Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des GmbH-Geschäftsführers im Falle der Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens
Leitsatz (amtlich)
Kommt es mangels Masse nicht zur Eröffnung des beantragten Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH, können bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des GmbH-Geschäftsführers nach § 69 AO hypothetische Betrachtungen über eine mögliche Anfechtung etwaiger Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter keine Berücksichtigung finden.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 4; AO §§ 69, 35; InsO § 130
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war zu 50 v.H. an einer GmbH beteiligt. Ihm war Einzelprokura erteilt worden, die ihm im Mai 2003 entzogen wurde. Am 30. Mai 2003 wurde ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt, den das Insolvenzgericht nach § 26 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) abgewiesen hat. Inzwischen ist die GmbH wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen im Handelsregister gelöscht. Aufgrund rückständiger Umsatzsteuerschulden der GmbH für die Voranmeldungszeiträume August bis November 2002 sowie Januar bis März 2003 nahm der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Antragsteller gemäß § 69 i.V.m. § 35 der Abgabenordnung (AO) als Haftungsschuldner in Anspruch. Nachdem das FA die zunächst gewährte Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Haftungsbescheides widerrufen und den Einspruch zurückgewiesen hatte, stellte der Antragsteller nach § 69 Abs. 4 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim Finanzgericht (FG) den Antrag, die Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheides auszusetzen.
Den Antrag wies das FG mit der Begründung zurück, dass der Antragsteller tatsächlich die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH erledigt habe und infolgedessen als Verfügungsberechtigter aufgetreten sei. Die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten habe er zumindest grob fahrlässig verletzt, denn es hätte ihm ohne weiteres einleuchten müssen, dass er als Verfügungsberechtigter für eine vollständige und rechtzeitige Abgabe der Steuererklärungen sowie für eine rechtzeitige Zahlung der geschuldeten Steuern hätte sorgen müssen. Im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit der Steuerschulden hätten diese noch aus Mitteln der GmbH beglichen werden können. Unbeachtlich sei im Streitfall, ob eine hypothetische Anfechtbarkeit tatsächlich an das FA geleisteter Zahlungen gemäß §§ 130 ff. InsO zu einer Einschränkung der Haftung führen könnte, wie dies in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung vertreten werde. Denn eine Berücksichtigung eines solchen hypothetischen Kausalverlaufs könnte nur dann in Betracht kommen, wenn das Insolvenzverfahren überhaupt eröffnet werde. Komme es dagegen nicht zur Eröffnung eines solchen Verfahrens, stelle sich die Frage einer Anfechtbarkeit nicht.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde begehrt der Antragsteller die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung sowie die AdV des angefochtenen Haftungsbescheides. Zur Begründung führt er aus, dass er vom FG zu Unrecht als faktischer Geschäftsführer angesehen worden sei. Das FG habe sich lediglich auf Bekundungen des GmbH-Geschäftsführers sowie auf den Inhalt eines gegen ihn wegen Untreue ergangenen Strafbefehls gestützt. Aus dem Strafbefehl ergebe sich, dass er kein faktischer Geschäftsführer gewesen sei, der ohne weiteres über Firmengelder hätte verfügen dürfen. Darüber hinaus spiele es entgegen der Rechtsauffassung des FG für eine Berücksichtigung einer möglichen Anfechtbarkeit geleisteter Lohnsteuerzahlungen keine Rolle, ob der Antrag auf Insolvenzeröffnung mangels Masse abgewiesen worden sei. Erforderlich sei eine Prognose, ob im Zeitpunkt der Pflichtverletzung ein Insolvenzantrag erforderlich gewesen sei.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten und schließt sich der Auffassung des FG an. Dem Antragsteller sei der gesamte kaufmännische Bereich der GmbH übertragen worden, er habe umfassende Bankvollmacht besessen und zusammen mit dem Steuerberater der GmbH deren steuerliche Angelegenheiten erledigt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der erkennende Senat zu der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides keine ernstlichen Zweifel bestehen, so dass das FG die AdV zu Recht abgelehnt hat.
