Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung ‐ Fortführung eines gesetzlichen Regelungen nicht entsprechenden Verwaltungshandelns
Leitsatz (NV)
1. Einer auf Grund höchstrichterlicher Rechtsprechung geklärten Rechtsfrage kann keine grundsätzliche Bedeutung zukommen.
2. Ein aus Art. 3 GG herzuleitender Anspruch gegenüber einer Behörde auf Fortführung einer den gesetzlichen Regelungen nicht entsprechenden Verwaltungspraxis besteht nicht (Rechtsprechungshinweise).
Normenkette
EStG § 34 Abs. 1-2; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 118 Abs. 2; AO 1977 § 227; GG Art. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Kirchensteueramt --KiStA--) einen von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) begehrten Teilerlass von Kirchensteuer für das Jahr 1989 zu Recht abgelehnt hat.
Die Kläger, beide Angehörige der katholischen Kirche, sind Ehegatten, die im Streitjahr 1989 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Grundlage der sie betreffenden Einkommensteuerfestsetzung 1989 waren u.a. Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb, darin enthalten außerordentliche Einkünfte (Entnahme- und Veräußerungsgewinne), die nach § 34 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) besteuert wurden. Auf der Grundlage der sich so ergebenden Einkommensteuer setzte das KiStA Kirchensteuer 1989 fest.
Darauf beantragten die Kläger einen Teilerlass dieser Kirchensteuer unter Hinweis auf "außergewöhnliche Umstände", weil bei der Überführung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens des Klägers in das Privatvermögen reine Buchgewinne ohne entsprechenden Mittelzufluss entstanden seien. Mit Verfügung vom 22. Januar 1992 genehmigte das KiStA einen (Teil-)Erlass von 50 v.H. der Kirchensteuer, die auf die gemäß § 34 EStG zu bemessende ermäßigte Einkommensteuer entfiel; zuvor hatte es diesen Betrag bereits gestundet.
Im Anschluss an eine spätere Außenprüfung ergab sich eine höhere Einkommensteuer der Kläger für 1989, die auf einem erhöhten Aufgabe-/Veräußerungsgewinn des Klägers beruhte. Auf der Grundlage dieser Einkommensteuer setzte das KiStA auch die Kirchensteuer der Kläger für 1989 höher fest.
Nach mehreren Änderungen dieser Kirchensteuer --wegen jeweils geänderter Einkommensteuerfestsetzungen-- beantragten die Kläger mit Schreiben vom 28. Mai 2002 einen Teilerlass der im letztgültigen Bescheid vom 2. August 2000 festgesetzten Kirchensteuer für 1989, "soweit sie auf tarifbegünstigten Einkünften (§ 34 EStG) beruht". Es handele sich um den selben mit Verfügung vom 22. Januar 1992 bereits als erlasswürdig beurteilten Sachverhalt. Diesen Antrag lehnte das KiStA mit Bescheid vom 6. Juni 2002 ab.
Die hiergegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, das KiStA habe den (weiteren) Teilerlass zu Recht abgelehnt. Die Entscheidung lasse keinen Ermessensfehler, insbesondere keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz erkennen. Die Behörde habe den vorangegangenen Teilerlass vom 22. Januar 1992 ausschließlich auf persönliche Billigkeitsgründe gestützt. Daraus ergebe sich keine Bindung für den Streitfall. Auch eine von den KiStÄ bis 1998 geübte Erlasspraxis dahin, bei Vorliegen eines Veräußerungsgewinns gemäß § 34 Abs. 1 und 2 EStG ohne Prüfung der Voraussetzungen des § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) einen Erlass in Höhe von 50 v.H. zu gewähren, binde das KiStA im Rahmen seiner neuerlichen Erlassentscheidung nicht. Im Einzelnen wird auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1105 abgedruckten Entscheidungsgründe verwiesen.
