Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde: grundsätzliche Bedeutung und rechtliches Gehör
Leitsatz (NV)
- Der BFH ist in einem künftigen Revisionsverfahren an die Auslegung der vorgelegten Unterlagen durch die Vorinstanz gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn die Auslegung nach den in dem Urteil getroffenen Feststellungen möglich ist, nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt und nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen ist.
- Dem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG) entspricht die Verpflichtung des Gerichts, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen. Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Es darf insbesondere Vorbringen unerörtert lassen, das nach seiner Rechtsauffassung unerheblich oder unsubstantiiert ist.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 118 Abs. 2, § 96 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerinnen und Beschwerdeführerinnen (Klägerinnen) begehren als Erben des verstorbenen K die Erstattung von 320 000 DM, welche der Erblasser an den Beklagten und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) entrichtet hatte.
Der Erblasser war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. Zwischen der GmbH und dem FA kam es anlässlich einer Betriebsprüfung zum Streit, ob die von der GmbH getätigten Umsätze der Jahre 1993 bis 1997 dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen. Wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung leitete das FA ein Steuerstrafverfahren ein und ordnete zur Sicherung möglicher Zahlungsansprüche wegen Umsatzsteuer 1993 bis 1997 in Höhe von 2,3 Mio. DM den dinglichen Arrest in das Vermögen der GmbH und des K ein. Die Inanspruchnahme des K wurde auf eine möglicherweise gegebene Haftung als Vertreter der GmbH und/oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung gestützt.
In Vollziehung des Arrestes wurden ein Wertpapierdepot und ein Girokonto des K sowie dessen Fahrzeug beschlagnahmt.
Infolge von Verhandlungen zwischen den Beteiligten über die Aufhebung des Arrestes überwies K von dem gepfändeten Konto 320 000 DM an das FA. Auf dem Überweisungsträger war als Verwendungszweck KSt (= Körperschaftsteuer) 1993 - 1995 angegeben. Die Körperschaftsteuer 1993 bis 1995 war bereits zuvor in Höhe von 518 000 DM nebst Zinsen festgesetzt worden. Die zunächst gewährte Aussetzung der Vollziehung hatte das FA vor Zahlungseingang widerrufen. Das FA buchte die Zahlung entsprechend dem Verwendungszweck auf Körperschaftsteuer 1993, 1994 und Zinsen und hob sodann die Kontenpfändungen und die Arrestanordnungen gegen K und die GmbH auf.
Einige Zeit danach überwies die GmbH, wie anlässlich der Verhandlungen angekündigt, einen weiteren Betrag von 275 000 DM an das FA. Der Überweisungsträger enthielt keinen Bestimmungszweck. Das FA verbuchte den Betrag auf ein Verwahrkonto und buchte auch die 320 000 DM von der Körperschaftsteuer auf das Verwahrkonto um. Dagegen wandte sich die GmbH und beantragte die Buchung beider Beträge auf die Körperschaftsteuer.
Zwischenzeitlich ergingen Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1993 bis 1996, die zu Mehrsteuern in Höhe von ca. 2 Mio. DM nebst Zinsen führten. Dagegen erhob die GmbH Sprungklage und begehrte Aussetzung der Vollziehung, die von dem FA nur teilweise gewährt wurde.
Das FA erteilte sodann der GmbH einen Abrechnungsbescheid über Umsatzsteuer 1993, wonach diese (Soll: 768 335 DM) durch Umbuchungen der Beträge von 320 000 DM und 275 000 DM aus dem Verwahrkonto teilweise getilgt worden sei. Auf Grund des dagegen eingelegten Einspruchs hob das FA den Abrechnungsbescheid auf und buchte die Zahlungen wieder auf Körperschaftsteuer um.
Zuvor hatte das Finanzgericht (FG) dem Antrag der GmbH auf Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuer in vollem Umfang stattgegeben.
Daraufhin begehrte die GmbH die Rückbuchung der eingezahlten Beträge auf das Verwahrbuch und die Auszahlung von 320 000 DM an K.
Das FA lehnte das Begehren mit bestandskräftigem Abrechnungsbescheid mangels Rechtsschutzbedürfnisses ab.
Mit dem streitgegenständlichen Abrechnungsbescheid gegen die Klägerinnen stellte das FA fest, dass ein Anspruch auf Erstattung des von K gezahlten Betrages von 320 000 DM nicht bestehe.
