Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachversicherung. Abhaltung des Rentenversicherungsträgers von der Geltendmachung des Beitragsanspruchs aufgrund fehlerhaften Handelns des Nachversicherungsschuldners. Organisationsverschulden. Vorsatz. Fahrlässigkeit. Säumniszuschlag. Rechtsmissbräuchlichkeit der Verjährungseinrede

 

Orientierungssatz

1. Beim Organisationsverschulden ist wie auch sonst zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu unterscheiden. Sind bewusst Maßnahmen zur Sicherstellung einer gesetzlichen Verpflichtung - hier die Nachentrichtung von Beiträgen - unterlassen oder nicht ausreichend organisiert worden, liegt Vorsatz vor; ausreichend ist dabei, dass die Verletzung der Pflicht billigend in Kauf genommen worden ist. Fehlt es infolge leichtfertigen Verhaltens an ausreichenden Maßnahmen zur Sicherstellung der Pflichterfüllung liegt dagegen in der Regel nur Fahrlässigkeit vor, auch wenn die Sorgfaltspflicht gegebenenfalls in besonders schwerem Maße verletzt ist.

2. Das Sicherstellen der Kenntnisnahme von Dienstanweisungen gehört gleichfalls zu den Organisationspflichten der Behörde. Das Verfahren der Kenntnisnahme der Dienstanweisung war offensichtlich geregelt, indes bestand offenbar ein Vollzugsdefizit. Ein Vollzugsdefizit ist nicht dem Bereich des Organisationsverschuldens zuzurechnen. Mit dem Versagen einzelner Mitarbeiter muss unabhängig von der Organisation immer gerechnet werden. Hieraus darf aber nicht geschlussfolgert werden, dass für sämtliche Eventualitäten gesondert Dienstanweisungen zu erteilen sind, was faktisch auch kaum möglich sein dürfte. Das Fehlen einer solchen (zusätzlichen) Anweisung zur Sicherstellung der Nachversicherung begründet kein vorsätzliches Organisationsverschulden, sondern allenfalls Fahrlässigkeit.

3. Die Frage des Organisationsverschuldens stellt sich nicht nur dann, wenn sich der Dienstherr bei der Betreuung der aktiven Beschäftigten einerseits und der bei der Nachversicherung ausgeschiedenen Beschäftigten andererseits zweier Behörden bedient.

4. Ein qualifiziertes bzw pflichtwidriges Unterlassen gebotener Maßnahmen durch die zuständige Behörde lässt die spätere Berufung auf die Verjährungseinrede als rechtsmissbräuchlich erscheinen. Insbesondere gilt dies dann, wenn allein dieses objektiv pflichtwidrige Unterlassen ursächlich dafür ist, dass der Gläubiger keine Kenntnis von seinem Anspruch erhält. Auch durch ein solches Unterlassen hat der Schuldner den Gläubiger von der Geltendmachung seines Anspruchs "abgehalten" mit der Folge, dass die Einrede der Verjährung durch den Schuldner eine unzulässige Rechtsausübung darstellt. Auf ein Verschulden des Schuldners kommt es nicht an (vgl BSG vom 27.6.2012 - B 5 R 88/11 R = BSGE 111, 107 = SozR 4-2600 § 233 Nr 2 und BVerwG vom 26.1.1966 - VI C 112.63 = BVerwGE 23, 166). Bezüglich der Nachversicherungsbeiträge (und damit auch der Säumniszuschläge als Nebenforderung ist festzuhalten, dass es gesetzliche Pflicht des Dienstherrn ist, den ausgeschiedenen Beamten unverzüglich nachzuversichern, ohne dass es irgendeines Zutuns des Rentenversicherungsträgers bedarf. Verletzt er diese Pflicht dürfte sich die Berufung auf die Einrede der Verjährung grundsätzlich als rechtsmissbräuchlich darstellen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 02.11.2015; Aktenzeichen B 13 R 35/14 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 8. Dezember 2012 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren auf 4.465,00 Euro und für das Berufungsverfahren auf 1.757,50 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten sind Säumniszuschläge in Höhe von (noch) 1.414,50 Euro.

Die im Jahre 1970 geborene Frau A. G. stand vom 1. September 1997 bis 31. August 1999 als Beamtin auf Widerruf (Lehramtsanwärterin) im Dienste des Klägers. Anschließend war sie als angestellte Lehrerin für den Kläger tätig.

Von diesem Sachverhalt erhielt die Beklagte im Zuge eines Kontenklärungsverfahrens der Frau G. Kenntnis und fragte bei dem Kläger im August 2007 wegen der Nachversicherung der ehemaligen Beamtin an. Der Kläger überwies am 18. September 2007 Nachversicherungsbeiträge in Höhe von 5.352,80 Euro bei Wertstellung zum 21. September 2007.

Mit Schreiben vom Mai 2008 hörte die Beklagte den Kläger zur Erhebung von Säumniszuschlägen an. Dieser antwortete unter dem 4. November 2008, der Anspruch auf Säumniszuschläge sei verjährt. Es greife die kurze Verjährungsfrist nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Um eine zeitnahe Aufnahme als Angestellte zu gewährleisten, sei die Besoldungsakte innerhalb der Zentralen Gehaltsstelle alsbald an das für die Vergütung der Angestellten zuständige Referat weitergeleitet worden. Die dort zuständige Bearbeiterin habe das Weiterleiten der Akten an das für die Nachversicherung zuständige Referat Versorgung versehentlich unterlassen. Nach der Anfrage vom August 2007 habe man die Nachversicherung unverzügli...

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