Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur haftungsrechtlichen Berücksichtigung einer sich aus § 41a Abs. 1 EStG und § 64 Abs. 1 GmbHG ergebenden Pflichtenkollision
Leitsatz (NV)
1. Das in § 64 Abs. 1 GmbHG normierte Gebot der Massesicherung vermag die dem GmbH-Geschäftsführer obliegende Pflicht zur Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer lediglich in den drei Wochen zu suspendieren, die dem Geschäftsführer ab Kenntnis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit eingeräumt sind, um die Sanierungsfähigkeit der GmbH zu prüfen und gegebenenfalls einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.
2. Eine sich aus § 41a Abs. 1 EStG und § 64 Abs. 1 GmbHG ergebende Pflichtenkollision kann nur vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen.
3. Weist das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab, können bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des GmbH-Geschäftsführers nach § 69 AO hypothetische Betrachtungen über eine mögliche Anfechtung etwaiger Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter keine Berücksichtigung finden.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; AO § 69; GmbHG § 64 Abs. 1; InsO § 26 Abs. 1, § 130 Abs. 1; EStG § 41a Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war seit März 2000 bis 31. Januar 2001 alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. Aufgrund des Antrags eines Gläubigers der GmbH vom 10. Januar 2001 wurde zwar die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH geprüft, jedoch der Eröffnungsantrag mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 19. März 2002 nach § 26 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) mangels Masse abgewiesen. In dem Beschluss wurde ausgeführt, dass der Kläger auch nach seiner Abberufung als GmbH-Geschäftsführer noch als faktischer Geschäftsführer tätig gewesen sei. Aufgrund nicht entrichteter Lohnsteuern für das dritte und vierte Quartal 2000 nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Kläger gemäß § 69 i.V.m. §§ 34 und 35 der Abgabenordnung (AO) als Haftungsschuldner in Anspruch. Der Einspruch gegen den Haftungsbescheid führte zu einer Herabsetzung der Haftungsschuld; die Klage hatte indes keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte aus, dass der Haftungsbescheid zu Recht ergangen sei. Auch nach seiner Abberufung als Geschäftsführer sei der Kläger zumindest als faktischer Geschäftsführer tätig gewesen. Seiner Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer sei er zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Abzugsbeträge entfalle nicht dadurch, dass sie möglicherweise mit Schadensersatzverpflichtungen gegenüber der GmbH nach §§ 43, 64 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) oder § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs i.V.m. § 266 des Strafgesetzbuchs (StGB) konkurriere. An der Kausalität der Pflichtverletzung für den beim Fiskus eingetretenen Vermögensschaden ändere nichts, dass der Steuerausfall möglicherweise auch bei einem pflichtgemäßen Verhalten durch eine Anfechtung etwaiger Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter eingetreten wäre. Denn es sei nicht sicher, ob es überhaupt zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder zu einer Ausübung des Anfechtungsrechts durch den Insolvenzverwalter komme. Der Schutzzweck des § 69 AO lasse es nicht geboten erscheinen, hypothetische Kausalverläufe bei der Schadenszurechnung zu berücksichtigen. Zu beachten sei im Streitfall, dass der Kläger selbst keinen Insolvenzantrag gestellt habe. Ermessensfehler bei seiner Inanspruchnahme seien nicht zu erkennen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG richtet sich die Beschwerde des Klägers, die er sinngemäß auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt. Der Kläger ist der Ansicht, dass sich ein GmbH-Geschäftsführer bei pflichtgemäßer Erfüllung seiner Pflicht zur Lohnsteuerentrichtung der Haftung nach § 64 Abs. 2 GmbHG aussetze. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entfalle aufgrund der Pflichtenkollision die Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB für den in § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG angesprochenen Drei-Wochen-Zeitraum. Dieser Auffassung habe sich das FG Berlin in seiner Entscheidung vom 27. Februar 2006 9 K 9114/05 angeschlossen. Mehrere FG hätten die Kausalität der Pflichtverletzung für den Schadenseintritt und damit die Haftung nach § 69 AO in den Fällen in Frage gestellt, in denen bei gedachten Lohnsteuerzahlungen für den Insolvenzverwalter eine Anfechtungsmöglichkeit nach § 129 Abs. 1 i.V.m. § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO bestanden hätte. Es stelle sich die Frage, welche Handlungsalternativen sich dem Geschäftsführer bieten würden. Die Verpflichtung zur Massesicherung nach § 64 GmbHG müsse auch dann gelten, wenn ein Gläubiger den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stelle. Im Streitfall sei die Lohnsteuer für das vierte Quartal 2000 erst am 15. Januar 2001 fällig geworden, d.h. zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden war. In der unterlassenen Abführung der Abzugsbeträge sei jedenfalls kein pflichtwidriges Verhalten zu sehen.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten; es ist der Ansicht, dass der Kläger den von ihm geltend gemachten Zulassungsgrund nicht hinreichend dargelegt habe. Vielmehr versuche er zu belegen, dass Überlegungen aus anderen Verfahren auch auf den Streitfall anzuwenden seien. Eine Darlegung von konkreten Rechtsfragen erfolge indessen nicht.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Senat lässt es unerörtert, ob und inwieweit die Beschwerdebegründung bereits an Mängeln in der Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes leidet (zu den Darlegungserfordernissen vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 25 ff.); denn die vom Kläger behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor.
