Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung der Besteuerungsgrundlagen; kein Sachverständigengutachten zur Höhe der Besteuerungsgrundlagen; Akteneinsicht
Leitsatz (NV)
1. Mußte das FA mangels Abgabe von Steuererklärungen die Besteuerungsgrundlagen schätzen, so kann sich der Steuerpflichtige seinen Erklärungspflichten nicht durch Beantragung eines Sachverständigengutachtens zur Bestimmung der Höhe der Besteuerungsgrundlagen entziehen.
2. Im allgemeinen ist davon auszugehen, daß die FG aufgrund eigener Sachkenntnis über die Höhe der Besteuerungsgrundlagen entscheiden.
3. Übersendet das FA dem FG ein an den Kläger gerichtetes Schreiben, so verletzt das FG nicht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör, wenn es diesen nur auf den Eingang des Schreibens bei Gericht hinweist, nicht aber dieses Schreiben noch einmal dem Kläger übersendet.
4. Das Recht auf Akteneinsicht ist nicht dadurch verletzt, daß das FG einen Beteiligten nicht zur Akteneinsicht aufgefordert hat.
5. Das Recht auf Akteneinsicht ist auch nicht allein deswegen verletzt, weil das FG den Kläger nicht vom Eingang der Steuerakten unterrichtet hat.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, §§ 96, 78, 71 Abs. 2; AO 1977 § 162
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Die Revision ist nicht aus den in §115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten Gründen zuzulassen.
1. Das Finanzgericht (FG) hat §76 Abs. 1 FGO nicht deswegen verletzt, weil es das beantragte Sachverständigengutachten nicht eingeholt hat.
Mit Schriftsatz vom 27. Juli 1996 hat die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) zwar die Einholung eines Sachverständigengutachtens mit dem Ziel beantragt, daß ein Gutachter ihre Ermittlung der Jahresüberschüsse in den Streitjahren 1993 und 1994 und der daraus resultierenden Körperschaftsteuern in Höhe von jeweils 0 DM als zutreffend bestätige. Es ist nicht von der Klägerin vorgetragen worden und auch aus den Akten nicht ersichtlich, aus welchen Gründen zur Ermittlung des zu versteuernden Einkommens ein Sachverständiger hätte eingeschaltet werden müssen.
a) Streitgegenstand sind im Streitfall Steuerbescheide, deren Besteuerungsgrundlagen der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) nach §162 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen schätzte. Nach §162 Abs. 2 AO 1977 ist auch dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige nach Abgabe der Erklärungen über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskünfte verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach §90 Abs. 2 AO 1977 verletzt. Zu prüfen war im Streitfall zunächst, ob diese Voraussetzungen für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen dem Grunde nach vorlagen. Dies ist unter den bezeichneten Voraussetzungen zu bejahen. Da nach §162 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 zunächst der Steuerpflichtige gefordert ist, ausreichende Aufklärung zu geben, Auskünfte zu erteilen und seine Mitwirkungspflichten zu erfüllen, kann er sich dem nicht durch Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Zweck der Ermittlung des Gewinns entziehen.
b) Hinzu kommt, daß es Aufgabe der Sachverständigen ist, fehlende Sachkenntnis der Richter zu ersetzen, nicht aber dem Gericht die Ermittlung des zu begutachtenden Sachverhalts abzunehmen (vgl. z.B. Zöller, Zivilprozeßordnung, 17. Aufl., §355 Rdnr. 2). Auch ist die Frage nach der zutreffenden Gewinnermittlung eine solche, die das FG grundsätzlich aufgrund eigener Fachkunde zu beantworten hat. Es soll damit nicht ausgeschlossen werden, daß sich im Rahmen der Gewinnermittlung beweisbedürftige Fragen stellen können. Dazu gehören aber nicht die streitgegenständlichen Probleme, ob die von der Klägerin geltend gemachten gewinnmindernden Positionen als Betriebsausgaben steuerlich anzuerkennen sind oder nicht.
