Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen. Werkstatt für Behinderte. Nichtanwendung des § 44 Abs 1 SGB 1. Vereinbarung prospektiver Pflegesätze. öffentliche rechtlicher Vertrag

 

Orientierungssatz

1. Paragraph 44 Abs 1 SGB 1 ist nicht auf die Regelung der Kostentragung für Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen einer Maßnahme, die einem behinderten Menschen nach dem BSHG gewährt wird, anzuwenden.

2. Die Abgeltung von Erstattungsforderungen für Sozialversicherungsbeiträge (Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung) durch die Vereinbarung prospektiver Pflegesätze nach § 93 Abs 2 BSHG ist weder vom Gesetzgeber gewollt noch automatisch mit deren Abschluss erfolgt.

3. Vereinbarungen nach § 93 Abs 2 BSHG stellen öffentlich-rechtliche Verträge iS der §§ 53ff SGB 10 dar und unterliegen der Schriftform.

 

Normenkette

SGB I § 44 Abs. 1; BSHG § 93 Abs. 2; SGB X § 53 Abs. 1, § 56; SGB IV § 27 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Altenburg (Urteil vom 06.09.2000; Aktenzeichen S 5 SF 1928/99)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von  Sozialversicherungsbeiträgen (Renten-, Kranken- und  Pflegeversicherungsbeiträge) in Höhe von 578.144,47 Euro (1.130.752,30 DM  dividiert durch den Umrechnungsfaktor 1,95583) nebst Zinsen in Höhe von  vier vom Hundert seit dem 1. Mai 1999.

Die Klägerin als anerkannte Werkstätte für Behinderte, ist als  gemeinnützige GmbH 1991 entstanden. Ausweislich ihrer Öffentlichkeitsarbeit  ist sie aus diakonischen Einrichtungen, staatlichen  Gesundheitseinrichtungen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik  (DDR) und einer Lebenshilfekreisvereinigung entstanden. Sie unterhält  mehrere Werkstätten.

Für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 1998 hat die Klägerin  für die in den Werkstätten . und . beschäftigten Behinderten Kranken- und  Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 1.117.152,95 DM sowie  Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 512.518,54 DM gezahlt. Erstattet  wurden davon im Kostenansatz 498.919,19 DM. Den Differenzbetrag in Höhe von  1.130.752,30 DM meldete die Klägerin im März 1999 bei der Beklagten zur  Erstattung an (Schreiben vom 10. März 1999). Diese Zahlen sind zwischen den  Beteiligten unstreitig (Sitzungsniederschrift vom 28. März 2001).

Nachdem sich der Beklagte weigerte, die von der Klägerin geltend gemachten  Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, hat diese am 7. Oktober 1999 vor dem  Sozialgericht Altenburg Klage erhoben und ausgeführt, dass ein gesetzlicher  Anspruch auf Erstattung restlicher Sozialversicherungsbeiträge bestehe.  Diese seien nicht von den Pflegesätzen umfasst.

Das Sozialgericht Altenburg hat den Beklagten mit Urteil vom 6. September  2000 verurteilt, an die Klägerin 1.130.752,30 DM nebst Zinsen in Höhe von  vier vom Hundert ab dem 1. Mai 1999 zu zahlen. Zur Begründung hat das  Sozialgericht ausgeführt, dass der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin  gezahlte Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten (§ 251 Abs. 2 des Fünften  Buches Sozialgesetzbuch (SGB V),§ 179 Abs. 1 des Sechsten Buches  Sozialgesetzbuch (SGB VI),§ 59 Abs. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch   (SGB XI) ). Der Beklagte könne gegen die Forderung der Klägerin nicht  einwenden, dass diese bereits erfüllt sei. In den prospektiv vereinbarten  Pflegesätzen seien Sozialversicherungsbeiträge nicht enthalten.

Gegen die Entscheidung des Sozialgerichts trägt der Beklagte mit der  Berufung vor, dass ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des  erstinstanzlichen Urteils bestünden. Für den streitgegenständlichen  Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1998 seien die  Sozialversicherungsbeiträge Bestandteil der vereinbarten Pflegesätze  gewesen. Als Bestandteil der jährlich neu zu verhandelnden Pflegesätze  seien immer auch die streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge  behandelt worden. Der Antrag vom 21. April 1995, welcher Bestandteil der  Pflegesatzvereinbarung und damit Inhalt des berechneten Pflegesatzes  gewesen sei, habe die Sozialversicherungsbeiträge enthalten. Im Weiteren  sei der Antrag auf Anfrage entsprechend dem tatsächlichen Ist korrigiert  worden (Fax vom 28. April 1995). Auch der Prüfbericht vom 2. Mai 1995 durch  das Landessozialamt weise auf Blatt 5 sowie auf Blatt 8 die im Pflegesatz  berücksichtigten Sozialversicherungsbeiträge aus. In den Änderungen zum  vorläufigen Bericht des prospektiven Tageskostensatzes ab dem 1. April 1995  (vom 30. Mai 1995) sei unter Rubrik "SV-Behinderte" nochmals ausführlich  auf die Vereinbarung diesbezüglich und eventuell vorzunehmender Korrekturen  hingewiesen worden. Für die Beteiligten sei daher eine Vereinbarung  inklusive der Sozialversicherungsbeiträge für den gesamten  streitgegenständlichen Zeitraum wirksam zustande gekommen. Dabei komme es  nicht darauf an, ob ein Verlust auf Seiten der Klägerin eingetreten sei.  Ein Gewinn- bzw. Verlustausgleich finde durch die Vereinbarung der  prospektiv vereinbarten Entgelte gerade nicht statt. Die Vereinbarung von  Pflegesätzen stelle für beide Vertra...

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