Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsfreie Revision
Leitsatz (NV)
Ist der Prozeßbevollmächtigte des Klägers aufgrund einer Autopanne verhindert, am Termin zur mündlichen Verhandlung teilzunehmen, so liegt kein absoluter Revisionsgrund nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO vor.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Am 16. Februar 1993, 14 Uhr, fand vor dem Finanzgericht (FG) Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme statt, zu der der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) jeweils am 23. Januar 1993 ordnungsgemäß geladen worden war. Für die Klägerin erschien niemand. Nach Schluß der mündlichen Verhandlungen verkündete der Vorsitzende, daß die Entscheidungen den Beteiligten zugestellt werden sollten, was -- durch Zustellung von je einem Urteil -- jeweils am 26. März 1993 geschah.
Am 23. Februar 1993 ging ein Schriftsatz beim FG ein, wonach der Klägervertreter zum Termin wegen eines Reifenschadens auf der Anfahrt vom Büro in Potsdam nach Nürnberg nicht habe erscheinen können. Der Reifenschaden habe an Ort und Stelle behoben werden müssen. Eine Entschuldigung vor oder während des Gerichtstermins habe nicht angebracht werden können. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung fand nicht statt.
Mit Schriftsätzen vom 16. April 1993, eingegangen am 19. April 1993, legte die Klägerin jeweils Revisionen nach § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind nicht statthaft und daher gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.
Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entla stung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet in Abweichung von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Da das FG in keinem der Urteile die Revision zugelassen noch den Nichtzulassungbeschwerden abgeholfen hat und auch der Senat die Nichtzulassungsbeschwerden mit Beschluß vom heutigen Tag als unzulässig abgewiesen hat, sind die Revisionen unzulässig.
Die Revisionen sind auch nicht gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO ohne Zulassung statthaft. Gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO bedarf es einer Zulassung der Revision nicht, wenn u. a. als wesentlicher Verfahrensmangel gerügt wird, daß ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat. Der Begriff "nicht vertreten" wird zwar von der Rechtsprechung weit ausgelegt, so daß hierunter grundsätzlich auch Fälle der vorliegenden Art fallen können, in denen der Prozeßbevollmächtigte des Klägers gehindert war, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Die Nichtteilnahme muß aber, wie dem Eingangssatz des § 116 Abs. 1 FGO zu entnehmen ist, auf einem wesentlichen Verfahrensmangel beruhen, d. h. dem Gericht muß ein Verfahrensfehler unterlaufen sein, der einen Beteiligten an der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung hinderte (BFH-Beschlüsse vom 29. Juni 1989 V R 112/80, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850, und vom 11. November 1992 IV R 97/92, BFH/NV 1993, 482). Demgemäß liegt kein Verfahrensfehler des FG vor, wenn ein Beteiligter aus einem in seiner Person oder in der Person seines Bevollmächtigten liegenden, wenn auch unverschuldeten Grund nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte. Dies gilt auch für den Fall einer Reifenpanne auf der Fahrt zur mündlichen Verhandlung (vgl. BFH-Beschluß vom 27. September 1988 III R 26/88, BFH/NV 1989, 378; BFH-Beschluß vom 22. September 1993 II R 55/93, nicht veröffentlicht: Verkehrsunfall).
Die in den Schriftsätzen vom 26. Mai 1993 (eingegangen beim BFH am 28. Mai 1993) erhobenen Verfahrensrügen müssen unberücksichtigt bleiben, da in Anbetracht der Zustellung der finanzgerichtlichen Urteile am 26. März 1993 die entsprechenden Verfahrensrügen nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO erhoben worden sind.
Ein Verfahrensfehler i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO liegt auch nicht deswegen vor, weil das FG trotz des Schreibens der Klägerin vom 23. Februar 1993 die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet hat. Abgesehen davon, daß die Klägerin einen Antrag auf Wiedereröffnung nicht gestellt hat, begründet die Ablehnung einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht die zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO. Insoweit gilt nichts anderes als in den Fällen, in denen das FG eine Vertagung des Termins verweigert (vgl. hierzu z. B. BFH-Beschluß vom 16. September 1991 IX R 43/91, BFH/NV 1992, 187 m. w. N.; vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Rdnr. 20).
Fundstellen