Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht ohne entsprechenden Beweisantritt
Leitsatz (NV)
1. Ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert gemäß § 82 FGO i.V. mit § 403 ZPO eine hinreichende Konkretisierung sowohl des Beweisthemas als auch der zu beweisenden Tatsachen. Im Rahmen der vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten FGO sind diese Vorschriften dahin auszulegen, dass eine summarische Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte ausreicht, aber auch erforderlich ist.
2. Gründet sich der behauptete Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht darauf, dass das FG ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt hätte weiter aufklären müssen, so sind Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme auch ohne Beweisantrag hätte aufdrängen müssen und inwiefern diese Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits hätte führen können.
3. Eine Beteiligtenvernehmung ist regelmäßig kein Beweismittel, das sich dem FG aufdrängen muss, weil ein Beteiligter ohnehin im Verfahren alle ihm bekannten Umstände darlegen kann.
4. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gebietet nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat.
Normenkette
FGO § 65 Abs. 1 S. 3, § 76 Abs. 1-2, §§ 82, 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 116 Abs. 3 S. 3, § 155; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 295, 403
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 13.05.2004; Aktenzeichen VI 128/2003) |
Gründe
Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.
1. Ein Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist nicht dadurch gegeben, dass das Finanzgericht (FG) es unterlassen hat, den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) im Rahmen eines Sachverständigengutachtens einer Wissensprüfung zu unterziehen bzw. ihn als Beteiligten zu vernehmen.
a) Soweit es die Beteiligtenvernehmung betrifft, hat der Kläger keinen Beweisantrag gestellt. Insbesondere beinhalten auch sein Vorbringen, dass er im Einspruchsverfahren Beweis angeboten hat, sich im Rahmen eines Sachverständigengutachtens einer Wissensprüfung zu unterziehen, und der Umstand, dass er in der Klageschrift (lediglich) darauf hinweist, ihm sei diese Wissensprüfung durch den Beklagten und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) in der Einspruchsentscheidung versagt worden, keinen Beweisantrag. Beweisanträge sind im Klageverfahren zu stellen. Dies ergibt sich sowohl aus § 65 Abs. 1 Satz 3 FGO, wonach bereits die Klageschrift die Beweismittel angeben soll, als auch aus § 76 Abs. 1 Satz 5 FGO, wonach eine Bindung des Gerichts an Beweisanträge der Prozessbeteiligten (§ 57 FGO) nicht besteht. Ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert gemäß § 82 FGO i.V.m. § 403 der Zivilprozessordnung (ZPO) eine hinreichende Konkretisierung sowohl des Beweisthemas als auch der zu beweisenden Tatsachen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. August 2001 IV B 102/00, BFH/NV 2002, 54; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 76 Rz. 29). Im Rahmen der vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten FGO sind diese Vorschriften dahin auszulegen, dass eine summarische Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte ausreicht, aber auch erforderlich ist (Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 54, unter 2.b bb der Gründe; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. November 1998 VII R 50/97, BFH/NV 1999, 688, II.4. der Gründe, unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 16. Oktober 1984 9 C 558/82, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1987, 147; Gräber/Koch, a.a.O., § 82 Rz. 33). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers in der Klagebegründung nicht.
b) Des Weiteren hat der Kläger den Verfahrensmangel der mangelnden Sachaufklärung auch nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt; denn er hat nicht mitgeteilt, weshalb er die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens in der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht gerügt hat oder weshalb diese Rüge nicht möglich war. Entsprechende Ausführungen wären schon wegen der Verzichtbarkeit der Beweisaufnahme (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO) geboten gewesen, zumal eine Rüge in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls unterblieben ist, obwohl der Kläger durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vertreten war (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. November 1999 IV B 152/98, BFH/NV 2000, 693, Nr. 3, und vom 28. Juli 2003 IV B 214/01, BFH/NV 2004, 56).
c) Gründet sich daher --wie im Streitfall-- der behauptete Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO darauf, dass das FG auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt hätte weiter aufklären müssen, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme auch ohne Beweisantrag hätte aufdrängen müssen und inwiefern diese Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits hätte führen können (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. März 2006 X B 94/05, BFH/NV 2006, 1142, unter 1.bb der Gründe). Ungeachtet dessen, dass der Kläger hierzu keine Ausführungen gemacht hat, musste sich dem FG nach dessen materiell-rechtlichem Standpunkt weder die Wissensprüfung des Klägers noch seine Beteiligtenvernehmung aufdrängen.
d) Selbst wenn ein Gutachten durch Wissensprüfung auch Feststellungen darüber treffen kann, ob die Tätigkeit eines Klägers so anspruchsvoll ist, dass sie sowohl in der Tiefe als auch der Breite zumindest das Wissen eines Kernbereiches eines Fachstudiums voraussetzt (s. hierzu Senatsurteil vom 11. Juli 1991 IV R 73/90, BFHE 165, 221, BStBl II 1991, 878), kann es nicht dazu dienen, eine ausreichende substantiierte Klagebegründung zu ersetzen (Senatsbeschluss vom 13. Oktober 1994 IV B 112/93, BFH/NV 1995, 420). Die Entscheidung über seine Einholung steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (Senatsbeschluss vom 16. Juni 2005 IV B 187/03, BFH/NV 2005, 2015). Eine Wissensprüfung kann nur als ergänzendes Beweismittel in Betracht kommen. Denn zum einen weist die Examinierung Defizite im Hinblick auf die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme auf. Zum anderen ist sie nur geeignet, den Nachweis über ein aktuell vorhandenes Wissen zu erbringen, so dass weitere Rückschlüsse auf den Kenntnisstand im Streitzeitraum notwendig sind. Deshalb kommt ein solcher Beweis nur dann in Betracht, wenn sich aus den vorgetragenen Tatsachen zum Erwerb und Einsatz der Kenntnisse bereits erkennen lässt, dass der Kläger über hinreichende Kenntnisse verfügen könnte (vgl. Senatsurteil vom 26. Juni 2002 IV R 56/00, BFHE 199, 367, BStBl II 2002, 768, unter 1. der Gründe).
