Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerpflicht einer Praxisaufgabe
Leitsatz (NV)
§ 4 Nr. 28 Buchst. a UStG 1980 ist nur bei Lieferungen, nicht bei sonstigen Leistungen anwendbar. Dies bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren.
Normenkette
UStG 1980 § 3 Abs. 1, 9, § 4 Nr. 28 Buchst. a; FGO § 115 Abs. 2; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil B Buchst. c
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb auf dem Grundstück seiner Ehefrau eine Zahnarztpraxis in Räumen, die er von ihr gemietet hatte. Mit notariellen Verträgen vom ..., ... und ... verkaufte seine Ehefrau das in einem Sanierungsgebiet gelegene Grundstück an die Stadt X zur Vermeidung einer Enteignung. Der Kaufpreis wurde im Kaufvertrag vom ... endgültig auf ... DM vereinbart. Hierin war - ohne Ausweis in dem Vertrag - ein Betrag in Höhe von ... DM zuzüglich Umsatzsteuer enthalten, den die Stadt als Entschädigung nach §§ 85, 86 des Städtebauförderungsgesetzes für die aus der Aufgabe der Praxis entstehenden Nachteile an den Kläger leistete.
Während der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) mit dem unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheid vom 16. Oktober 1985 für 1983 zunächst nur einen Betrag in Höhe von ... DM der Umsatzsteuer unterworfen hatte, berechnete er in der Einspruchsentscheidung vom 20. April 1988 auf die gesamte Entschädigung in Höhe von ... DM Umsatzsteuer und setzte die Umsatzsteuer für 1983 auf ... DM fest.
Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus: Der streitige Entschädigungsbetrag sei Entgelt für eine steuerpflichtige sonstige Leistung des Klägers. Die Stadt habe die Entschädigung zur Abgeltung der finanziellen und wirtschaftlichen Nachteile gezahlt, die dem Kläger durch die Aufgabe der von ihm genutzten Praxisräume entstanden seien. Der Berechnung der Entschädigung hätten die Aufwendungen und Kosten für die Suche neuer Praxisräume, die Neuanschaffung dort nicht mehr verwendbarer Einrichtungsgegenstände, den Umzug und die Werbung am neuen Ort sowie der Schaden aus der Schließung der Praxis während der Umzugszeit und die negativen Auswirkungen des Umzugs auf den Kundenstamm zugrunde gelegen. Die Leistung des Klägers liege in der umgehenden Räumung der Praxis.
Diese Leistung des Klägers sei nicht nach § 4 Nr. 28 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 steuerfrei. Die Vorschrift betreffe nur Lieferungen und Eigenverbrauch, nicht aber sonstige Leistungen, wie sie der Kläger erbracht habe. Die Regelung stehe im Einklang mit Art. 13 Teil B Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates 77/388/EWG vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1977 Nr. L 145, 1; im folgenden 6. EG-Richtlinie). Nach dieser Richtlinienbestimmung seien nur die Lieferungen bestimmter Gegenstände von der Umsatzsteuer befreit, nicht aber sonstige Leistungen i.S. des Art. 6 der 6. EG-Richtlinie.
Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der Vorentscheidung, der das FG nicht abgeholfen hat, macht der Kläger Divergenz und grundsätzliche Bedeutung geltend. Er führt aus:
Die Vorentscheidung weiche vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Dezember 1988 V R 24/87 (BFHE 156, 273, BStBl II 1989, 430) und vom BFH-Beschluß vom 4. Juni 1987 V B 56/86 (BFHE 150, 196, BStBl II 1987, 795) sowie von näher bezeichneten FG-Urteilen ab. Der BFH habe in seinem Urteil in BFHE 156, 273, BStBl II 1989, 430 die Überlassung eines Praxiswertes als steuerfreie Lieferung eines Gegenstands nach § 4 Nr. 28 Buchst. a UStG 1980 qualifiziert. Entgegen der Auffassung des FG sei die Aufgabe des Standorts der Praxis als Lieferung der Betriebsstätte anzusehen. Diese Lieferung sei umsatzsteuerfrei. Bereits in seinem Beschluß in BFHE 150, 196, BStBl II 1987, 795 habe der BFH die Überlassung eines Kundenstamms als Lieferung betrachtet.