1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheides neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (BFH-Entscheidungen vom 15. Juli 1998 I B 134/97, BFH/NV 1999, 372, und vom 10. November 1994 IV R 44/94, BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814, m.w.N.).
a) Im Streitfall begegnet es nach Auffassung des beschließenden Senats keinen rechtlichen Bedenken, dass das FG von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Antragstellers ausgegangen ist. Grundsätzlich kommt als Verfügungsberechtigter i.S. von § 35 AO und damit als Haftungsschuldner i.S. von § 69 AO auch der für eine GmbH tätige Prokurist in Betracht. Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, ergibt sich die Haftung als Verfügungsberechtigter jedoch nicht allein aus der Stellung als Prokurist. Die Pflichtenstellung, die eine haftungsrechtlich relevante Verfügungsberechtigung vermittelt, wird wesentlich durch den im Innenverhältnis zugeteilten Aufgabenbereich bestimmt, zu dem die Erfüllung steuerlicher Pflichten gehören kann, aber nicht muss (vgl. Jatzke in Beermann/Gosch, AO § 35 Rz 8). Sind dem Prokuristen tatsächlich steuerliche Befugnisse, wie die Abgabe von Steueranmeldungen und die fristgerechte Entrichtung der geschuldeten Steuern übertragen worden, haftet er für eine zumindest grob fahrlässige Verletzung dieser Obliegenheiten nach § 69 AO. Im Streitfall gelangt der beschließende Senat nach summarischer Prüfung zu der Auffassung, dass dem Antragsteller solche Pflichten übertragen worden sind.
b) Ausweislich der Akten, auf die das FG in der Begründung seiner Entscheidung Bezug genommen hat, hat der Antragsteller einen Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung nach § 48b des Einkommensteuergesetzes gestellt. In der Beschwerdebegründung hat der Antragsteller dies nicht in Abrede gestellt. Darüber hinaus hatte er umfassende Bankvollmacht und wickelte den gesamten Zahlungsverkehr der GmbH ab. Es liegt nahe, dass hierzu auch die Überweisung von Steuerbeträgen an das FA gehörte, denn es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Leistung solcher Zahlungen dem Steuerberater oder anderen Personen vorbehalten war. Entgegen den Ausführungen des Antragstellers hat das FG dessen Verfügungsbefugnis nach § 35 AO nicht aufgrund einer faktischen Geschäftsführung angenommen, sondern aufgrund seiner steuerlichen Befugnisse als Prokurist. Schließlich räumt der Antragsteller selbst ein, dass die Aussagen des Geschäftsführers der GmbH die Verfügungsbefugnis bestätigen. Bei diesem Befund und der im Aussetzungsverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung sprechen hinreichende Gründe für die vom FG angenommene Pflichtenstellung des Antragstellers.
c) Diese Pflichten, nämlich die Pflicht zur fristgerechten Entrichtung der Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume August bis November 2002 sowie Januar bis März 2003, hat der Antragsteller grob fahrlässig nicht erfüllt. Dass die GmbH zu den Fälligkeitszeitpunkten zahlungsunfähig gewesen ist, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Die Stellung des Insolvenzantrages Ende Mai 2003 liefert keinen Beweis für die Einstellung sämtlicher Zahlungen zu diesen Fälligkeitszeitpunkten. Eine Benachteiligung des FA kann daher nicht ausgeschlossen werden. Den Unsicherheiten hat das FA dadurch Rechnung getragen, dass es die Haftungsquote auf 60 v.H. geschätzt hat. Im summarischen Verfahren ist diese Schätzung nicht zu beanstanden, zumal der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren hierzu nichts vorgetragen hat.
2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers entfällt seine Haftung nicht deshalb, weil unter hypothetischer Annahme einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens und einer möglichen Anfechtung etwaiger Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter gemäß den insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften der §§ 130 ff. InsO die an das FA geleisteten Zahlungen zur Masse hätten zurückgewährt werden müssen. Denn im Streitfall ist es nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekommen, so dass etwaige Anfechtungsmöglichkeiten überhaupt nicht eröffnet wurden. Wie der Senat bereits entschieden hat, könnte sich die Frage nach der Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe --die der Senat bisher offen gelassen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2005 VII B 124-125/05, BFH/NV 2006, 897)-- nur dann stellen, wenn eine gedachte Insolvenzanfechtung hätte Erfolg haben können, d.h. wenn die Erfüllung der insolvenzrechtlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung nach §§ 130 ff. InsO angenommen werden könnte (vgl. Senatsurteil vom 28. Februar 2007 VII R 67/05, zur Veröffentlichung vorgesehen). Weist das Insolvenzgericht nach § 26 Abs. 1 InsO den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab, steht damit fest, dass es zur Ausübung etwaiger Anfechtungsrechte überhaupt nicht kommen kann. Zu Recht hat das FG ausgeführt, dass unter Berücksichtigung dieses Umstandes hypothetische Betrachtungen über eine mögliche Rückgewähr etwaiger Steuerzahlungen durch das FA nicht anzustellen sind.
Fundstellen
Haufe-Index 1778552 |
BFH/NV 2007, 1736 |
BStBl II 2009, 622 |
BFHE 2008, 209 |
BFHE 217, 209 |
BB 2007, 1829 |
DB 2007, 1795 |
DStRE 2007, 1210 |
HFR 2007, 946 |