Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Die Besorgnis der Befangenheit ist nicht gerechtfertigt, wenn ein Richter von dem ihm nach der Verfahrensordnung zustehenden Befugnis in einem dem Gesetzeszweck entsprechenden Maße Gebrauch macht.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) führte wegen der Einkommensteuer für mehrere Streitjahre und wegen festgesetzter Hinterziehungszinsen Prozesse vor dem Finanzgericht (FG). In diesen Verfahren ordnete das FG durch Beschluß vom 8. Mai 1995 eine Beweiserhebung über die Prozeßfähigkeit des Klägers durch Vernehmung seines behandelnden Nervenarztes Dr. Z als sachverständigen Zeugen an. Die Vernehmung wurde in der Sitzung vom 23. Juni 1995 durchgeführt. Während eines Vorhalts des Richters am FG X an den Zeugen unterbrach der Kläger dessen Vernehmung und erklärte, er lehne Richter am FG X wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Richter habe bei der Vernehmung angedeutet, daß er die Klage für aussichtslos halte. Aus dem Verhalten des Richters werde deutlich, daß er gegen den Kläger voreingenommen sei und gegen ihn Stimmung machen wolle. Im weiteren Verlauf der Verhandlung erklärte der Kläger, er bitte darum, "ein anderes Gericht einzusetzen". Er erklärte ferner, das Ablehnungsgesuch gegen Richter am FG X zrücknehmen zu wollen, falls ihn das Gericht für prozeßfähig erkläre. Das FG hat die Klagen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 1995 abgewiesen.
Zuvor hat es den Antrag des Klägers auf Ablehnung des Richters am FG X und auf Ablehnung aller übrigen Mitglieder des zuständigen Senats des FG durch Beschluß vom 23. Juni 1995, an der der abgelehnte Richter am FG X nicht mitgewirkt hat, abgelehnt. Das Befangenheitsgesuch sei nicht begründet, weil der Richter nach Erör terung der im Beweisbeschluß genannten Kriterien für die Beurteilung der Prozeß fähigkeit den Zeugen ausweislich der Sitzungsniederschrift lediglich darauf hingewiesen habe, daß sich mit den vom Kläger in diesem Verfahren vorgebrachten Sachargumenten bereits ein anderer Senat in mehreren Urteilen ausführlich auseinandergesetzt habe, "diese vielleicht widerlegt anhand des Akteninhalts" seien und der Kläger diese Sachargumente unverändert wiederhole. Aus diesem Verhalten könne bei vernünf tiger Betrachtung nicht die Besorgnis der Befangenheit des Richters gegenüber dem Kläger hergeleitet werden. Die Ablehnungsgesuche gegen die übrigen Richter des Senats seien wegen Rechtsmißbrauchs unzulässig. In der dem angefochtenen Beschluß beigefügten Rechtsmittelbelehrung heißt es, gegen die Entscheidung sei die Beschwerde an den Bundesfinanzhof (BFH) nur zulässig, wenn das FG sie zugelassen habe.
Gegen diesen Beschluß hatte der Kläger zur Niederschrift der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des FG persönlich Beschwerde eingelegt. Zur Begründung der Beschwerde führte der Kläger aus, der Beschluß habe diskriminierenden Charakter; im übrigen nahm er wegen der Begründung Bezug auf seine Ausführungen in der mündlichen Verhandlung. Die Beschwerde wurde durch Beschluß des erkennenden Senats vom 19. Dezember 1995 wegen fehlender Postulationsfähigkeit des Klägers verworfen.
Mit Schriftsatz vom 24. Januar 1996 hat der Kläger, vertreten durch seine jetzigen Prozeßbevollmächtigten, erneut Beschwerde gegen den Beschluß des FG vom 23. Juni 1995 eingelegt und zugleich beantragt, ihm wegen der Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Beschwerdeschrift enthält im übrigen keine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses.
Das FG hat der Beschwerde nicht abge holfen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, daß sie nach Ablauf der Beschwerdefrist eingelegt wurde. Gegen den Beschluß, durch den ein Gesuch auf Richterablehnung zurückgewiesen wird, steht dem Beteiligten die Beschwerde zu (§ 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Da die dem angefochtenen Beschluß beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung den Kläger fehlerhaft dahin belehrt hat, daß gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben sei, steht ihm das Recht der Beschwerde ohne zeitliche Begrenzung zu (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 55 Rz. 30). Es bedarf deshalb keiner Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Beschwerde ist auch nicht deshalb unzulässig, weil das FG bereits in der Hauptsache entschieden hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217; vom 27. September 1994 VIII B 64-76/94, BFH/NV 1995, 526).
