Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Inhalt einer Rechtsbehelfsbelehrung; Wiedereinsetzung bei plötzlicher Erkrankung
Leitsatz (NV)
- Einen Hinweis auf die Möglichkeit, Fristverlängerung für die Begründung der Revision zu beantragen, muss die Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthalten.
- Die Versäumung einer Frist aufgrund einer Erkrankung rechtfertigt keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Prozessbevollmächtigte für einen solchen Fall nicht sicher gestellt hat, dass ein Vertreter vorhanden ist oder für fristwahrende Handlungen vom Büropersonal hinzu gezogen werden kann. Trifft er keine Vorsorgemaßnahmen, ist die Fristversäumung nur dann unverschuldet, wenn er plötzlich in einer Weise erkrankt, die es ihm ‐ auch bei Bestellung eines Vertreters ‐ unmöglich gemacht hätte, diesen Vertreter rechtzeitig ausreichend zu informieren.
Normenkette
FGO § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1, § 120 Abs. 2 S. 3
Tatbestand
I. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) legte gegen das am 7. Dezember 2000 verkündete und am 1. März 2001 zugestellte Urteil des Finanzgerichts (FG) mit Schriftsatz vom 15. März 2001 fristgerecht Revision ein, ohne diese zu begründen. Die Revisionsbegründung vom 11. Mai 2001 erreichte den Bundesfinanzhof (BFH) vielmehr erst am 14. Mai 2001. Mit Schreiben vom 15. Mai 2001 teilte der Vorsitzende des erkennenden Senats unter Hinweis auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit, dass die Revisionsbegründungsfrist am 2. Mai 2001 abgelaufen und die Revisionsbegründung somit verspätet eingegangen sei. Der Kläger beantragte daraufhin rechtzeitig wegen des Versäumens der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er macht geltend, die verspätete Begründung der Revision sei nicht auf ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurückzuführen. Dieser habe infolge einer schweren Erkrankung die Revision nicht rechtzeitig begründen können. Aus der beigefügten ärztlichen Bescheinigung geht hervor, dass der Prozessbevollmächtigte "in Folge eines erlittenen Schlaganfalles (…) in der Zeit vom 15. März bis 10. Mai arbeitsunfähig" gewesen sei und keine Termine habe wahrnehmen können.
In einem weiteren Schriftsatz vom 29. August 2001 führt der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, der erlittene Schlaganfall habe eine totale rechtsseitige Lähmung mit sich gebracht, was zu einem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt (eine Woche Intensivstation) geführt habe. Bei einem derartig plötzlich auftretenden und schwerwiegenden Ereignis sei nicht im Geringsten daran zu denken gewesen, organisatorische Planungen vorzunehmen. Auch eine Vertretung innerhalb der Sozietät, der er angehöre, sei nicht möglich gewesen. Denn die Klagesache und das Vorverfahren stammten aus dem Jahre 1997 bzw. 1995. Infolgedessen sei die Sozietät für den Streitfall nicht zuständig. Die Sache werde von ihm persönlich bearbeitet. Auch die Vollmacht sei nur ihm persönlich erteilt worden.
Rein vorsorglich weist der Prozessbevollmächtigte in dem vorgenannten Schriftsatz darauf hin, dass die Rechtsbehelfsbelehrung des FG-Urteils seiner Ansicht nach missverständlich sei. Dort werde ausgeführt, dass gegen das Urteil "innerhalb eines Monats" Revision an den BFH eingelegt werden müsse. Ferner heiße es dort: "Die Revision ist spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen." Die exakte Gesetzesfassung enthalte die Rechtsbehelfsbelehrung offensichtlich nicht. Eine Rechtsbehelfsbelehrung müsse nach herrschender Meinung die vollständigen Rechte des Klägers darstellen. An dieser Vollständigkeit fehle es im Streitfall, denn auf die Möglichkeit eines Fristverlängerungsantrages gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO sei in dem FG-Urteil nicht hingewiesen worden.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig. Sie war gemäß §§ 124 Abs. 1, 126 Abs. 1 FGO zu verwerfen.
Das Urteil des FG wurde am 7. Dezember 2000 verkündet. Die Zulässigkeit der Revision beurteilt sich daher nach den bis 31. Dezember 2000 geltenden Vorschriften (Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757).
1. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO a.F. ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Die Revisionsbegründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden (§ 120 Abs. 1 Satz 2 FGO a.F.).
Das angefochtene Urteil wurde dem Kläger am 1. März 2001 zugestellt. Die innerhalb der Revisionsfrist eingelegte Revision enthielt keine Begründung. Die Revisionsbegründungsfrist lief am 2. Mai 2001 ab. Die erst am 14. Mai 2001 eingegangene Begründung war somit verspätet.
