte. Sie sei seitens des Sozialhilfeträgers, dem Landratsamt Weimarer Land, als bestellte Betreuerin aufgefordert worden, für die Beigeladene einen Antrag auf „Änderung der Rentenzahlung“ zu stellen. Eine Kopie des Schreibens werde beigefügt. Insofern beantrage sie für die Beigeladene die Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach 20 Jahren Tätigkeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung.

Das an die Betreuerin gerichtete Schreiben vom 12. Februar 2018 (Bl. 106 VA) lautet wie folgt:

Im Betreff:

„Antrag auf volle Erwerbsunfähigkeitsrente - 20 Jahre Wartezeit bei Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM); hier: Aufforderung zur Antragstellung auf volle Erwerbsunfähigkeit nach 20 Jahren Werkstattbesuch“.

Der Text lautet:

„Ihre Betreute B erhält derzeit laufende Sozialhilfeleistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel SGB XII in Form von Hilfe zum selbstbestimmten Leben in einer Wohneinric...

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