Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision durch FG; zulassungsfreie Revision wegen fehlender Entscheidungsgründe (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO)
Leitsatz (NV)
1. Enthält das FG-Urteil keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision, so ist sie nicht zugelassen. Die Zulassung ergibt sich nicht aus der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung, wonach den Beteiligten unter bestimmten Voraussetzungen das Rechtsmittel der Revision zustehe (ständige Rechtsprechung). Ebensowenig ist sie daraus zu folgern, daß ein Satz der Rechtsmittelbelehrung - Der Beschluß ist unanfechtbar - handschriftlich durchgestrichen ist.
2. Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S.d. § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ist mit der Rüge einer zu kurzen, lücken- oder fehlerhaften Begründung des FG-Urteils nicht, wie erforderlich, schlüssig dargetan.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 1, 3, § 116 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Sie erzielten in den Streitjahren 1982 bis 1985 u.a. Einkünfte aus Kapitalvermögen, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) der Einkommensteuer unterwarf; ferner erfaßte das FA das Kapital im Rahmen der Vermögensteuerveranlagung auf 1. Januar 1982 bis 1. Januar 1985. Mit Schriftsatz vom 8. November 1988 beantragten die Kläger insoweit eine Erstattung der gezahlten Einkommensteuer und Vermögensteuer für die Streitjahre, als die Steuerbeträge auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen und auf das Kapital entfielen. Ferner legten die Kläger gegen die nach einer Betriebsprüfung geänderten Einkommensteuerbescheide für 1983 bis 1985 Einspruch ein, mit dem sie begehrten, nach § 2 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen und von Kapitalvermögen (StrbEG) die Einkünfte aus Kapitalvermögen bei der Veranlagung außer Ansatz zu lassen.
Während die den Einspruch zurückweisende Einspruchsentscheidung des FA bestandskräftig wurde, legten die Kläger gegen die Ablehnung ihres Antrags vom 8. November 1988 durch das FA Beschwerde ein, welche die Oberfinanzdirektion (OFD) mit Beschwerdeentscheidung vom 1. Juni 1992 zurückwies. Auch die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus: Die OFD sei ermessensfehlerfrei zum Ergebnis gelangt, daß keine sachlichen Billigkeitsgründe, die gemäß § 227 Abs. 1 letzter Halbsatz der Abgabenordnung (AO 1977) begehrte Steuererstattung geböten. Die Kläger hätten die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit von Besteuerungsnormen durch Anfechtung der Steuerbescheide geltend machen müssen. Zudem stehe § 79 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassunsgericht (BVerfGG) Billigkeitsmaßnahmen entgegen. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in den Entscheidungen vom 27. Juni 1991 2 BvL 3/89 (BVerfGE 84, 233, BStBl II 1991, 652) und 2 BvR 1493/89 (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) eine Verfassungswidrigkeit verneint. Zur Frage der Zulassung der Revision äußern sich die Urteilsgründe nicht. In der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung wird unter Ziff.1 ausgeführt, daß gegen das Urteil die Revision gegeben sei, wenn sie auf die Nichtzulassungsbeschwerde durch das FG oder den Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen worden sei. Einer Zulassung der Revision bedürfe es nicht, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i.S. des § 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gerügt werden. Sodann folgen Ausführungen über die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und der Revision. Die Ziff.2 der Rechtsmittelbelehrung, die lautet: Der Beschluß ist unanfechtbar, ist handschriftlich durchgestrichen.
Gegen dieses Urteil haben die Kläger Revision und vorsorglich Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie rügen die Nichtberücksichtigung eines wesentlichen Punktes der Klagebegründung dadurch, daß das FG nicht auf die als verfassungswidrig bemängelte Steuererhebung eingegangen sei. Die Vorinstanz habe sich nur - nicht überzeugend - mit der Steuerfestsetzung befaßt. Im übrigen lägen die Voraussetzungen für einen Steuererlaß wegen grober Unbilligkeit vor.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
1. Nach § 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision der BFH sie zugelassen hat. Beides ist hier nicht der Fall.
Die Zulassung muß nach ständiger Rechtsprechung ausdrücklich erfolgen.
Enthält das FG-Urteil keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision, so ist sie nicht zugelassen (BFH-Beschlüsse vom 28. Juli 1977 IV R 127/76, BFHE 123, 117, 119, BStBl II 1977, 819, Ziff.3 der Gründe, und vom 23. August 1988 IV R 52/88, BFH/NV 1989, 188). Im vorliegenden Fall hat das FG - unstreitig - die Revision weder im Tenor noch in den Gründen seines Urteils zugelassen. Die Zulassung ergibt sich entgegen der Ansicht der Kläger auch nicht aus der dem FG-Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung. Denn die bloße Feststellung in der Rechtsmittelbelehrung, den Beteiligten stehe das Rechtsmittel der Revision zu, enthält nach ständiger Rechtsprechung keine Zulassung (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 40 m.w.N.). Aus der handschriftlichen Streichung der Ziff.2, daß dieser Beschluß unanfechtbar sei, ergibt sich nichts anderes.
Die von den Klägern gleichzeitig vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat mit Beschluß vom gleichen Tage als unzulässig verworfen.
2. Auch die Voraussetzungen einer zulassungsfreien Revision i.S.des § 116 Abs. 1 FGO sind nicht, wie erforderlich, dargetan. Ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne dieser Vorschrift ist nur dann schlüssig gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - einen der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel ergeben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568, und vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850, Ziff.II. 1. der Gründe).
Das ist hier hinsichtlich des allein in Betracht kommenden Verfahrensmangels des Fehlens von Entscheidungsgründen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO) nicht der Fall. Die Entscheidung ist im Sinne dieser Vorschrift nicht mit Gründen versehen, wenn diese ganz oder zu einem wesentlichen Teil fehlen sowie wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (Senatsurteil vom 15. April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195, und Beschluß vom 20. November 1990 IV R 80/90, BFH/NV 1991, 609 m.w.N.). Die Rüge einer zu kurzen, lücken- oder fehlerhaften Begründung berechtigt dagegen nicht zu einer zulassungsfreien Revision. Denn die Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 FGO darf nicht nur dazu dienen, lediglich die Rüge der Verletzung materiellen Rechts zu verdecken (BFH-Beschlüsse vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351; vom 13. Dezember 1988 IX R 90/88, BFH/NV 1989, 527, und vom 14. Dezember 1989 III R 49/89, BFH/NV 1991, 288). Hier kommt allein letzteres in Betracht.
Im übrigen hat sich das FG zumindest durch die Wiedergabe der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 mit der als verfassungswidrig gerügten mangelhaften Gestaltung der Steuererhebung befaßt.
Ist die Revision hiernach unzulässig, darf der Senat auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts nicht eingehen.
Fundstellen