Entscheidungsstichwort (Thema)
Buchführungspflicht einer ausländischen Immobilienkapitalgesellschaft
Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob eine ausländische Kapitalgesellschaft, die nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG 2009 i.V.m. § 2 Nr. 1 KStG 2002 mit ihren inländischen Vermietungseinkünften beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist, zu den gewerblichen Unternehmern i.S. von § 141 AO gehört und deshalb nach dieser Vorschrift buchführungspflichtig ist.
Normenkette
AO §§ 140-141; FGO § 69; EStG 2009 § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f S. 2; KStG 2002 § 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 2015 3 V 172/12 aufgehoben und die Vollziehung der Mitteilung vom 1. September 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 ist bis zum Abschluss des finanzgerichtlichen Hauptsachverfahrens (Az.: 3 K 1521/11) ausgesetzt.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts mit Sitz in … Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat sie im Inland keinen ständigen Vertreter und ist deshalb nur mit ihren aus der Vermietung des in M belegenen Grundstücks R erzielten Einkünften beschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 –KStG 2002–). Da die Antragstellerin für das Jahr 2010 aus der Vermietung dieses Grundstücks einen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f des Einkommensteuergesetzes 2009 (EStG 2009) i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 als gewerbliche Einkünfte zu erfassenden Gewinn in Höhe von 133.131,82 EUR erklärt hatte, erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) ihr gegenüber mit Bescheid vom 1. September 2011 die Mitteilung nach § 141 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) über den Beginn der Buchführungspflicht für den Gewerbebetrieb „Vermietung und Verwaltung von Grundbesitz”. Der hiergegen erhobene Einspruch wurde vom FA mit Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 als unbegründet zurückgewiesen. Über die daraufhin erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden. Auch der beim FA gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) blieb ohne Erfolg; der hiergegen gerichtete Einspruch wurde gleichfalls mit Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 zurückgewiesen.
Rz. 2
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der gerichtliche Antrag nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Vollziehung der Mitteilung über den Beginn der Buchführungspflicht auszusetzen. Er wurde vom FG des Landes Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 16. Juli 2015 3 V 172/12 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
II. Die Beschwerde ist begründet. Der Beschluss der Vorinstanz ist aufzuheben und die Vollziehung der Mitteilung vom 1. September 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2011 ist bis zum Abschluss des finanzgerichtlichen Hauptsacheverfahrens (Az.: 3 K 1521/11) auszusetzen.
Rz. 4
1. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des FG über die AdV nach § 69 Abs. 3 FGO ist statthaft, weil sie vom FG ausdrücklich zugelassen wurde (§ 128 Abs. 3 Satz 1 FGO). Auf die Schlüssigkeit des Beschwerdevortrags ist nicht einzugehen, da es einer Beschwerdebegründung der Antragstellerin nicht bedarf, wenn –wie vorliegend– ihr Begehren ohne Weiteres dem erstinstanzlichen Antrag entnommen werden kann und damit ausreichend erkennbar ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 21. Juli 2009 II B 8/09, BFH/NV 2009, 1845; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 129 Rz 6, m.w.N.).
Rz. 5
2. Der gerichtliche AdV-Antrag ist –wovon auch die Vorinstanz zu Recht ausgegangen ist– nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 FGO zulässig. Die Mitteilung nach § 141 Abs. 2 AO, durch die das FA auf die Verpflichtung hinweist, ab Beginn des nächsten Wirtschaftsjahrs Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, dessen Vollziehung gemäß § 69 FGO ausgesetzt werden kann (so bereits BTDrucks VI/1982, S. 124, rechte Spalte; BFH-Beschluss vom 6. Dezember 1979 IV B 32/79, BFHE 129, 300, BStBl II 1980, 427; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 141 AO Rz 44; Gosch in Berrmann/Gosch, FGO § 69 Rz 41, jeweils m.w.N.).
Rz. 6
3. Entgegen der Ansicht des FG hat der Antrag auch in der Sache Erfolg, weil ernstliche Zweifel an der gegenüber der Antragstellerin ergangenen Mitteilung nach § 141 Abs. 2 AO bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).
Rz. 7
a) Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken. Die AdV setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (ständige Rechtsprechung, Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013 I B 85/13, BFHE 244, 320, BStBl II 2014, 947, m.w.N.).
Rz. 8
b) Hiervon ist vorliegend auszugehen.
