Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollzug der Schließung eines Internats vorübergehend ausgesetzt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 45 Abs. 2 Satz 7 SGB VIII gilt sowohl für die Widerrufsverfügung als auch – mit Blick darauf, dass diese keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat – für die erlassene Schließungsverfügung.

2. Läßt sich der Weiterbetrieb einer Einrichtung nicht mehr rechtfertigen, ist der Antragsgegner als Landesjugendamt im Interesse des Kindeswohls jedoch gehalten, durch eine entsprechende Ausgestaltung seiner Maßnahme sicherzustellen, dass die mit dem ggf. anstehenden Wechsel des Lebensorts verbundenen Beeinträchtigungen für die betroffenen Schüler nicht über das unvermeidbare Maß hinausgehen und nicht ihrerseits dem Kindeswohl abträglich sein können.

 

Normenkette

VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1 Alt. 1; AGVwGO § 20; SGB VIII §§ 44, 45 Abs. 2 Sätze 5, 7, § 47 S. 1 Nr. 1, S. 2; SGB X §§ 45, 47

 

Nachgehend

OVG des Saarlandes (Beschluss vom 11.08.2010; Aktenzeichen 3 B 178/10)

 

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 05.05.2010 – 11 K 444/10 – gegen die Schließungsverfügung wird bis zum Ende des laufenden Schuljahres (02.07.2010) angeordnet.

2. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

3. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Antragsteller zu 7/8 und der Antragsgegner zu 1/8.

4. Der Gegenstandswert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 05.05.2010 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23.04.2010, durch den die Betriebserlaubnis des Antragstellers widerrufen (Widerrufsverfügung) und ihm unter Setzung von Vollzugsfristen die Schließung seines Internats (einschließlich der nicht genehmigten Einrichtungsteile) aufgegeben wurde (Schließungsverfügung), ist zulässig. Insbesondere ist der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO statthaft, da die Klage aufgrund von §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 45 Abs. 2 Satz 7 SGB VIII keine aufschiebende Wirkung hat.

Der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 45 Abs. 2 Satz 7 SGB VIII gilt sowohl für die Widerrufsverfügung als auch – mit Blick darauf, dass diese keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat – für die erlassene Schließungsverfügung. Durch diese wird zugleich konkretisiert, welches normgemäße Verhalten der Antragsgegner vom Antragsteller für die gesamte Einrichtung (sei sie einmal genehmigt gewesen oder ohne Genehmigung betrieben worden) erwartet.

Die Regelung des § 45 Abs. 2 Satz 5 SGB VIII ist gegenüber den allgemeinen Vorschriften zum Widerruf und der Rücknahme im Sozialrecht (§§ 45,47 SGB X) eine Spezialreglung, die dem Umstand Rechnung trägt, dass die hier getroffenen Maßnahmen dem Schutz der untergebrachten Kinder und Jugendlichen zu dienen bestimmt sein sollen. Der Gesetzgeber bringt durch die Regelung des § 45 Abs. 2 Satz 7 SGB VIII zum Ausdruck, dass das im Kindeswohl begründete öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Maßnahmen von vorneherein höher als das Interesse des Trägers der Einrichtung an der aufschiebenden Wirkung zu bewerten ist. Um den so umrissenen Gesetzeszweck erreichen zu können, muss auch eine zum Zwecke der Vorbereitung der Vollstreckung erlassene Schließungsverfügung hinsichtlich der Vollziehbarkeit das Schicksal der Widerrufsverfügung teilen. Ansonsten entstünde die diesem Regelungszweck zuwiderlaufende Konstellation, dass sowohl die Widerrufsverfügung als auch eventuelle Vollstreckungsmaßnahmen (diese dann gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20 AGVwGO) ohne gesonderte behördliche Anordnung sofort vollziehbar wären, während die Klage gegen die Schließungsverfügung aufschiebende Wirkung hätte bzw. die Behörde insofern die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO anordnen müsste. Gerade dies soll aber durch die Regelung des § 45 Abs. 2 Satz 7 SGB VIII vermieden werden. (Vgl. in diesem Sinne auch Mörsberger in Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. § 45 Rdnr. 66)

Der Antrag hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung, bei der zwischen dem durch Gesetz geregelten Sofortvollzug und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen ist. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Prüfung – wie vorliegend –, dass der Rechtsbehelf im Wesentlichen offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.

Gegen den auf § 45 Abs. 2 Satz 5 SGB VIII gestützten Widerruf der am 14.09.2007 erteilten Betriebserlaubnis bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Vorschrift des § 45 Abs. 2 Satz 5 SGB VIII setzt vor...

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