Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldnerschutz bei Anforderung von Vermögensverzeichnis und eidesstattlicher Versicherung nach § 284 AO 1977 ausreichend gesichert
Leitsatz (NV)
1. Der Senat hält an der Grundsatzentscheidung vom 24. September 1991 VII R 34/90 (BFHE 165, 477, BStBl II 1992, 57) fest, dass sich das FA weder auf die Erklärungen und Darlegungen des Vollstreckungsschuldners zu seiner Vermögenslage, noch auf die Möglichkeit einer freiwillig abgegebenen eidesstattlichen Versicherung i.S. des § 249 Abs. 2 i.V. mit § 95 AO 1977 verweisen lassen muss.
2. Das anzuerkennende Schutzbedürfnis des Vollstreckungsschuldners ist durch die gesetzliche Regelung in § 284 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 ‐ mit der Verpflichtung der Vollstreckungsbehörde, nach Abgabe des Vermögensverzeichnisses eine erneute Ermessensprüfung vorzunehmen, verbunden mit der Möglichkeit, auch in diesem Stadium trotz Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung noch von deren Abnahme abzusehen ‐ hinreichend berücksichtigt.
Normenkette
AO 1977 §§ 95, 249 Abs. 2, § 284; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 15.09.2005; Aktenzeichen 15 K 1724/05 KV) |
Tatbestand
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) nahm den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als Gesellschafter der H-GbR wegen nicht entrichteter Umsatzsteuerbeträge der GbR in Höhe von mehr als 1/2 Mio. € in Haftung. Nach fruchtloser Vollstreckung in sein bewegliches Vermögen forderte das FA den Kläger zur Abgabe eines Vermögensverzeichnisses und einer eidesstattlichen Versicherung gemäß § 284 der Abgabenordnung (AO 1977) auf. Den dagegen eingelegten Einspruch wies es mit Einspruchsentscheidung vom 31. März 2005 unter anderem mit der Erwägung zurück, dass die vom Kläger in Aussicht gestellte Änderung der den Rückständen zugrunde liegenden Steuerfestsetzungen mangels Vorlage der dafür erforderlichen Unterlagen bislang nicht möglich gewesen sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die vom Kläger dagegen erhobene Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, die nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbare Ermessensentscheidung des FA sei auf der Grundlage der dem FA im maßgeblichen Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung bekannten Verhältnisse nicht zu beanstanden. So rechtfertigten mögliche berufsrechtliche Folgen --der vom Kläger angeführte Widerruf seiner Anwaltszulassung-- ein Absehen von der Vollstreckung schon deshalb nicht, weil diese Folge der Vermögensverhältnisse des Klägers und nicht der Vollstreckungsmaßnahmen des FA sein würde. Das ein halbes Jahr vor der Aufforderung des FA vor einem Notar abgegebene Vermögensverzeichnis stehe der ermessensfehlerfreien Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung als letzte Erkenntnismöglichkeit künftig verbleibender Vollstreckungsmöglichkeiten nicht entgegen. Den Einwand der bevorstehenden Berichtigung der Abgabenforderung wies das FG unter Hinweis auf die maßgebliche Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung und die Möglichkeit des Klägers, bei geänderten Verhältnissen gemäß § 131 Abs. 1 AO 1977 die Aufhebung der im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßigen Anordnung zu beantragen, zurück.
Mit der Beschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und die Notwendigkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig, denn der Kläger hat in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage und die Notwendigkeit einer Entscheidung des BFH zur Rechtsfortbildung nur behauptet, aber nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechenden Weise dargelegt.
1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Rechtsfrage zu entscheiden ist. Außerdem muss diese Frage klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig sein. Nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist schlüssig und substantiiert dargelegt werden. Dazu ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingeht, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 14. Mai 2002 VII B 52/01, BFH/NV 2002, 1413, m.w.N.).
a) Als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung sieht es der Kläger an, dass unter den Gesichtspunkten des privaten Insolvenzrechts eine existenzvernichtende Anordnung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung im Allgemeinen und im Besonderen bei laufenden Steuerstreitverfahren mit nachweislich eintretenden Steuererstattungen, dem intensiven Bemühen des Schuldners um Schaffung der Voraussetzungen für einen Antrag nach § 131 Abs. 1 AO 1977 und der bereits anderweitig erfolgten Offenbarung der Vermögenslage nicht ermessensfehlerfrei sei. Dieser grundsätzlichen Bedeutung stehe auch der BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2001 VII B 318/00 (BFH/NV 2002, 617) nicht entgegen, da diese Entscheidung weder unter dem Gesichtspunkt der Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung (InsO) noch im Hinblick auf die Tatsache ergangen sei, dass der Kläger dem FA in Form einer notariellen Urkunde bereits Auskunft über seine Vermögensverhältnisse erteilt habe.
b) Mit diesem Vorbringen hat der Kläger keine (erneut) klärungsbedürftige Rechtsfrage formuliert. Er hat sich weder mit der von ihm zitierten Entscheidung (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 617) noch mit der nachfolgenden unveränderten Rechtsprechung des Senats auseinander gesetzt.