2. Das FG hat auch den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --) nicht dadurch verletzt, daß es das Schreiben des FA an den Klägervertreter vom 31. Oktober 1996 bei seiner Urteilsfindung berücksichtigt hat. Besagtes Schreiben wurde dem FG mit Anschreiben des FA vom 5. Dezember 1996 übersandt. Das Anschreiben hat folgenden Wortlaut: "In Sachen ... übersende ich gemäß telefonischer Absprache vom 4. Dezember 1996 zwischen ... eine Abschrift meines Erörterungsschreibens vom 31. Oktober 1996 im Einspruchsverfahren wegen Aussetzung der Vollziehung." Dieses Anschreiben hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, wie diese selbst einräumt, erhalten. Damit ist der Klägerin bzw. deren Prozeßbevollmächtigten bekannt geworden, daß das an den Berater adressierte Schreiben vom 31. Oktober 1996 Eingang in die Akten gefunden hat. Unschädlich ist insoweit, daß der Klägerin neben dem Übersendungsschreiben nicht zusätzlich nochmals das Schreiben vom 31. Oktober 1996 übermittelt wurde. Hinzu kommt, daß auch das FG den Inhalt des Schreibens vom 31. Oktober 1996 dem Klägervertreter nochmals mit Beschluß vom 24. März 1997, also noch vor Ergehen des vorinstanzlichen Urteils, bekanntgegeben hat. Die Klägerin hatte daher ausreichend Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Hierzu bestand auch deswegen Anlaß, da das FG im Verfahren betr. Aussetzung der Vollziehung der streitgegenständlichen Steuern wesentlich auf die Nichtbeantwortung der vom FA gestellten Fragen abgestellt hatte. Die Klägerin kann sich daher auch nicht darauf berufen, daß sie -- irrtümlich -- meinte, das Schreiben vom 31. Oktober 1996 betreffe das Verfahren in Sachen Umsatzsteuer 1993 und 1994.
3. Der Klägerin wurde auch nicht Akteneinsicht verweigert, was sich gleichermaßen als Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör darstellen würde.
a) Den vorliegenden Gerichtsakten läßt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß das FG der Klägerin Akteneinsicht verweigert hat. Die Klägerin hat zwar bereits mit Schriftsatz vom 27. Juli 1996 vorsorglich die Nichtgewährung von Akteneinsicht gerügt. Einen Antrag auf Akteneinsicht hat sie aber weder zu diesem Zeitpunkt noch später gestellt. Das Recht auf Akteneinsicht nach §78 Abs. 1 FGO ist nicht allein dadurch verletzt, daß das FG die Klägerin nicht zur Akteneinsicht aufgefordert hat. Es ist Sache der Beteiligten, ihre aus §78 FGO resultierenden Rechte selbst und ohne Aufforderung wahrzunehmen.
b) Das Recht auf Akteneinsicht ist im Streitfall auch nicht deswegen verletzt, weil das FG die Klägerin nicht vom Eingang der Steuerakten unterrichtet hat. Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), daß die Beteiligten von der Beiziehung der Akten anderer gerichtlicher Verfahren in Kenntnis zu setzen sind (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 26. Januar 1989 IV R 71/87, BFH/NV 1990, 296; vom 6. November 1990 VII R 80/88, BFH/NV 1991, 752). Geschieht dies nicht, so kann der Anspruch nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt sein. Dies gilt aber nicht für die streitgegenständlichen Steuerakten, da diese kraft Gesetzes nach §71 Abs. 2 FGO nach Empfang der Klageschrift dem Gericht zu übersenden sind. Einer besonderen Mitteilung hierüber bedarf es daher nicht. Zweifelhaft könnte allenfalls sein, ob das Schreiben des FA vom 31. Oktober 1996 unter §71 Abs. 2 FGO fällt, da dieses, wie dem Betreff zu entnehmen ist, das Verfahren der Aussetzung der Vollziehung der streitgegenständlichen Steuern betrifft. Wie aber bereits dargelegt, wurde die Klägerin bzw. ihr Prozeßbevollmächtigter vom Eingang dieses Schreibens bei Gericht unterrichtet.
4. Da die Steuerakten dem FG vorlagen, wurde im Ergebnis dem Antrag der Klägerin im Schreiben vom 27. Juli 1996, die Steuerakten beizuziehen, entsprochen. Auch insoweit liegt daher kein Verfahrensverstoß vor.
Im übrigen ergeht dieser Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) i.d.F. des Gesetzes vom 26. November 1996 (BGBl I 1996, 1810, BStBl I 1996, 1522) ohne Begründung.
Fundstellen