Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmängel; fehlerhafte Beweiswürdigung; fehlende Entscheidungsgründe; unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung; Verletzung der Amtsermittlungs- und gerichtlichen Hinweispflicht
Leitsatz (NV)
- Der Verfahrensmangel fehlender Entscheidungsgründe ist gegeben, wenn den Beteiligten die Möglichkeit genommen wird, die getroffene Entscheidung auf ihren Inhalt und ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Ein solcher Fall liegt vor, wenn jegliche Begründung fehlt oder nur inhaltslose Formulierungen verwendet werden oder wenn ein selbständiger Anspruch bzw. ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen worden ist. Eine lediglich lückenhafte, zu kurze oder auch fehlerhafte Begründung stellt hingegen keinen derartigen Mangel dar.
- Das Gericht verstößt gegen das Verbot einer vorweggenommenen Beweiswürdigung, wenn es erhebliche Beweisantritte eines Beteiligten mit der Begründung übergeht, von der Erhebung des Beweises sei kein zweckdienliches Ergebnis zu erwarten, es sei denn, das entscheidungserhebliche Beweisangebot sei schlechterdings untauglich, unerreichbar oder unzulässig.
- Zur ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht ist insbesondere anzugeben, worauf konkret das Gericht hätte hinweisen müssen und vor allem, was der Kläger bzw. sein Vertreter auf einen derartigen Hinweis noch an konkreten Beweismitteln beigebracht oder sonst vorgetragen hätte.
Normenkette
EStG § 26 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, §§ 82, 94, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 6; ZPO § 164 Abs. 1, § 377 Abs. 3
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat keine Zulassungsgründe i.S. von § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO entsprechend den gesetzlichen Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargetan.
1. Soweit sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des Finanzgerichts (FG) im angefochtenen Urteil wendet, macht sie damit keinen Verfahrensfehler geltend, sondern beanstandet die materiell-rechtliche Beurteilung des FG. Fehler in der Beweiswürdigung eröffnen nicht die Revision (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 19. Februar 2002 V B 52/01, BFH/NV 2002, 956, 957, m.w.N.).
2. Eine ordnungsgemäße Rüge liegt gleichfalls nicht vor, soweit die Klägerin beanstandet, das FG habe zwar die Voraussetzungen für die Qualifizierung als eheliche Lebensgemeinschaft detailliert dargestellt, indes keine Ausführungen zu der die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer als Mindestvoraussetzung rechtfertigenden Wirtschaftsgemeinschaft gemacht (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Juli 1996 III R 90/95, BFH/NV 1997, 139, m.w.N.).
Insoweit kommt ein Verfahrensverstoß wegen fehlender Entscheidungsgründe i.S. von § 119 Nr. 6 FGO in Betracht. Dieser Verfahrensmangel ist gegeben, wenn den Beteiligten die Möglichkeit genommen wird, die getroffene Entscheidung auf ihren Inhalt und ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Ein solcher Fall liegt insbesondere vor, wenn jegliche Begründung fehlt oder inhaltslose Formulierungen verwendet werden, die nicht erkennen lassen, von welchen Erwägungen das Gericht ausgegangen ist, und deshalb eine Überprüfung seines Rechtsstandpunkts nicht zulassen, oder wenn ein selbständiger Anspruch bzw. ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen worden ist (BFH-Beschluss vom 19. Oktober 2001 V B 48/01, BFH/NV 2002, 369, 370, m.w.N.). Hingegen ist eine lediglich lückenhafte, zu kurze oder auch fehlerhafte Begründung kein Mangel i.S. von § 119 Nr. 6 FGO (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 1994 VIII R 50/93, BFH/NV 1994, 646, 647, m.w.N.; vom 2. Februar 1999 II R 91/97, BFH/NV 1999, 1106).
Das FG hat in der Vorentscheidung entsprechend der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend ausgeführt, steuerrechtlich setze die Annahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft wenigstens das Bestehen einer Wirtschaftsgemeinschaft voraus. Der Wille zur Fortsetzung der Wirtschaftsgemeinschaft müsse noch bei beiden Ehegatten vorhanden sein. Eine solche Wirtschaftsgemeinschaft bestehe dann, wenn die Ehegatten die sie berührenden wirtschaftlichen Fragen gemeinsam erledigten und gemeinsam über die Verwendung des Familieneinkommens entschieden.