Dem zu entscheidenden Fall komme darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung zu. Weder der Gesetzeswortlaut des § 4 Nr. 28 UStG 1980 noch die Rechtsprechung beantworteten die Frage, ob eine Praxisaufgabe als Lieferung oder sonstige Leistung zu beurteilen sei. Wenn § 4 Nr. 28 Buchst. a UStG 1980 mit dem dort verwendeten Begriff der Lieferung bei der Praxisaufgabe im Rahmen eines zivilrechtlichen Vertrags mit einem Übernehmer eine Steuerbefreiung vorsehe, jedoch im Falle einer Praxisaufgabe gegen gewährte Entschädigungszahlungen eine sonstige Leistung annehme, stelle dies eine im Lichte des Art. 13 Teil B Buchst. c der 6. EG-Richtlinie und der dazu ergangenen Protokollnotiz Nr. 4 europarechtlich nicht gebotene Differenzierung dar, die einer dem Europarecht konformen, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) obliegenden Auslegung bedürfe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Divergenz
a) Eine Abweichung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegt vor, wenn das FG in dem angefochtenen Urteil einen die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem - ebenfalls tragenden - abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BFH abweicht (BFH-Beschluß vom 23. April 1992 VIII B 49/90, BFHE 167, 488, BStBl II 1992, 671 m.w.N.).
b) Hieran fehlt es im Streitfall. Ob die Beschwerde insoweit mangels Erkennbarkeit einer Abweichung nach dem Beschwerdevortrag unzulässig ist, kann offenbleiben. Der Kläger entnimmt zwar dem Senatsurteil in BFHE 156, 273, BStBl II 1989, 430 den abstrakten Rechtssatz, daß die Überlassung eines Praxiswertes eine nach § 4 Nr. 28 Buchst. a UStG 1980 steuerfreie Lieferung eines Gegenstandes sein könne. Davon weicht das FG aber nicht ab. Der Kläger wendet sich vielmehr gegen die Ausführungen des FG, daß die Aufgabe der Praxis des Klägers in den von ihm angemieteten Räumen keine Lieferung von Gegenständen i.S. des § 4 Nr. 28 Buchst. a i.V.m. § 3 Abs. 1 UStG 1980, sondern eine sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG 1980) sei. Mit einer solchen Fallgestaltung hatte sich der Senat in der erwähnten Entscheidung nicht zu befassen. Gleiches gilt auch für den Beschluß in BFHE 150, 196, BStBl II 1987, 795, der zudem als Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung ergangen ist und zur Auslegung des § 4 Nr. 28 Buchst. a UStG 1980 nicht abschließend Stellung genommen hat.
Soweit der Kläger Divergenz zu näher benannten Urteilen von Finanzgerichten geltend macht, scheitert eine Zulassung bereits an § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, wonach der Zulassungsgrund der Divergenz die Abweichung gerade von einer BFH-Entscheidung zur Voraussetzung hat, nicht aber die Abweichung von der Entscheidung irgendeines Gerichts der Finanzgerichtsbarkeit (Senatsbeschluß vom 28. März 1991 V B 118/89, BFH/NV 1992, 744).
2. Grundsätzliche Bedeutung
Einer Rechtssache ist grundsätzliche Bedeutung beizumessen, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BFH-Beschluß vom 13. September 1991 IV B 105/90, unter I 2a, BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148 m.w.N.). Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage kommt daher nur wegen einer klärungsbedürftigen und im Revisionsverfahren klärbaren Rechtsfrage in Betracht (BFH-Beschluß in BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148).
Auch hieran fehlt es im Streitfall. Nach dem durch das FG festgestellten Sachverhalt hat der Kläger die Entschädigung als Gegenleistung für sonstige Leistungen, nicht aber für Lieferungen erhalten. Sowohl § 4 Nr. 28 Buchst. a UStG 1980 als auch Art. 13 Teil B Buchst. c der 6. EG-Richtlinie sind eindeutig nur bei Lieferungen anwendbar. Anhaltspunkte für eine vom Kläger angestrebte gegenteilige Auslegung ergeben sich nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 419108 |
BFH/NV 1994, 415 |