2. Entgegen der Annahme des Klägers war der Anlauf der Rechtsbehelfsfrist nicht gemäß § 55 FGO durch eine unvollständige oder unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung gehemmt. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 FGO muss die Rechtsbehelfsbelehrung außer über den Rechtsbehelf, das Gericht und dessen Sitz auch über die einzuhaltende Frist sowie den Fristenbeginn belehren. Da die Revision zwingend einer Begründung bedarf, muss auch hierüber einschließlich der für die Begründung bestehenden weiteren Frist belehrt werden (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO a.F.; BFH-Urteil vom 12. Februar 1987 V R 116/86, BFHE 149, 120, BStBl II 1987, 438). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Eine Anleitung zur Fristberechnung, insbesondere Informationen über Besonderheiten des Fristablaufs müssen nicht gegeben werden (BFH-Urteil vom 21. August 1980 IV R 73/80, BFHE 131, 443, BStBl II 1981, 70; Brandt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 55 FGO Rz. 21). Die Rechtsbehelfsbelehrung soll nur über den wesentlichen Inhalt der zu beachtenden Vorschriften unterrichten und dem Adressaten der gerichtlichen Entscheidung ermöglichen, ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur Einlegung eines Rechtsmittels einzuleiten (vgl. Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 55 FGO Rz. 14). Ein Hinweis auf die Möglichkeit, Fristverlängerung zur Begründung der Revision zu beantragen, ist daher in der Belehrung nicht erforderlich (vgl. Spindler, a.a.O., § 55 FGO Rz. 20).
3. Wiedereinsetzung gemäß § 56 Abs. 1 FGO wegen der versäumten Revisionsbegründungsfrist kann dem Kläger nicht gewährt werden, weil er nicht ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten. Das Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist ist im Streitfall durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten eingetreten, das sich der Kläger zurechnen lassen muss (§ 155 FGO, § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―).
a) Ein Verschulden i.S. des § 56 FGO ist, jedenfalls wenn es sich um die Fristversäumnis eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts handelt, nur dann zu verneinen, wenn dieser die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet hat (vgl. BFH-Beschluss vom 16. August 1993 VII B 163/93, BFH/NV 1994, 384). Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss daher alles ihm Zumutbare tun, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. Dementsprechend hat er die nach den jeweiligen Umständen gebotene Vorsorge für den Fall zu treffen, dass er unvorhergesehen an der Wahrnehmung seiner Aufgaben, insbesondere an der Wahrung gesetzlicher Pflichten, gehindert wird (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 7. Mai 1982 V ZR 233/81, Versicherungsrecht 1982, 802, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1983, 383, und die Rechtsprechungsnachweise im BFH-Beschluss vom 24. Juli 1992 V R 39/86, BFH/NV 1993, 308). Er muss sicherstellen, dass entweder ein Vertreter vorhanden ist oder das Kanzleipersonal sich an einen solchen wenden kann. Dazu gehört zum Beispiel, die für die Überwachung des Fristenkalenders verantwortliche Bürokraft zu beauftragen, nicht nur auf den drohenden Fristablauf zu achten, sondern bei Abwesenheit oder Erkrankung des Rechtsanwalts oder Steuerberaters auch Fristsachen daraufhin zu überprüfen, ob die Schriftsätze rechtzeitig herausgegangen oder Maßnahmen zur Fristverlängerung getroffen worden sind (vgl. dazu BGH-Urteil vom 26. November 1998 IX ZB 84/98, Anwaltsblatt 1999, 227). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der seine Tätigkeit in einer Steuerberatungssozietät ausübt, hat dazu nichts vorgetragen.
b) Das Fehlen einer geeigneten Vorsorgemaßnahme wirkt sich auf die Versäumung der Rechtsmittelfrist allerdings dann nicht aus, wenn der Prozessbevollmächtigte plötzlich in einer Weise erkrankt, die es ihm ―auch wenn er sich allgemein um einen Vertreter gekümmert hat― unverschuldet unmöglich gemacht hätte, diesen Vertreter rechtzeitig ausreichend zu informieren (BFH-Urteil vom 2. Mai 2001 VIII R 3/00, BFH/NV 2001, 1418, m.w.N.).
c) Aus dem Vortrag des Klägers lässt sich nicht entnehmen, dass sein Prozessbevollmächtigter in den letzten Tagen vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist am 2. Mai 2001 plötzlich und unvorhersehbar erkrankte, wann er den Schlaganfall erlitt und wie lange er infolgedessen arbeitsunfähig und nicht in der Lage war, einen Vertreter zu informieren und zu bitten, für ihn wenigstens rechtzeitig eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist zu beantragen. Aus dem Attest des Arztes ergibt sich nur, dass der Prozessbevollmächtigte bis zum 10. Mai 2001 keine Termine habe wahrnehmen können.
Fundstellen