Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentlichkeit des Verfahrens; Fehlen von Entscheidungsgründen
Leitsatz (NV)
1. Ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. d. § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO liegt nicht vor, wenn der Kläger rügt, das Urteil sei auf eine mündliche Verhandlung ergangen, bei der die Öffentlichkeit hergestellt gewesen sei, obwohl er den Ausschluß der Öffentlichkeit beantragt habe.
2. Wird das Fehlen der Entscheidungsgründe gerügt, weil das FG sein Urteil hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehen hat, so kommt es für die Schlüssigkeit der Rüge auf die rechtliche Sicht des FG an.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 4-5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Rechtsanwalt. Für das Streitjahr 1987 gab er keine Steuererklärungen ab. Die auf einer Schätzung beruhende gesonderte Feststellung des Gewinns 1987 wurde, adressiert an seine Wohnanschrift ... , am 31. Januar 1992 zur Post gegeben. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 8. April 1992 Einspruch, der am 10. April 1992 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) einging.
Mit Verfügung vom 26. Mai 1992 wies das FA auf die Verspätung des Einspruchs hin und gab dem Kläger unter Hinweis auf § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) Gelegenheit, Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorzubringen. Andernfalls sei von einer Unzulässigkeit der Rechtsbehelfe auszugehen. Mit Einspruchsentscheidung vom 7. März 1994 wurde der Einspruch als unzulässig verworfen. In der Folgezeit sprach der Kläger mehrfach beim FA vor, um mit dem zuständigen Sachbearbeiter über die Umsatzsteuerfestsetzungen und Gewinnfeststellungen 1986 bis 1988 sowie die Adressierung der Bescheide zu sprechen. Am 8. April 1994 ging beim FA dann ein Schreiben des Klägers ein, wonach dieser die "Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide für 1987 und 1988, entsprechend der vorgelegten Gewinnermittlung (Unterlagen), sowie der Umsatzsteuerveranlagungen für 1987 und 1988" beantragte. Dieses Schreiben übersandte das FA mit einem Aktenvermerk des Sachbearbeiters vom 19. April 1994 dem Finanzgericht (FG) am 21. April 1994 als Klageschrift.
Das FG wies die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, ein unbedingter Wille zur Klageerhebung könne frühestens dem Inhalt des Aktenvermerks vom 19. April 1994 entnommen werden. Da die fragliche Einspruchsentscheidung aber bereits am 10. März 1994 zugestellt worden sei, hätte dem Kläger nur unter den Voraussetzungen des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Wiedereinsetzung in die Klagefrist gewährt werden können. Ein Wiedereinsetzungsgrund sei aber weder dargetan noch offenkundig. Eine auf "schlichte Änderung" gerichtete Verpflichtungsklage sei erst nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen einen die Änderung der Schätzung ablehnenden Bescheid zulässig (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Oktober 1993 XI R 17/93, BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439).
Mit seiner dagegen gerichteten Revision, die das FG nicht zugelassen hat, rügt der Kläger, daß das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen sei, bei der Vorschriften des Verfahrens verletzt worden seien und daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat. Ohne vorherige Zulassung durch das FG oder den BFH ist die Revision daher nur zulässig, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. von § 116 Abs. 1 FGO gerügt werden. Ein solcher Verfahrensmangel ist nur dann schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Mängel ergeben (Senatsbeschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568). Der Vortrag des Klägers ergibt nicht schlüssig einen Verfahrensmangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 5 FGO.
a) Der Kläger rügt, das Urteil sei auf eine mündliche Verhandlung ergangen, bei der die Öffentlichkeit hergestellt gewesen sei, obwohl er den Ausschluß der Öffentlichkeit beantragt habe. Abgesehen davon, daß sich ein solcher Antrag weder aus der Urschrift noch aus der Abschrift des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 1995 ergibt und der Kläger auch nicht vorträgt, daß er Protokollberichtigung nach § 94 FGO i. V. m. § 164 der Zivilprozeßordnung (ZPO) beantragt hat, handelt es sich bei dieser Rüge nicht um einen absoluten Revisionsgrund i. S. des § 119 Nr. 5 FGO und damit auch nicht um einen wesentlichen Mangel des Verfahrens gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO, der eine zulassungsfreie Revision ermöglicht. Ergibt sich dies schon aus dem Wortlaut der entsprechenden Vorschriften, so gebietet auch der Zweck dieser Bestimmungen nicht, die Verletzung der Ordnungsschrift des § 52 Abs. 2 FGO etwa im Wege der Auslegung als wesentlichen Verfahrensmangel oder absoluten Revisionsgrund anzuerkennen. Denn die eigentliche Rechtfertigung für die Annahme eines absoluten Revisionsgrundes ist, daß sich die Rechtsprechung unter den Augen der Öffentlichkeit abspielen soll, nicht dagegen, daß private Interessen durch eine nichtöffentliche Sitzung geschützt werden sollen (Senatsbeschluß vom 10. Januar 1995 IV B 108/94, BFH/NV 1995, 803, m. w. N.).
b) Soweit der Kläger rügt, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen, weil es das FG unterlassen habe, seinen ursprünglich protokollierten Vortrag zu würdigen, fehlt es gleichfalls an einer schlüssigen Rüge. Zwar hat der Kläger damit das Fehlen von Entscheidungsgründen und somit einen wesentlichen Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO geltend gemacht. Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO sind jedoch nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, die Mängel ergeben, d. h., wenn sie schlüssig vorgetragen sind (vgl. BFH-Beschluß vom 17. September 1991 X R 19/91, BFH/NV 1992, 750, 751, m. w. N.). Daran fehlt es im Streitfall.
Die Verfahrensrüge des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO betrifft das Fehlen der rechtlichen Begründung des Urteils (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Rdnr. 23). Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen liegt deshalb nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur dann der Fall, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht begründet oder einen eigenständigen Klagegrund oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat, mithin das Urteil bezüglich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehen war (vgl. BFH/NV 1992, 750, 751, m. w. N.).
Der Kläger rügt nicht das völlige Fehlen der Urteilsgründe, sondern nur das Übergehen des Vortrags, der Sachbearbeiter beim FA habe ihm eine Änderung des angefochtenen Bescheids zugesagt. Da das Vorliegen eines Verfahrensmangels aus der rechtlichen Sicht des FG zu beurteilen ist (s. etwa BFH- Beschluß vom 19. Januar 1993 VII R 121/92, BFH/NV 1994, 40), folgt aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, daß das FG -- wie geschehen -- über die Frage einer auf Änderung des Bescheids gerichteten Zusage nicht entscheiden mußte, weil es die Klage wegen Versäumung der Klagefrist für unzulässig hielt und Wiedereinsetzungsgründe nicht anerkannte.
Im übrigen gehört die beanstandete und vom Vorsitzenden Richter wieder gestrichene Passage auf der Rückseite von Blatt 2 des urschriftlichen Protokolls nicht zum notwendigen Inhalt einer Niederschrift (§ 94 FGO i. V. m. § 160 ZPO). Es handelt sich vielmehr um persönliche Notizen des Vorsitzenden, die dieser deshalb wieder gestrichen hat, weil sie nicht in die Abschrift des Protokolls übertragen werden sollten.
Fundstellen
Haufe-Index 421534 |
BFH/NV 1996, 914 |