Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei behauptetem Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht; Frankreich als Inland i.S. von § 123 Satz 1 AO?
Leitsatz (NV)
1. Die Behauptung eines Verstoßes gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht entbindet nicht von der näheren Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung.
2. Wird ein Verstoß gegen eine Norm des Gemeinschaftsrechts gerügt, so ist zur substantiierten Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache eine an den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung orientierte Auseinandersetzung erforderlich.
3. Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben kein förmliches Antragsrecht auf Einleitung des Vorlageverfahrens nach Art. 234 EG.
Normenkette
AO § 123; EG Art. 12, 234; FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Abs. 1; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.
Nach § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde angefochten werden, mit der geltend zu machen ist, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO vorliegen. Nach dieser Vorschrift ist die Revision nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert oder (3.) ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist dabei nur zulässig, wenn einer dieser Revisionszulassungsgründe bezeichnet und die Erfüllung seiner Voraussetzungen schlüssig dargelegt wird (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
An einer solchen Darlegung fehlt es im Streitfall.
1. Soweit die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) vortragen, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weil zu klären sei, ob Frankreich als Inland i.S. von § 123 Satz 1 der Abgabenordung (AO) zu behandeln sei, entsprechen ihre Ausführungen nicht den Darlegungsanforderungen (vgl. dazu Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Februar 2003 IV B 151/01, BFH/NV 2003, 1040; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, jeweils m.w.N.).
a) Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (vgl. BFH-Beschluss vom 10. April 2003 X B 109/02, BFH/NV 2003, 1082, m.w.N.).
Ebenso wie für eine ordnungsgemäße Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift nicht ausreicht, entbindet auch die Behauptung eines Verstoßes gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht nicht von einer näheren Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung (BFH-Beschlüsse vom 15. Februar 1995 VII B 100/94, BFH/NV 1995, 829; vom 11. März 1998 X B 49/97, BFH/NV 1998, 1091, und vom 8. April 2005 V B 123/03, BFHE 209, 167, BStBl II 2005, 585). Wird ein Verstoß gegen eine Norm des Gemeinschaftsrechts gerügt, so ist zur substantiierten Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache deshalb eine an den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung orientierte Auseinandersetzung erforderlich (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Januar 2005 III B 1/04, BFH/NV 2005, 1080, zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei behaupteter Verfassungswidrigkeit, m.w.N.). Gewisse Mindestdarlegungen in diese Richtung sind auch deswegen unabdingbar, um dem BFH als Beschwerdegericht die Prüfung der Frage zu ermöglichen, ob sich ggf. Auslegungszweifel oder Gültigkeitsbedenken in Bezug auf das anzuwendende Gemeinschaftsrecht ergeben könnten, die zur Zulassung der Revision schon deshalb zwängen, weil im Revisionsverfahren voraussichtlich eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nach Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG) einzuholen wäre (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 22. Dezember 1992 2 BvR 557/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 203; BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2005 VII B 62/05, BFH/NV 2006, 985).
b) Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht, da sie sich im Stile einer Revisionsbegründung gegen die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) wendet und geltend macht, § 123 AO bzw. die vom FG vorgenommene Auslegung dieser Vorschrift verstießen gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot in Art. 12 EG. Die Kläger haben sich --abgesehen von dem Hinweis auf das EuGH-Urteil vom 10. Februar 1994 Rs. C-398/92 "Mund & Fester" (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1994, 1271)-- indessen nicht näher mit der Rechtsprechung des EuGH zum Diskriminierungsverbot auseinandergesetzt, wie es für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erforderlich gewesen wäre.
In dem EuGH-Urteil in NJW 1994, 1271 hat der EuGH entschieden, dass Art. 7 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 --EWGVtr-- (jetzt Art. 12 EG) i.V.m. Art. 220 EWGVtr und dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen einer nationalen Zivilprozessvorschrift (hier: § 917 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO-- a.F.) entgegensteht, die bei einem Urteil, das im Inland vollstreckt werden müsste, den Arrest nur zulässt, wenn ohne dessen Verhängung die Vollstreckung wahrscheinlich vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, während sie bei einem Urteil, das in einem anderen Mitgliedsstaat vollstreckt werden müsste, den Arrest schon allein deshalb zulässt, weil die Vollstreckung im Ausland stattfinden müsste. Indessen hat bereits das FG in dem angefochtenen Urteil dargelegt, aus welchen Gründen es die Erwägungen, die den EuGH in dem Urteil in NJW 1994, 1271 veranlasst hatten, § 917 Abs. 2 ZPO a.F. als unzulässige versteckte Diskriminierung zu beurteilen, bei § 123 AO für nicht einschlägig hält. Das FG hat insoweit ausgeführt, § 123 AO solle lediglich Erschwernisse ausgleichen, die eine Bekanntgabe im Ausland mit sich bringe. Die Vorschrift ermögliche aber keine Bekanntgabe ohne die Förmlichkeiten, die bei einer Bekanntgabe im Inland sonst zu beachten seien. Auch damit haben sich die Kläger nicht hinreichend auseinandergesetzt.