1. Soweit dem Vorbringen entnommen werden könnte, dass der Kläger die Rechtsfrage geklärt wissen möchte, ob das Gebot der Massesicherung gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG für den Geschäftsführer einer GmbH eine verschuldensrelevante Pflichtenkollision begründet, ist diese Frage bereits durch das Senatsurteil vom 27. Februar 2007 VII R 67/05 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) in dem Sinne geklärt, dass die gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Massesicherung die Verpflichtung zur Vollabführung der Lohnsteuer allenfalls in den drei Wochen suspendieren kann, die einem GmbH-Geschäftsführer ab Kenntnis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der GmbH nach § 64 Abs. 1 GmbHG eingeräumt sind, um die Sanierungsfähigkeit der GmbH zu prüfen und Sanierungsversuche durchzuführen.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass diese Haftungsverschonung dem Kläger im Streitfall jedoch nicht zugute kommen kann, weil die von ihm begangene Pflichtverletzung außerhalb dieses Zeitraumes liegt. Denn ausweislich der Anlage zum Haftungsbescheid war die Lohnsteuer für das dritte Quartal 2000 zum 16. Oktober 2000 abzuführen. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde erst am 10. Januar 2001 gestellt. Sollte die GmbH bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer für das dritte Quartal 2000 überschuldet oder zahlungsunfähig gewesen sein, hätte es der Kläger versäumt, innerhalb der in § 64 Abs. 1 GmbHG festgelegten Frist selbst einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.
Auch hinsichtlich der Lohnsteuer für das vierte Quartal 2000 kann sich der Kläger nicht auf eine entschuldigende Pflichtenkollision aus § 64 GmbHG berufen, denn eine solche kann nur vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung bestehen; im Zeitpunkt der Abführungspflicht war der Fremdantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber bereits gestellt. Im Übrigen ist der Umstand der vermeintlichen Zahlungsunfähigkeit der GmbH, die der Kläger nicht substantiiert belegt hat, --wie auch die Stellung des Insolvenzantrags-- deshalb unbeachtlich, weil eine Pflichtverletzung des Klägers auch schon darin liegt, dass er die Löhne ungekürzt ausgezahlt und Mittel zur Begleichung der Lohnsteuerschuld nicht vorausschauend bereit gehalten hat.
2. Sollte der Beschwerdebegründung die Frage entnommen werden können, ob eine Haftung nach § 69 AO allein deshalb entfalle, weil unter hypothetischer Annahme einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens und einer möglichen Anfechtung etwaiger Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter gemäß den insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften der §§ 130 ff. InsO die an das FA geleisteten Zahlungen zur Masse hätten zurückgewährt werden müssen, wäre diese Frage für den Fall, dass es nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekommen ist, ebenfalls nicht mehr klärungsbedürftig. Denn wie der Senat bereits entschieden hat, könnte sich die Frage nach der Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe allenfalls nur dann stellen, wenn eine gedachte Insolvenzanfechtung hätte Erfolg haben können, d.h. wenn von der Erfüllung der insolvenzrechtlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung nach §§ 130 ff. InsO ausgegangen werden könnte (vgl. Senatsurteil vom 27. Februar 2007 VII R 67/05, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Weist das Insolvenzgericht --wie im Streitfall-- nach § 26 Abs. 1 InsO den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab, steht aber damit fest, dass es zur Ausübung etwaiger Anfechtungsrechte überhaupt nicht kommen kann. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes ist für hypothetische Betrachtungen über eine mögliche Anfechtung und Rückgewähr etwaiger Steuerzahlungen durch das FA von vornherein kein Raum (Senatsbeschluss vom 23. April 2007 VII B 92/06, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).
Fundstellen
Haufe-Index 1799040 |
BFH/NV 2007, 2059 |