Die Klägerin hat allerdings nicht vorgetragen, sie habe irgendetwas für ein Fortbestehen oder eine Neubegründung der Wirtschaftsgemeinschaft geltend gemacht, was das FG hätte würdigen können bzw. müssen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) hat bereits in der Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 1999 aus den auch vom FG herangezogenen Indizien eine Beendigung der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft abgeleitet und diesen Aspekt in der Klageerwiderung vom 13. August 1999 erneut hervorgehoben. Mit der Ladung der Kläger zur mündlichen Verhandlung hatte das FG es zudem als ratsam bezeichnet, dem Gericht schriftlich Unterlagen vorzulegen, aus denen die Führung eines gemeinsamen Haushaltes hervorgehe. Das FG hat sich erkennbar den Schlussfolgerungen des FA angeschlossen und insbesondere die in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen als nicht geeignet angesehen, die für ein dauerndes Getrenntleben sprechenden Anhaltspunkte zu entkräften.
Überdies hat die Klägerin keinen Nachweis über ggf. nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigende Unterhaltszahlungen an ihren Ehemann erbracht.
3. a) Die Rüge einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung ist gleichfalls nicht ordnungsgemäß erhoben.
Das Gericht hat den beweiserheblichen Prozessstoff durch Beweisaufnahme auszuschöpfen. Es verstößt gegen das Verbot einer vorweggenommenen Beweiswürdigung, wenn es erhebliche Beweisantritte eines Beteiligten mit der Begründung übergeht, von der Erhebung des Beweises sei kein zweckdienliches Ergebnis zu erwarten (BFH-Urteil vom 15. Mai 1996 X R 252-253/93, BFH/NV 1996, 906, 907), es sei denn, das entscheidungserhebliche Beweisangebot wäre schlechterdings untauglich (vgl. BFH-Urteil vom 19. Juli 1994 VIII R 60/93, BFH/NV 1995, 717, 719, m.w.N.), unerreichbar oder unzulässig (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juli 2000 V R 38/99, BFH/NV 2001, 181, 182).
Indes hat die Klägerin bereits nicht dargetan, welche konkreten und vor allem ordnungsgemäßen Beweisanträge sie in der mündlichen Verhandlung gestellt hat, um die "melderechtliche Situation" ihres Ehemannes für das Gericht nachvollziehbar zu machen. Insbesondere aus der Sitzungsniederschrift vom 16. Mai 2002 sind keinerlei Beweisanträge des als Vertreter der Klägerin aufgetretenen Ehemannes ersichtlich. Ebenso wenig ist eine Berichtigung des Protokolls beantragt worden (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 164 der Zivilprozessordnung ―ZPO―; BFH-Beschluss vom 4. März 1992 II B 201/91, BFHE 166, 574, 576, BStBl II 1992, 562, 563).
b) Ein ordnungsgemäßer Antrag auf Vernehmung der Eheleute A als Zeugen ist ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 16. Mai 2002 ebenfalls nicht gestellt worden.
Die Klägerin hat aber auch nicht ordnungsgemäß gerügt, das FG hätte insoweit seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Es kann dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht mit der schriftlichen Bestätigung der Eheleute A zum Aufenthalt des Ehemannes der Klägerin in deren Wohnung im Streitjahr 1998 begnügen durfte (vgl. zu schriftlichen Zeugenaussagen § 82 FGO i.V.m. § 377 Abs. 3 ZPO; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 81 Rz. 12, m.w.N.). Indes fehlt der erforderliche Vortrag, dass sich eine unmittelbare Einvernahme der Eheleute A dem Gericht auch ohne entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen und welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich ―ausgehend von der insoweit maßgebenden materiell-rechtlichen Auffassung des FG― bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, BFH/NV 2000, 1435, unter II. 1. b, ständige Rechtsprechung).
c) In gleicher Weise ist die Verfahrensrüge, das Gericht sei seiner Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO nicht nachgekommen, unsubstantiiert. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung eines solchen Verfahrensfehlers hätte u.a. angegeben werden müssen, worauf konkret das Gericht hätte hinweisen müssen ―zumal es bereits in der Ladung zur mündlichen Verhandlung sowohl das persönliche Erscheinen der Klägerin als auch die Vorlage geeigneter schriftlicher Unterlagen über die Führung eines gemeinsamen Haushaltes empfohlen hatte―, und vor allem, was die Klägerin bzw. ihr Vertreter auf einen derartigen Hinweis noch an konkreten Beweismitteln beigebracht bzw. sonst vorgetragen hätte (vgl. BFH-Beschluss vom 4. August 1999 VIII B 51/98, BFH/NV 2000, 204, 205, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 905244 |
BFH/NV 2003, 502 |