Entscheidungsstichwort (Thema)
Schlußrechnung weder neue Tatsache noch rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (NV)
Die Erteilung einer bauvertragsrechtlichen Schlußrechnung ist weder ein nachträglich bekanntgewordenes Beweismittel im Sinne des §173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 noch ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des §175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 175 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Gründe
Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) als von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfene Frage, ob ein Beweismittel im Besteuerungsverfahren nach dem Wortlaut des §173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) schon vorhanden gewesen sein müsse, und ob die Beweisbarkeit einer schon im Besteuerungsverfahren aufgestellten Behauptung ein Ereignis i. S. des §175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 sei, ist nicht mehr klärungsbedürftig. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 11. Juli 1991 IV R 52/90 (BFHE 165, 449, BStBl II 1992, 126) ausgeführt, das Merkmal in §175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 "Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Ver gangenheit" setze voraus, daß sich der ursprüngliche -- der Besteuerung zugrunde gelegte -- Sachverhalt tatsächlicher oder rechtlicher Art mit Wirkung für die Vergangenheit geändert hat; eine andere rechtliche Beurteilung des im übrigen unverändert bleibenden Sachverhalts genüge insoweit nicht (ebenso schon Urteil des Bundes finanzhofs -- BFH -- vom 26. Oktober 1988 II R 55/86, BFHE 154, 493, BStBl II 1989, 75).
Zum Ausschließlichkeitsverhältnis beider Korrekturvorschriften zueinander hat der Senat weiter entschieden, daß sich ein Ereignis i. S. von §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 steuerlich auswirken müsse, z. B. bezüglich des Steuergegenstandes, des Steuersatzes oder auch bestimmter Steuervergünstigungen. Danach muß das Ereignis nachträglich eintreten, d. h. nachdem der Steueranspruch entstanden ist und, im Falle der Änderung eines Steuerbescheides, nachdem dieser Steuerbescheid ergangen ist, weil sonst die Änderung eines Steuerbescheides nicht erforderlich ist (vgl. Senatsurteil vom 26. Juli 1984 IV R 10/83, BFHE 141, 488, BStBl II 1984, 786). Das Ereignis muß sich steuerlich für die Vergangenheit auswirken, was z. B. vor allem dann der Fall ist, wenn die Besteuerung nicht an Lebensvorgänge, sondern unmittelbar oder mittelbar an Rechtsgeschäfte, Rechtsverhältnisse oder Verwaltungsakte anknüpft und diese Umstände nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit gestaltet werden (vgl. die Beispiele bei Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §175 AO 1977 Tz. 9, 13; s. etwa auch BFHE 141, 488, BStBl II 1984, 786, m. w. N., sowie BFH-Urteil vom 13. Oktober 1983 I R 11/79, BFHE 140, 2, BStBl II 1984, 181). Dies unterscheidet die Änderungsmöglichkeit nach §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 von der Änderungsmöglichkeit nach §173 Abs. 1 AO 1977 wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel. Bei der Änderungsmöglichkeit nach §173 Abs. 1 AO 1977 erfährt der steuerlich relevante Sachverhalt nicht wie bei §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 nachträglich und rückwirkend eine andere Gestaltung (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 26. August 1986 IX R 6/81, BFHE 148, 240, BStBl II 1987, 164), sondern es wird nur die Kenntnis des FA bezüglich des vorhandenen Sachverhalts nachträglich erweitert (Senatsurteil vom 21. April 1988 IV R 215/85, BFHE 153, 485, BStBl II 1988, 863, m. w. N.). Daß eine Aufhebung oder Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide nur dann in Betracht kommt, wenn die nachträglich bekanntgewordenen Beweismittel bei Erlaß des Steuerbescheides bereits vorhanden waren, hat der BFH bereits im Urteil in BFHE 154, 493, BStBl II 1989, 75 ausgesprochen.
Wie das Finanzgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, ist die Erteilung einer bauvertragsrechtlichen Schlußrechnung weder ein nachträglich bekanntgewordenes Beweismittel i. S. des §173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 noch ein rückwirkendes Ereignis i. S. des §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.
Soweit die Kläger vortragen, das angegriffene Urteil weiche von der Entscheidung des BFH vom 7. Februar 1990 I R 145/87 (BFHE 161, 387, BStBl II 1990, 1032) ab, weil das FG nur über die Zahlung einer "Abfindungssumme" entschieden habe, weshalb die Rechtskraft des Urteils vom 9. November 1994 10 K 6711/90 E einer Änderung der Einkommensteuerbescheide 1979 und 1980 nicht entgegenstehe, fehlt es an einer Gegenüberstellung abstrakter Rechtssätze des vorinstanzlichen Urteils und abstrakter Rechtssätze aus der divergenzfähigen Entscheidung, die eine Abweichung erkennen ließe (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Dieser Dar legungspflicht sind die Kläger mit dem bloßen Hinweis auf die Entscheidung des BFH in BFHE 161, 387, BStBl II 1990, 1032 nicht nachgekommen. Dies gilt auch für die weitere von den Klägern gerügte Abweichung zu dem BFH-Urteil vom 29. November 1988 VIII R 226/83 (BFHE 155, 259, BStBl II 1989, 259), die die Kläger darin sehen, daß das FG zusätzlich darauf abgestellt habe, wann das Beweismittel entstanden sei. Im übrigen geht auch das Urteil des BFH in BFHE 155, 259, BStBl II 1989, 259 von dem Gesetzeswortlaut des §173 Abs. 1 AO 1977 aus, wonach nachträglich entstandene Tatsachen und Beweismittel von der Vorschrift nicht erfaßt werden.
Im übrigen wird von einer Begründung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen