Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den prozessualen Mitwirkungspflichten
Leitsatz (NV)
- Die Grundzüge eines fairen Verfahrens gelten nicht nur für das Gericht, sondern ‐ modifiziert ‐ auch für die Beteiligten des finanzgerichtlichen Verfahrens. Die Ablehnung eines erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags auf Hinzuziehung eines Dolmetschers ist daher i.d.R. nicht verfahrensfehlerhaft, wenn der Kläger im gesamten Verfahrensverlauf, weder vor noch nach Klageerhebung, Sprachschwierigkeiten geltend gemacht oder auch nur zu erkennen gegeben hat.
- Zum Erfordernis der Konkretisierung, wenn die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt wird.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2, 3 S. 3, § 155; GVG § 185 Abs. 1 S. 1
Gründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg - teils, weil es nicht in der erforderlichen Weise begründet wurde (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), teils, weil die Verfahrensfehler, welche die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend machen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), nicht vorliegen.
1. Von vornherein in diesem Verfahren nicht gehört werden können die Kläger mit Einwänden gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils (s. dazu z.B. den Senatsbeschluss vom 8. September 1999 X B 36/99, BFH/NV 2000, 323; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 115 Rz. 58 und 62, m.w.N.). Das gilt vor allem für alle Angriffe gegen die Schätzungsbefugnis des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) nach §§ 158, 162 Abs. 1 und Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und des Finanzgerichts (FG) gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 158, 162 Abs. 1 und Abs. 2 AO 1977, gegen die Höhe der den angefochtenen Bescheiden zu Grunde liegende, vom FG im Ergebnis bestätigte Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sowie gegen die hierbei angewandten Methoden (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. September 1998 III B 74/98, BFH/NV 1999, 488, und vom 1. Dezember 1998 III B 78/97, BFH/NV 1999, 741).
2. Die von den Klägern gerügten Verfahrensfehler sind, sofern überhaupt in der gebotenen Weise "bezeichnet", nicht gegeben.
a) Auf den Verfahrensverstoß, der darin liegen soll, dass das FG dem erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, einen Dolmetscher hinzuzuziehen (§ 155 FGO i.V.m. § 185 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes ―GVG―) abgelehnt hat, können sich die Kläger jedenfalls deshalb mit Erfolg nicht berufen, weil sie es insoweit versäumt haben, ihren prozessualen Obliegenheiten nachzukommen (vgl. dazu Beschlüsse des BFH vom 5. Mai 2000 VIII B 122/99, BFH/NV 2000, 1233, 1234; des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 16. Januar 1963 1 BvR 316/60, BVerfGE 15, 256, 267, und des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 4. Juli 1983 9 B 10275.83, Deutsches Verwaltungsblatt ―DVBl― 1984, 90, 91; Gräber, a.a.O., § 119 Rz. 13, m.w.N.). In Erfüllung ihrer prozessualen Mitwirkungspflichten hätten die Kläger rechtzeitig entweder das Gericht auf etwaige Verständigungsmängel hinweisen oder selbst für die Anwesenheit eines Dolmetschers sorgen müssen. Eine solche Verpflichtung ergab sich hier aus ihrem vorangegangenem Verhalten, weil die von Beginn an, im außergerichtlichen wie im gerichtlichen Verfahren, fachkundig vertretenen Kläger zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben hatten, dass sie der deutschen Sprache nicht in ausreichendem Maße mächtig seien, vor allem weder in der eingehenden Besprechung mit dem FG-Prüfer am 5. Mai 1999, an welcher der Kläger persönlich teilnahm, noch nach Erhalt der mit dem Hinweis auf § 91 Abs. 2 FGO versehenen Ladung und nicht einmal in den unmittelbar vor dem Termin eingereichten Schriftsätzen vom 13. und 14. Dezember 1999. Dem in Widerspruch hierzu und überraschend erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Zuziehung eines Dolmetschers ist daher das FG zu Recht nicht gefolgt. Der erfolgreichen Berufung auf § 155 FGO i.V.m. § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG und dem hierauf gestützten Vertagungsantrag standen, unabhängig vom Wahrheitsgehalt der plötzlichen Behauptung von Sprachschwierigkeiten, die nicht nur für das Gericht, sondern auch für alle Verfahrensbeteiligten geltenden Grundsätze eines fairen Verfahrens entgegen.
b) Auch mit der Rüge, ihr Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) sei dadurch verletzt, dass die Ladung des FG-Prüfers zur mündlichen Verhandlung unterblieben sei und dessen Berechnungen bzw. die diesen Berechnungen zu Grunde liegenden Formeln nicht mitgeteilt worden seien, können die Kläger nicht durchdringen. Die Verfahrensmängel, die hierin liegen sollen, sind nicht i.S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO bezeichnet worden. Die Kläger haben es versäumt, substantiiert und in sich schlüssig vorzutragen, was genau sie ―aus der materiell-rechtlichen Sicht des FG― an Entscheidungserheblichem noch vorgetragen hätten, wenn es zu den gerügten Verfahrensfehlern nicht gekommen wäre (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 23. Juni 1998 V B 13/98, BFH/NV 1999, 316, und vom 15. März 1999 VII B 182/98, BFH/NV 1999, 1229; Gräber, a.a.O., § 115 Rz. 33, 65).
Angesichts des Umstandes, dass die Schätzung des FA durch die von der Vorinstanz übernommene Nachkalkulation des FG-Prüfers dem Grunde und (im Ergebnis) der Höhe nach bestätigt wurde und diese umfangreiche, detaillierte Verprobung den Beteiligten ausführlich mündlich (in der Besprechung vom 5. Mai 1999) wie schriftlich (in den Schreiben vom 12. Mai und 5. August 1999) erläutert worden war, hätte es präziser, stichhaltiger Einwände gegen die der Nachkalkulation zu Grunde liegenden Erwägungen und Berechnungen bedurft, um darzutun, dass das angefochtene Urteil auf den behaupteten Verfahrensverstößen beruhen kann.
aa) Im Hinblick auf den tatsächlichen Prozessverlauf ist zudem unklar, inwiefern mündliche Äußerungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu einem anderen Prozessausgang hätten führen können. Der allgemein gehaltene Hinweis auf die dem Kläger genommene Möglichkeit, "aus seiner persönlichen Sicht die Dinge darzustellen und dem Gericht darzulegen, weshalb die … Kalkulationen und … Nachberechnungen nicht zutreffend sein können, den tatsächlichen Ablauf in der Eisdiele … nicht wiedergeben und … wichtige Tatbestände nicht berücksichtigen", genügt den gesetzlichen Anforderungen an die Beschwerdebegründung nicht, zumal es um die Beurteilung einer Schätzung ging, die wegen unzureichender Erfassung der täglichen Kasseneinnahmen und -ausgaben erforderlich geworden war. Auch auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von der Glaubwürdigkeit des Klägers konnte es in diesem Zusammenhang nicht ankommen.
Unter den gegebenen Umständen braucht auch die Möglichkeit eines Ermessensfehlers i.S. des § 82 FGO i.V.m. § 411 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung nicht in Betracht gezogen zu werden (s. dazu auch Gräber, a.a.O., § 82 Rz. 37, m.w.N.).
bb) Inwiefern es angesichts der konkreten Schätzungssituation und der ausführlichen Erläuterungen im Rahmen der Nachkalkulation auf die Kenntnis der "in dem Computerprogramm des Beklagten hinterlegten Berechnungsformeln" ankommen soll, ist unerfindlich.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).
Fundstellen
Haufe-Index 547059 |
BFH/NV 2001, 610 |