Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzen des Verfahrens über Folgebescheid bei Anfechtung des Grundlagenbescheids
Leitsatz (NV)
Es ist regelmäßig geboten und zweckmäßig, daß das FG das Verfahren betreffend den Einkommensteuerbescheid nach § 74 FGO aussetzt, solange unklar ist, ob die Anfechtung des nachträglich ergangenen Feststellungsbescheids über Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung Erfolg haben wird. Das gilt auch dann, wenn der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid zusätzlich einwendet, das FA habe das Recht zur Änderung des Einkommensteuerbescheides verwirkt.
Normenkette
FGO § 74; AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) erwarben im Bauherrenmodell eine Eigentumswohnung in M. Das damals für die Einkommensteuerfestsetzung zuständige Finanzamt (FA) erkannte den von den Klägern geltend gemachten Überschuß der Werbungskosten über die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 1979 erklärungsgemäß an. Mehr als fünf Jahre nach Unanfechtbarkeit des Einkommensteuerbescheides erließ das FA für die Bauherrengemeinschaft einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit einem geringeren als dem bisher berücksichtigten Werbungskostenüberschuß. Der inzwischen für die Einkommensteuerfestsetzung der Kläger zuständig gewordene Beklagte und Beschwerdeführer (FA) änderte daraufhin den Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Nach erfolglosem Vorverfahren wandten sich die Kläger gegen den Einkommensteueränderungsbescheid mit der Begründung, die Klage werde vorsorglich für den Fall erhoben, daß ihr Rechtsbehelf gegen den Feststellungsbescheid erfolglos bleiben sollte. Für diesen Fall werde die Klage damit begründet werden, daß das FA den Einkommensteuerbescheid wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs nicht mehr nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 habe ändern dürfen.
Das Finanzgericht (FG) setzte das Klageverfahren durch Beschluß gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den Feststellungsbescheid aus.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des FA. Das FG habe das Klageverfahren zu Unrecht ausgesetzt. Der Rechtsstreit sei entscheidungsreif gewesen. Da der Grundlagenbescheid bindend sei, habe das FG lediglich zu entscheiden brauchen, ob die Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 statthaft gewesen sei. Wenn das Rechtsbehelfsverfahren gegen den Grundlagenbescheid Erfolg haben sollte, werde das FA die Änderung des Einkommensteuerbescheids rückgängig machen. Die Aussetzung habe außerdem zur Folge, daß auch kostenmäßig die Frage nach dem Obsiegen oder Unterliegen des FA in der hier anhängigen Sache von Fragen abhängig gemacht werde, über die es im Hinblick auf § 182 Abs. 1 AO 1977 nicht zu entscheiden habe.
Das FA beantragt, den Beschluß des Niedersächsischen FG vom 26. November 1987 aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat das Verfahren in der Einkommensteuersache 1979 rechtsfehlerfrei bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen den Grundlagenbescheid ausgesetzt.
Die Entscheidung über die Aussetzung nach § 74 FGO steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Da nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Klage gegen einen Folgebescheid auch insoweit zulässig ist, als Einwendungen gegen den Grundlagenbescheid erhoben werden und eine zunächst unbegründete Klage durch eine Änderung des Grundlagenbescheids begründet werden kann, ist es regelmäßig geboten und zweckmäßig, daß das FG den Streit um die Rechtmäßigkeit des Folgebescheides aussetzt, solange noch unklar ist, ob und wie der angefochtene Grundlagenbescheid geändert wird (Beschluß vom 27. September 1972 I B 27/72, BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24; Urteil vom 24. April 1979 VIII R 57/76, BFHE 128, 136, BStBl II 1979, 678; Beschluß des erkennenden Senats vom 10. August 1987 IX B 183/86, BFH/NV 1988, 167; wegen der Zulässigkeit der Anfechtungsklage Urteil vom 2. September 1987 I R 162/84, BFHE 151, 104, BStBl II 1988, 142). Dies gilt auch dann, wenn die Finanzbehörde zunächst einen Steuerbescheid erlassen hat und in der Folge der Feststellungsbescheid nachgeholt wird (vgl. das BFH-Urteil vom 26. Juli 1984 IV R 13/84, BFHE 142, 96, BStBl II 1985, 3, und den Beschluß des erkennenden Senats in BFH/NV 1988, 167).
Der angefochtene Beschluß der Vorinstanz entspricht dieser ständigen Rechtsprechung. Besondere Umstände, die die Aussetzung des Verfahrens ausnahmsweise ermessenswidrig erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Für die Aussetzung des Verfahrens spricht im vorliegenden Fall zusätzlich, daß die Kläger die Anfechtungsklage gegen den Folgebescheid nicht nur mit Einwendungen gegen den Grundlagenbescheid, sondern auch damit begründet haben, der Folgebescheid habe trotz des nachträglich erlassenen Grundlagenbescheids wegen Verwirkung nicht geändert werden dürfen. Den Einwand der Verwirkung (vgl. dazu das BFH-Urteil vom 11. Oktober 1984 IV R 153/82, BFHE 142, 398, BStBl II 1985, 189) können die Kläger nur gegen den Folgebescheid vorbringen. Mit diesem Einwand braucht das FG sich erst zu befassen, wenn das Rechtsbehelfsverfahren gegen den Grundlagenbescheid erfolglos bleiben sollte. Es war daher zweckmäßig, wenn es sich für die Aussetzung des Verfahrens entschied, um den Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Grundlagenbescheid abzuwarten. Das Kostenrisiko des FA wird durch den angefochtenen Beschluß nicht erhöht. Das Risiko, daß das FG den Einwand der Verwirkung für durchgreifend hält und der Anfechtungsklage gegen den Einkommensteuerbescheid deshalb stattgibt, besteht unabhängig von der Aussetzung des Verfahrens.
Fundstellen