Wie bereits in der BFH-Entscheidung in BFH/NV 2002, 1413 dargestellt, hält der Senat seit der Grundsatzentscheidung vom 24. September 1991 VII R 34/90 (BFHE 165, 477, BStBl II 1992, 57) daran fest, dass sich die Behörde weder auf die Erklärungen und Darlegungen des Vollstreckungsschuldners zu seiner Vermögenslage, noch auf die Möglichkeit einer freiwillig abgegebenen eidesstattlichen Versicherung i.S. des § 249 Abs. 2 i.V.m. § 95 AO 1977 verweisen lassen muss. Grundsätzlich kann nur die unter dem psychologischen Druck --sowohl der Strafbarkeit einer vorsätzlich oder fahrlässig falsch abgegebenen eidesstattlichen Versicherung als auch der mit der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis verbundenen wirtschaftlichen oder beruflichen Folgen-- nach § 284 Abs. 3 AO 1977 bekräftigte Erklärung des Vollstreckungsschuldners der Finanzbehörde zuverlässige Kenntnis über die Vermögenslage des Schuldners bieten. Selbst die mit der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis verbundenen beruflichen Konsequenzen des Entzuges der Anwaltszulassung führen grundsätzlich nicht zu einer Ermessensbeschränkung, weil der Gesetzgeber die Gefährdung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz bei Abfassung des § 284 Abs. 3 AO 1977 gekannt und bewusst in Kauf genommen hat.
Erneuter oder weiterer Klärungsbedarf ist insbesondere auch nicht mit dem Hinweis auf Schuldnerschutzvorschriften in der InsO dargetan.
Der Senat hat seine Rechtsprechung zu § 284 AO 1977 unter der Geltung der seit 1999 in Kraft befindlichen InsO entwickelt. In der Entscheidung in BFH/NV 2002, 617 hat er das Schutzbedürfnis des Vollstreckungsschuldners ausdrücklich anerkannt und festgestellt, dass es durch die gesetzliche Regelung in § 284 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 hinreichend berücksichtigt sei. Denn durch die Verpflichtung der Vollstreckungsbehörde, nach Abgabe des Vermögensverzeichnisses eine erneute Ermessensprüfung vorzunehmen, verbunden mit der Möglichkeit, auch in diesem Stadium trotz Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung noch von deren Abnahme abzusehen, ist sichergestellt, dass die Verhältnismäßigkeit des behördlichen Vorgehens nach Maßgabe der aktuellen Sachlage gewahrt wird. Der Senat sieht eine solche erneute Prüfung im Rahmen des § 284 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 vor allem dann als geboten an, wenn die der eidesstattlichen Versicherung zugrunde liegenden rückständigen Steuerschulden (ohne Nebenleistungen) der Höhe nach gering geworden sind, der Schuldner in der Vergangenheit kontinuierlich Tilgungsleistungen erbracht hat und zu erwarten ist, dass sich die Rückstände durch regelmäßige Tilgungsleistungen auch weiterhin vermindern werden (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2003 VII B 13/02, BFH/NV 2003, 797).
Es ist auch in Würdigung der Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht ersichtlich, welche darüber hinausgehenden Erwägungen angesichts der seither unveränderten Rechtslage geboten sein sollen.
c) Abgesehen davon hat sich der Kläger nicht zur Klärungsfähigkeit der von ihm formulierten Rechtsfrage im Rahmen des beabsichtigten Revisionsverfahrens geäußert. Das wäre aber schon deshalb erforderlich gewesen, weil sich die Einwände des Klägers gegen die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nahezu sämtlich aus Umständen ergeben, die erst nach dem Ergehen der Einspruchsentscheidung eingetreten sind (insbesondere die behauptete Änderung der Steuerbescheide mit der Folge der Umwandlung der Steuerschuld in Steuererstattungsansprüche und die Möglichkeit der Änderung des die Umsatzsteuer auslösenden Vertrages). Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats sind aber für die gerichtliche Überprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend. Dies gilt selbst dann, wenn der angefochtene Verwaltungsakt --wie im Streitfall-- im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht vollzogen ist (Urteil vom 26. Juli 2005 VII R 57/04, BFHE 210, 205, BStBl II 2005, 814). Der Kläger hätte deshalb darlegen müssen, weshalb die getroffene Ermessensentscheidung in der zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung bestehenden Situation aus Rechtsgründen nicht hätte ergehen dürfen. Die nachträgliche Änderung der Sachlage kann nur in einem neuen Verwaltungsverfahren gemäß § 131 Abs. 1 AO 1977 berücksichtigt werden.
2. Hat die Rechtssache danach keine grundsätzliche Bedeutung, so gibt sie, was aus den oben dargelegten Gründen folgt, auch keinen Anlass, eine höchstrichterliche Entscheidung zur Fortbildung des Rechts herbeizuführen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO).
3. Im Kern wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Urteils bzw. der behördlichen Entscheidung. Er setzt seine Rechtsauffassung über die gebotene Ermessensausübung des FA an Stelle derjenigen des FG. Das vermag die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen. Die Rüge des Ermessensfehlgebrauchs betrifft auch keinen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung (z.B. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2003 III B 125/02, BFH/NV 2003, 1445, m.w.N.), der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führt.
Fundstellen