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfer tigen. Dabei kommt es darauf an, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, bei objektiver und vernünftiger Betrachtung Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln; unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).
a) Die von dem Kläger gegen den Richter X vorgetragenen Ablehnungsgründe können bei vernünftiger objektiver Betrachtung nicht die Besorgnis der Befangenheit dieses Richters rechtfertigen. Der Kläger hat sein Ablehnungsgesuch vor allem damit begründet, daß der abgelehnte Richter bei der Befragung des sachverständigen Zeugen zu erkennen gegeben habe, daß er die vom Kläger wiederholt vorgetragenen Sachargumente für "anhand des Akteninhalts vielleicht widerlegt" halte. Diese Äußerung gibt keine Veranlassung, an der Unvoreingenommenheit des Richters gegenüber dem Kläger zu zweifeln. Grundsätzlich ist die Besorgnis der Befangenheit nicht gerechtfertigt, wenn ein Richter von dem ihm nach der Verfahrensordnung zustehenden Befugnissen in einem dem Gesetzeszweck entsprechenden Maße Gebrauch macht (Senatsbeschluß in BFH/NV 1995, 526, m. w. N.). Nach § 82 FGO i. V. m. §§ 414, 396 ZPO sind die Mitglieder des Gerichts berechtigt, dem sachverständigen Zeugen zur Aufklärung und zur Vervollständigung seiner Aussage Fragen zu stellen. Im Streitfall hatte der abgelehnte Richter unter Bezugnahme auf den Beweisbeschluß den sachverständigen Zeugen darauf hingewiesen, daß der Kläger im vorliegenden Verfahren seine bereits in früheren Verfahren vorgebrachten Sachargumente unverändert wiederhole, obwohl diese vielleicht aufgrund des Akteninhalts widerlegt seien. Diese Frage ist bei objektiver Beurteilung dahin zu verstehen, daß der Richter den sachverständigen Zeugen zu einer Aussage darüber veranlassen wollte, ob Zweifel an der Prozeßfähigkeit eines Beteiligten dann begründet seien, wenn dieser -- wie der Kläger im vorliegenden Verfahren -- Sachargumente ständig wiederhole, die aufgrund des bisherigen Prozeßverlaufs als widerlegt angesehen werden könnten. Diese Frage steht offensichtlich im Zusammenhang mit dem im Beweisbeschluß unter 6. aufgeführten Anhaltspunkt für eine (partielle) Prozeß unfähigkeit. Wenn ein Richter den Eindruck hat, ein sachverständiger Zeuge habe eine Beweisfrage nicht richtig verstanden oder nicht vollständig beantwortet, ist er verpflichtet, diesen über den Inhalt des Beweisbeschlusses zu belehren und/oder auf eine Ergänzung der Aussage hinzuwirken.
Im Streitfall kann offenbleiben, ob die vom Kläger beanstandete Frage des abgelehnten Richters aufgrund der vorangegangenen Aussagen des Zeugen Dr. Z gerechtfertigt war. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, der Richter also zu Unrecht angenommen haben sollte, daß der Zeuge die Beweisfrage noch nicht ausreichend beantwortet habe, ergibt sich hieraus kein Ablehnungsgrund. Das Ablehnungsverfahren soll grundsätzlich nicht gegen unzutreffende Rechtsansichten eines Richters schützen (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. den Senatsbeschluß in BFH/NV 1995, 526). Rechtsfehler können nur dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen die ablehnende Partei oder auf Willkür beruht. Dies hat die Rechtsprechung z. B. bei gravierenden Verfahrensfehlern oder bei einer Häufung von Rechtsverstößen angenommen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 1993 XI B 91/92, BFH/NV 1994, 489, und vom 24. November 1994 X B 146-149/94, BFH/NV 1995, 692). Davon kann im Streitfall nicht die Rede sein. Zwar läßt die Äußerung des Richters gegenüber dem Zeugen den Schluß zu, daß er die vom Kläger in seinen Steuerprozessen vorgetragenen Sachargumente nach dem bisherigen Verlauf dieser Verfahren für widerlegt hielt. Meinungsäußerungen eines Richters über den voraussichtlichen Ausgang des Klageverfahrens sprechen jedoch nicht schon gegen dessen Objektivität (vgl. BFH- Beschluß in BFH/NV 1995, 526, 528, m. w. N.). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Äußerung erkennen läßt, daß sie auf einer lediglich vorläufigen Meinungsbildung beruht und daß eine anderweitige Entscheidung des Senats nicht ausgeschlossen ist (Beschluß in BFH/NV 1995, 526, 528, m. w. N.). Von letzterem ist hier schon deshalb auszugehen, weil der Berichterstatter selbst mit der Formulierung, die Sachargumente des Klägers seien "vielleicht" aufgrund des Akteninhalts widerlegt, andeutete, daß er sich in dieser Frage noch keine abschließende Meinung gebildet hatte.
b) Das FG hat zutreffend die Ablehnungsgesuche gegen die übrigen Mitglieder des zuständigen Senats als unzulässig verworfen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt die pauschale Ablehnung eines Spruchkörpers ohne Angabe von Befangenheitsgründen in der Person der einzelnen ihm angehörenden Richter einen Mißbrauch des Ablehnungsrechts dar. In einem solchen Fall kann das Gericht unter Mitwirkung der (pauschal) abgelehnten Richter über das unzulässige Ablehnungsgesuch entscheiden (BFH-Beschluß vom 30. Januar 1995 X S 11, 12/94, BFH/NV 1995, 818, m. w. N.).
Fundstellen