Mit der dagegen mit Zustimmung des FA erhobenen Sprungklage verfolgten die Klägerinnen ihr Erstattungsbegehren weiter.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Weder dem K noch den Klägerinnen stehe ein Erstattungsanspruch gemäß §§ 37 Abs. 2, 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu. K habe ausweislich des Überweisungsbelegs auf die Körperschaftsteuerschulden der GmbH gezahlt. Diese hätten auf entsprechenden Steuerfestsetzungsbescheiden beruht. Es komme nicht darauf an, dass K nicht Schuldner der Körperschaftsteuer gewesen sei, da auch Dritte Leistungen gegenüber der Finanzbehörde erbringen könnten. Da es sich dabei um freiwillige Leistungen handele, stünde dem Dritten auch das Tilgungsbestimmungsrecht gemäß § 225 Abs. 1 AO 1977 zu. Auch wenn die Voraussetzungen des § 225 Abs. 3 AO 1977 vorgelegen hätten, sei es ermessensgerecht gewesen, sich an die Tilgungsbestimmung des Zahlenden zu halten. Zwar könne sich ein Erstattungsanspruch auch nach der Aufhebung unzulässiger Vollstreckungsmaßnahmen ergeben, Erstattungsberechtigter sei aber nur derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden sei. K habe aber auf Rechnung der GmbH gezahlt, so dass ein etwaiger Erstattungsanspruch nur dieser zustehen könnte. Dass das FA zwischenzeitlich rechtsirrig eine andere Auffassung vertreten habe, sei unerheblich. Ebenso wenig sei darüber zu befinden, ob das FA die Aufhebung der Kontenpfändungen und der Arrestbescheide von Zahlungen habe abhängig machen können, da die Körperschaftsteuer der GmbH jedenfalls zu zahlen gewesen sei und das FA die Zahlung daher habe fordern können.
Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde, mit der die Klägerinnen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend machen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage unter Ziff. 1, ob anlässlich einer Arrestvollziehung eine Vereinbarung, dass ein Arrest gegen Zahlungen und sonstige Leistungen aufgehoben wird, einen wirksamen Behaltensgrund für die erbrachten Leistungen, insbesondere für den Fall, dass der Arrestbescheid aufgehoben wird und die nachfolgenden regulären Steuerbescheide noch nicht vorliegen, darstellen kann, ist ebenso wie die darauf aufbauenden weiteren Rechtsfragen schon deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil sie in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wären. Die Beschwerde geht von der Annahme aus, die Zahlungen seien zur Sicherung der entstandenen Umsatzsteueransprüche erfolgt. Diese Annahme ist aber von den tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung nicht gedeckt. Den Feststellungen des FG ist lediglich zu entnehmen, dass die Zahlungen absprachegemäß erfolgten, damit das FA die ausgebrachten Pfändungen aufhebt. Daraus allein kann aber weder abgeleitet werden, dass die Zahlungen nur zur Sicherheit, noch dass sie zur Sicherung der Umsatzsteuer geleistet worden sind. Das FG ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Vereinbarung zwischen der GmbH, dem K und dem FA lediglich das Motiv für die Zahlung war. Es ist sodann unter Würdigung des zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftverkehrs und unter Heranziehung des auf dem Überweisungsträger angegebenen Tilgungszwecks zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zahlungen auf die Körperschaftsteuer geleistet worden sind und sie deshalb ihren Rechtsgrund in den Körperschaftsteuerbescheiden haben. Da die von dem FG vertretene Auslegung nach den im Urteil getroffenen Feststellungen möglich ist, nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt und auch nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen ist, wäre der Senat in einem künftigen Revisionsverfahren an die Auslegung des FG gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Dementsprechend kommt auch den unter Ziff. 2 bis 14 der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen, die allesamt an die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer getroffenen Vereinbarung bzw. an das Vorliegen einer Sicherheit anknüpfen, keine grundsätzliche Bedeutung zu.
2. Der von der Beschwerde gerügte Umstand, das FG habe das in der Klageschrift erwähnte Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. Oktober 1999 IV R 63/98 (BFHE 190, 37, BStBl II 2001, 329) nicht zur Kenntnis genommen und sich in keiner Weise mit der Entscheidung auseinander gesetzt, stellt keinen Verfahrensmangel dar. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) entspricht zwar eine Verpflichtung des Gerichts, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen. Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Es darf insbesondere Vorbringen unerörtert lassen, das nach seiner Rechtsauffassung unerheblich oder unsubstantiiert ist (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 8. Oktober 1985 1 BvR 33/83, BVerfGE 70, 288, 293; BFH-Beschluss vom 20. Dezember 1994 V B 3/94, BFH/NV 1995, 946). Die Ausführungen des BFH in BFHE 190, 37, BStBl II 2001, 329 zur Tilgungsreihenfolge gemäß § 225 AO 1977, bei denen es sich lediglich um Hinweise ohne Bindungswirkung gemäß § 126 Abs. 5 FGO handelt, basieren auf der Feststellung, dass die Zahlung eines Haftungsschuldners auf die eigene Haftungsschuld erfolgt ist und der Betrag nicht durch einen Dritten geleistet wurde. Diese Entscheidung war nach der Rechtsauffassung des FG unerheblich. Wie oben ausgeführt, ist das FG unter Würdigung des von ihm festgestellten Sachverhalts zu dem Ergebnis gekommen, dass der Erblasser die Zahlung nicht auf eigene Rechnung zur Abwendung des gegen ihn gerichteten Arrestes wegen Umsatzsteuer, sondern als Dritter auf fremde Rechnung zur Tilgung der Körperschaftsteuer der GmbH geleistet hat.
Fundstellen