Es kommt hinzu, dass im Schrifttum unbestritten davon ausgegangen wird, Inland i.S. von § 123 AO sei das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Müller-Franken in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 123 AO Rz 30; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 123 AO Rz 4 und 5). Für das EU-Ausland wird lediglich bei der Frage der Ermessensausübung auf der Rechtsfolgenseite die Auffassung vertreten, es könne sich empfehlen, nicht nach § 123 AO zu verfahren, wenn ein Beteiligter einen festen Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union habe und die Postzustellung dort bisher keine Schwierigkeiten gemacht habe (Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 123 AO Rz 5). Inwieweit auch bei einer an diesen Maßstäben ausgerichteten sachgerechten Ermessensausübung der Frage grundsätzliche Bedeutung zukommen soll, ob das EU-Ausland als Inland i.S. von § 123 AO anzusehen sei, haben die Kläger nicht dargelegt.
c) Soweit die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit einer angeblichen Verletzung des Diskriminierungsverbots in Art. 21 Abs. 1 des Abkommens vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 9. Juni 1969 (DBA Frankreich) begründen, fehlt es ebenfalls an der ordnungsgemäßen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes.
2. Aus denselben Gründen kommt eine Zulassung der Revision auch nicht wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) in Betracht (zur Qualifikation dieses Zulassungsgrundes als speziellen Tatbestand der "Grundsatzrevision" vgl. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2004 X B 48/04, BFH/NV 2005, 698, unter 2. der Gründe, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 38).
3. Ebenso unschlüssig ist die Rüge der Kläger, dass eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO). Zur Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes muss der Kläger nach ständiger Rechtsprechung des BFH tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so die Abweichung zu verdeutlichen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 42, m.w.N.).
Daran fehlt es im Streitfall. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich im Kern in Ausführungen darüber, dass und warum das FG den Streitfall auch in Ansehung des EuGH-Urteils in NJW 1994, 1271 unrichtig entschieden habe. Die Kläger haben dem vorgenannten EuGH-Urteil indessen keinen abstrakten Rechtssatz entnommen und einem davon abweichenden abstrakten Rechtssatz der Vorentscheidung gegenüber gestellt.
4. Als Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) rügen die Kläger weiterhin, das FG habe willkürlich ihr Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes --GG--, § 119 Nr. 1 FGO) und ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, weil es zu Unrecht von einer Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 EG abgesehen habe.
Diese Rüge greift ebenfalls nicht durch. Denn nach Art. 234 Abs. 2 EG sind erstinstanzliche Gerichte nicht zur Vorlage an den EuGH verpflichtet (BFH-Urteil vom 19. Juli 1994 VII R 107/93, BFHE 175, 192, BStBl II 1994, 875, unter II.2. der Gründe; BFH-Beschluss vom 27. November 2003 VII R 49/03, BFH/NV 2004, 521, unter II.2. letzter Absatz der Gründe, m.w.N.). Das gilt auch, wenn eine Zulassung des Rechtsmittels durch das oberste Gericht erforderlich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 7. März 2003 VII B 282/02, juris, m.w.N.).
Im Übrigen hat das FG --entgegen der Ansicht der Kläger-- eine Vorlage an den EuGH ausdrücklich in Erwägung gezogen; sie letztlich aber nicht für erforderlich erachtet (vgl. Seiten 6 und 7 der Urteilsreinschrift). Auch dies ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden.
Nach Art. 234 EG hat ein einzelstaatliches Gericht von Amts wegen und in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob eine Vorabentscheidung des EuGH zur Beantwortung entscheidungserheblicher Fragen erforderlich ist (vgl. EuGH-Urteil vom 11. Oktober 2001 Rs. C-267/99 "Adam" (EuGHE I 2001, 7467 Rz 23). Bei dem Vorlageverfahren nach Art. 234 EG handelt es sich um ein objektives Zwischenverfahren, in dem die Beteiligten des Ausgangsverfahrens keine Antragsrechte haben (vgl. BVerfG-Beschluss vom 22. Oktober 1986 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 369). Demgemäß haben die Beteiligten des Ausgangsverfahrens auch kein förmliches Antragsrecht auf Einleitung des Vorlageverfahrens nach Art. 234 EG (vgl. BFH-Beschluss in juris, m.w.N.). Folglich hat das FG den von den Klägern gestellten "Hilfsantrag", der auf eine Vorlage an den EuGH gerichtet war, auch nicht --wie die Kläger meinen-- verfahrensfehlerhaft übergangen.
Fundstellen