Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückverweisung nach § 116 Abs. 6 FGO; Fehlende Gründe nach § 119 Nr. 6 FGO
Leitsatz (NV)
1. Zur Zurückverweisung nach § 116 Abs. 6 FGO, wenn der Verfahrensmangel einen selbständigen Klagegrund betrifft.
2. Begehrt der Steuerpflichtige in einer verschiedene Punkte umfassenden Streitsache den Abzug von Aufwendungen für ein Arbeitszimmer, gibt das FG dieses Vorbringen zwar im Tatbestand seines Urteils wieder, lässt es das Begehren in den Entscheidungsgründen aber vollständig unberücksichtigt und macht es damit den Prozessbeteiligten unmöglich, seine Entscheidung, mit der es implizit den Werbungskostenabzug abgelehnt hat, auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, so ist die Entscheidung gemäß § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen.
3. Schlafstörungen und damit verbundene Konzentrationsschwächen sind regelmäßig keine erheblichen Gründe dafür, einen Termin zur mündlichen Verhandlung nach § 227 ZPO i.V.m. § 155 FGO aufzuheben oder zu verlegen.
4. Wird im Rahmen der Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein mehrere Streitjahre umfassendes Urteil die Sache durch Beschluss nach § 116 Abs. 6 FGO in Bezug auf ein Streitjahr zurückverwiesen und die Beschwerde wegen anderer Streitjahre als unbegründet zurückgewiesen, so kann der BFH die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wegen des Prinzips der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung insgesamt nach § 143 Abs. 2 FGO dem FG übertragen.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO §§ 96, 116 Abs. 6, § 119 Nr. 6, § 143 Abs. 2; ZPO § 227
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist in Bezug auf das Streitjahr 2000 begründet, in Bezug auf die Streitjahre 2003 und 2004 ist sie unbegründet.
1. Soweit die Beschwerde das Streitjahr 2000 betrifft, führt sie zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht (FG). Denn die Vorentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
a) Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) macht zu Recht als Verfahrensmangel geltend, das Urteil sei nicht i.S. von § 119 Nr. 6 FGO mit Gründen versehen. Dieser Verfahrensmangel liegt auch tatsächlich vor.
Nach § 119 Nr. 6 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. So verhält es sich, wenn den Prozessbeteiligten die Grundlage entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. den Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. November 2006 X B 160/05, BFH/NV 2007, 480, unter II. 2., m.w.N.). Es reicht aus, wenn die Gründe nur zum Teil fehlen und das Gericht ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel, das für sich allein den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet, auch als Teil eines eigenständigen Anspruchs --z.B. wie hier Einkommensteuer 2000-- übergangen hat (vgl. die ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 1. April 2003 X B 105/02, BFH/NV 2003, 1193, unter II. 2., m.w.N. aus der Rechtsprechung; eingehend zur Problematik Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 119 FGO Rz 358 ff. mit Fallbeispielen).
Im Streitfall hat das FG das Vorbringen des Klägers, Aufwendungen für sein Arbeitszimmer seien bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen, in keiner Weise in seine Begründung einbezogen. Bei dem Tatbestand des § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 6b Satz 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) handelt es sich um eine mit selbständiger Wirkung ausgestattete Rechtsnorm. Das FG hat das Begehren des Klägers zwar im Tatbestand seines Urteils wiedergegeben, in den Entscheidungsgründen aber vollständig unberücksichtigt gelassen und es damit den Prozessbeteiligten unmöglich gemacht, seine Entscheidung, mit der es implizit den Werbungskostenabzug abgelehnt hat, auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.
b) Da von einem nachfolgenden Revisionsverfahren keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten ist, hält es der erkennende Senat für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil, soweit es das Jahr 2000 betrifft, aufzuheben und den Rechtsstreit insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
2. In Bezug auf die Streitjahre 2003 und 2004 ist die auf Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet. Das FG hat insoweit nicht verfahrensfehlerhaft entschieden.
a) Es hat, indem es den Antrag des Klägers auf Verlegung des Termins der mündlichen Verhandlung abgelehnt hat, nicht dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt. Nach § 227 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO kann das Gericht aus erheblichen Gründen --auf Antrag oder von Amts wegen-- u.a. einen Termin zur mündlichen Verhandlung aufheben oder verlegen. Ein solcher erheblicher Grund wurde in dem Terminsverlegungsantrag (vom 3. Februar 2009) nicht in ausreichender Weise dargetan. Wird ein Terminsverlegungsantrag erst kurz vor der anberaumten mündlichen Verhandlung gestellt, muss der Grund für die Verhinderung so dargelegt und untermauert werden, dass das Gericht beurteilen kann, ob eine Verhandlungsunfähigkeit und Reiseunfähigkeit besteht (z.B. BFH-Beschluss vom 1. April 2009 X B 78/08, Zeitschrift für Steuern & Recht 2009, R 674, m.w.N.). Das ist hier aber nicht geschehen. Der Vortrag war bereits unschlüssig. Wenn der Kläger behauptete, unter Schlafstörungen gelitten zu haben und deshalb unkonzentriert gewesen zu sein, so musste das FG daraus entgegen den Darlegungen des Klägers nicht den Schluss ziehen, er sei auch daran gehindert gewesen, mit der Bahn nach Hannover zu reisen. Ganz abgesehen davon hat der Kläger seinen Vortrag in keiner Weise untermauert.
b) Das FG hat auch nicht deshalb den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es die Einspruchsentscheidungen nicht isoliert aufgehoben hat. Wenn der Kläger hierzu behauptet, er hätte im Einspruchverfahren seine Einkommensteuererklärungen der vergangenen Jahre vervollständigt, so sind diese Darlegungen unschlüssig. Es fehlt nämlich die Darlegung, warum die ihm nach § 364b der Abgabenordnung eingeräumte Frist nicht ausreichend gewesen sei. Allein der Umstand, dass eine andere Ermessensentscheidung möglich gewesen wäre, macht die getroffene Entscheidung noch nicht rechtswidrig. Überdies betrifft der klägerische Vortrag allein das Vorverfahren. Wieso dies ein fehlerhaftes finanzgerichtliches Verfahren (statt --wenn überhaupt-- einen Rechtsfehler) zur Folge haben soll, ist nicht einsichtig, zumal sich das FG in seiner Entscheidung ausdrücklich mit der Frage der isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung auseinander gesetzt hat. Dies gilt umso mehr, als der Kläger nach Erheben der Klage ausreichend Zeit hatte, seine Erklärungen zu vervollständigen.
c) Das FG hat in Bezug auf die Streitjahre 2003 und 2004 wegen der Kosten des Arbeitszimmers nicht gemäß § 119 Nr. 6 FGO verfahrensfehlerhaft ohne Begründung entschieden. Die Begründung des FG für die Klageabweisung der Streitjahre 2003 und 2004 ergibt sich --auch was die Aufwendungen für das Arbeitszimmer anbelangt-- implizit aus seinen Erwägungen zu § 79b Abs. 2 FGO.
d) Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz FGO ab.
3. Die Kostenentscheidung folgt --wegen des Prinzips der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung-- insgesamt aus § 143 Abs. 2 FGO (vgl. dazu eingehend Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 143 FGO Rz 15, m.w.N.). Dabei ist unerheblich, ob die Sache durch Urteil nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO oder durch Beschluss nach § 116 Abs. 6 FGO zurückverwiesen wird.
Fundstellen