Rz. 9
aa) Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 AO sind „gewerbliche Unternehmer”, für die sich die Buchführungspflicht nicht aus § 140 AO ergibt, u.a. dann verpflichtet, für diesen „Betrieb” Bücher zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, wenn sie nach den Feststellungen der Finanzbehörde für den einzelnen Betrieb einen Gewinn aus „Gewerbebetrieb” von mehr als 50.000 EUR im Wirtschaftsjahr gehabt haben. Es unterliegt im vorgenannten Sinne ernstlichen Zweifeln, ob zu dem von § 141 AO angesprochenen Personenkreis auch die Antragstellerin gehört, die nach den bisherigen Feststellungen keine originäre gewerbliche Tätigkeit entfaltet hat, aber als Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts (vgl. zum sog. Typenvergleich z.B. BFH-Urteil vom 23. Juni 1992 IX R 182/87, BFHE 168, 285, BStBl II 1992, 972) nach § 2 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 und § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG 2009 beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist. Während Satz 1 der zuletzt genannten Bestimmung nicht nur das Erzielen von Vermietungs- oder Veräußerungseinkünften (u.a.) aus inländischen unbeweglichem Vermögen (z.B. Grundstücken), sondern darüber hinaus auch die Gewerblichkeit dieser Einkünfte i.S. von § 15 EStG erfordert (BRDrucks 612/93, S. 66; Gosch in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 49 Rz 43, m.w.N.), dehnt § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG 2009 den Tatbestand der „Einkünfte aus Gewerbebetrieb” im Wege der Fiktion auf lediglich vermögensverwaltend tätige ausländische Kapitalgesellschaften aus (BRDrucks, a.a.O., S. 66); die Gewerblichkeit wird m.a.W. kraft Rechtsform fingiert (BTDrucks 12/6078, S. 125 und 16/10189, S. 58). Hieraus ergibt sich zwar, dass auch diese gewerblich fingierten Einkünfte nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 4 ff. EStG über die Bestimmung des Gewinns zu ermitteln sind (Senatsurteil vom 5. Juni 2002 I R 81/00, BFHE 199, 300, BStBl II 2004, 344 zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG 1990/1994); auch mag es zutreffen, dass dieser Einkunftsermittlung ein inländisches gewerbliches Betriebsvermögen zugrunde liegt (vgl. zum Streitstand Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz 47). Gleichwohl ist zweifelhaft, ob durch die aufgezeigten Regelungszusammenhänge eine Buchführungspflicht nach § 141 AO begründet wird, da letztere Vorschrift –wie eingangs erwähnt– tatbestandlich an das Vorliegen eines tatsächlichen „(Gewerbe-)Betriebs” sowie in personeller Hinsicht an die Einkunftserzielung durch einen „gewerblichen Unternehmer” anknüpft und nach der Rechtsprechung des Senats hierdurch auf die Gewerblichkeit i.S. von § 15 Abs. 2 EStG Bezug genommen wird (Senatsurteil vom 21. Januar 1998 I R 3/96, BFHE 185, 262, BStBl II 1998, 468; vgl. auch Märtens in Beermann/Gosch, AO § 141 Rz 11, m.w.N.: § 15 Abs. 2 und 3). Demgemäß muss es der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob der Tatbestand des § 141 AO auch für die in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG 2009 genannte Fiktion geöffnet werden kann und insbesondere der Zweck dieser Vorschrift eine solche Auslegung erfordert (vgl. zum Begriff des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs in § 14 AO Senatsurteil vom 25. Mai 2011 I R 60/10, BFHE 234, 59, BStBl II 2011, 858). Erwägungen hierzu erübrigen sich nicht deshalb, weil sich nach der Rechtsprechung des Senats die Buchführungspflichten des § 141 AO ausschließlich auf die im Inland steuerbaren Einkünfte beziehen (Urteil vom 17. Dezember 1997 I R 95/96, BFHE 185, 16, BStBl II 1998, 260). Dies steht auch vorliegend nicht im Streit, gibt jedoch keine Antwort auf die weitergehende –und vorliegend streitige– Frage danach, ob die steuerbaren inländischen Einkünfte der Antragstellerin im Wege der Überschussrechnung oder –gestützt auf die Regelungen des § 141 AO– durch einen Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln sind.
Rz. 10
bb) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Mitteilung gemäß § 141 AO bestehen ferner insoweit, als die zuletzt genannte Bestimmung eine originäre steuerrechtliche Buchführungspflicht begründet und ihr gegenüber den in § 140 AO angesprochenen (d.h. aus anderen als den Steuergesetzen sich ergebenden) Buch- und Aufzeichnungspflichten nur subsidiäre Bedeutung zukommt. Da demnach § 141 AO nur den über § 140 AO hinausgehenden Kreis von Buchführungspflichtigen erfasst (so ausdrücklich BTDrucks VI/1982, S. 124; s. auch BTDrucks 7/79, S. 93) und der Senat mit Urteil vom 25. Juni 2014 I R 24/13 (BFHE 246, 404, BStBl II 2015, 141) ausdrücklich offengelassen hat, ob ausländische Buchführungspflichten nach § 140 AO materiell-rechtlich die Art der Gewinnermittlung nach deutschem Ertragsteuerrecht bestimmen, hätte es –was im Hauptsacheverfahren nachzuholen sein wird– der Aufklärung bedurft, ob die Antragstellerin nach liechtensteinischem Recht Bücher zu führen hatte. Der Senat hat mit dem zuletzt genannten Urteil des Weiteren erkannt, dass eine ausländische Buchführungspflicht ebenso wie eine tatsächliche (freiwillige) Buchführung jedenfalls das Wahlrecht zur Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ausschließt. Angesichts dessen wird im Hauptsacheverfahren ggf. auch unter diesem Blickwinkel darüber zu entscheiden sein, ob angesichts dieser materiell-rechtlichen Beurteilung und der hiermit verbundenen bilanziellen Gewinnermittlung noch Raum für die Begründung einer Buchführungspflicht gemäß § 141 AO besteht.
Rz. 11
cc) Die Antragstellerin ist durch den Bescheid vom 1. September 2011 (Mitteilung nach § 141 Abs. 2 Satz 1 AO) selbst dann beschwert, wenn man ihre Bilanzierungspflicht nach liechtensteinischem Recht bejaht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass eine auf § 141 AO gestützte Buchführungspflicht nicht allein durch ein Unterschreiten der Grenzwerte des § 141 Abs. 1 AO, sondern erst nach einer entsprechenden Feststellung der Finanzbehörden mit Ablauf des darauf folgenden Wirtschaftsjahrs endet (§ 141 Abs. 2 Satz 2 AO; dazu Märtens, a.a.O., § 141 Rz 45).
Rz. 12
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 8763111 |
BFH/NV 2016, 138 |
BFH/PR 2016, 49 |
BStBl II 2016, 66 |
BFHE 2016, 309 |
BFHE 251, 309 |
BB 2015, 3121 |
DB 2015, 2847 |
DB 2015, 6 |
DStR 2015, 2771 |
DStRE 2016, 58 |
HFR 2016, 92 |