Mit der Beschwerde beantragen die Kläger, die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2, hilfsweise gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen. Zu befinden sei über folgende Rechtsfragen:
"Ist durch eine langjährige tatsächliche Erlasspraxis eines KiStA eine für die jeweiligen Kirchensteuerpflichtigen schützenswerte Rechtslage entstanden? Erfordert die Änderung der tatsächlich geübten Erlasspraxis eines KiStA für die Fälle der unechten Rückwirkung die Schaffung einer vertrauensschützenden Übergangsregelung?"
Entscheidungsgründe
II. Der Senat braucht nicht darüber zu befinden, ob die Kläger --als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschwerde-- die von ihnen geltend gemachten Zulassungsgründe in einer den Erfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt haben. Jedenfalls ist die Beschwerde unbegründet, weil der Streitsache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zukommt. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist auch zur Fortbildung des Rechts nicht erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO).
a) Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Rechtsfrage voraus, deren Beantwortung in dem angestrebten Revisionsverfahren aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt; es muss sich um eine Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 7. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, m.w.N.). Die von den Klägern bezeichneten Rechtsfragen bedürfen indessen keiner Klärung und sind im Streitfall auch nicht klärungsfähig.
Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO im Revisionsverfahren gebunden wäre, sind die bayerischen KiStÄ im Laufe des Jahres 1998 von ihrer Praxis abgerückt, bei Vorliegen eines Veräußerungsgewinns gemäß § 34 Abs. 1 und 2 EStG einen hälftigen Teilerlass zu gewähren ("Erlassautomatik"). Diese Praxis entsprach --entgegen der Beurteilung durch die Kläger-- nicht den gesetzlichen Vorgaben des § 227 AO 1977, wonach eine Prüfung der (sachlichen oder wirtschaftlichen) Unbilligkeit der Einziehung von Steueransprüchen nach Lage des einzelnen Falles zu erfolgen hat. Von diesem Erfordernis sind auch die KiStÄ bei ihrer 1998 getroffenen Entschließung ausgegangen, indem sie sich einheitlich der vom Gesetz vorgeschriebenen Einzelfallprüfung zugewendet haben.
Höchstrichterlich ist entschieden, dass ein --wie von den Klägern geltend gemachter-- aus Art. 3 des Grundgesetzes herzuleitender Anspruch auf Fortführung einer den gesetzlichen Regelungen nicht entsprechenden Verwaltungspraxis nicht besteht (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 93a Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 7. August 1985 1 BvR 707/85, Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst 1985, 277). Einen Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht" gibt es nicht (BFH-Beschluss vom 29. April 1987 II R 166/84, BFH/NV 1988, 613; BFH-Urteil vom 15. Januar 1986 II R 141/83, BFHE 145, 453, BStBl II 1986, 418). In der Einstellung einer rechtswidrigen oder zumindest fragwürdigen Erlasspraxis kann daher auch kein Ermessensfehlgebrauch erblickt werden. Die vorstehenden Grundsätze gelten gleichermaßen für den von den Klägern im Übrigen vorgetragenen Anspruch auf eine vertrauensschützende Übergangsregelung. Aus einer Praxis, die geltendem Recht nicht entspricht, kann sich weder ein Vertrauensschutz noch eine Bindung der Verwaltung ergeben (BFH-Urteil vom 27. April 1995 VII R 13/94, BFH/NV 1995, 1099).
b) Die Frage, ob ein Anspruch der Kläger auf Gleichbehandlung entsprechend dem vom KiStA ursprünglich ausgesprochenen Teilerlass vom 22. Januar 1992 bestehen kann, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, da dieser Teilerlass nach den Feststellungen des FG nicht --wie jedenfalls erforderlich-- auf sachliche, sondern auf die von den Klägern geltend gemachten persönlichen Erlassgründe ("aus den von Ihnen angeführten Gründen ausnahmsweise"), nämlich eine Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, gestützt worden ist. Dafür spricht auch die zuvor gewährte Stundung.
c) Aus den vorgenannten Gründen, die der grundsätzlichen Bedeutung des Streitfalls entgegenstehen, ist eine Entscheidung durch den BFH auch nicht zur Fortbildung des Rechts erforderlich (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217).
Fundstellen
Haufe-Index 1366205 |
BFH/NV 2005, 1232 |