aa) Wer, wie ein Autodidakt, die für den Katalogberuf vorgeschriebene Ausbildung nicht besitzt, kann die erforderlichen theoretischen Kenntnisse zwar auch anhand eigener praktischer Arbeiten nachweisen. Diese Arbeiten müssen jedoch den Schluss rechtfertigen, dass die theoretischen Kenntnisse ihrer Breite und Tiefe nach zumindest das Wissen eines Kernbereichs eines Fachstudiums voraussetzen (Senatsurteil vom 7. November 1991 IV R 17/90, BFHE 166, 443, BStBl II 1993, 324; Senatsbeschluss vom 8. November 2002 IV B 120/01, BFH/NV 2003, 170; aus jüngerer Zeit BFH-Urteil vom 9. Februar 2006 IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270, unter 4.a der Gründe). Damit müssen die praktischen Arbeiten den wesentlichen Teil des Katalogberufs umfassen und dürfen sich nicht lediglich auf einen Ausschnitt hieraus beschränken. Nur derjenige, der solche umfangreichen Kenntnisse nachgewiesen hat, kann sich dann in seiner Tätigkeit auf Teilbereiche spezialisieren (Senatsurteil in BFHE 166, 443, BStBl II 1993, 324).
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hätte der Kläger dem Gericht konkret durch ausreichende Vorlage praktischer Arbeiten, die den wesentlichen Teil des Katalogberufes umfassen, vortragen müssen, er habe sich Kenntnisse angeeignet, die ihrer Breite und Tiefe nach denjenigen eines Ingenieurs entsprechen (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2004, 56). Erst wenn sich dem FG danach eine ausreichende Tatsachengrundlage präsentiert hätte, hätte sich ihm die Frage gestellt, ob es zu deren Beurteilung eines Sachverständigengutachtens bedurfte (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 1995, 420). Dafür hat der Kläger nicht gesorgt, vielmehr hat er es dabei belassen, für sämtliche Streitjahre (1992 bis 2000) lediglich vier, die Streitjahre 1991, 1993 und 1994 betreffende Verträge einzureichen, aus deren Leistungsumfang nicht auf Kenntnisse geschlossen werden kann, die ihrer Breite und Tiefe nach denjenigen eines Ingenieurs entsprechen. Auch hat der Kläger nicht dazu Stellung genommen, inwieweit für die Aufträge Fremdleistungen in Anspruch genommen wurden, die keinen Rückschluss auf seine Kenntnisse zulassen.
e) Soweit der Kläger rügt, es hätte nahe gelegen ihn persönlich zur mündlichen Verhandlung zu laden, um bestehende Unklarheiten auszuräumen bzw. sich bestimmte Tätigkeiten aus erster Hand näher erläutern zu lassen, berücksichtigt die Beschwerdebegründung nicht, dass eine Beteiligtenvernehmung regelmäßig kein Beweismittel ist, das sich dem FG aufdrängen muss, weil ein Beteiligter ohnehin im Verfahren alle ihm bekannten Umstände darlegen kann (BFH-Beschlüsse vom 7. Juli 1998 I B 102/97, juris, und vom 19. Juli 2005 X B 30/05, BFH/NV 2005, 1861). Dem Kläger blieb es auch unbenommen, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und sich zur Sache zu äußern (vgl. auch hierzu den BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1861).
2. Es liegt auch kein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO vor. Die dortige Regelung, dass das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet, ist nach der Rechtsprechung des BFH dahin auszulegen, dass neben dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch der gesamte Akteninhalt vollständig zu berücksichtigen ist. Ein Verstoß dagegen kann mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. Senatsbeschluss vom 4. August 1999 IV B 96/98, BFH/NV 2000, 70, m.w.N.). Soweit der Kläger rügt, das FG habe bei seiner Überzeugungsbildung nach Aktenlage feststehende Tatsachen unberücksichtigt gelassen bzw. es sei bei seiner Entscheidung vom Nichtvorliegen solcher Tatsachen ausgegangen, dann aber in der weiteren Begründung seiner Beschwerde auf eine widersprüchliche Urteilsbegründung und fehlerhafte Sachverhaltswürdigung des FG abstellt, macht er keinen Verfahrensfehler geltend. Angeblich widersprüchliche Urteilsbegründungen sind nämlich --wenn sie vorliegen-- ebenso wie fehlerhafte Sachverhaltswürdigungen materiell-rechtliche Fehler (BFH-Beschluss vom 31. Januar 2003 IX B 174/02, BFH/NV 2003, 649). Im Übrigen gebietet § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO auch nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinander gesetzt hat (BFH-Beschluss vom 3. Juni 2003 X B 102/02, BFH/NV 2003, 1209).
3. Schließlich dringt der Kläger auch nicht mit seiner Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) durch, die er darin sieht, dass das FG die richterliche Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verletzt haben könnte. Das Gericht habe es unterlassen, darauf hinzuweisen, wie er, der Kläger, sein Wissen nachweisen sollte. Dem fachkundig vertretenen Kläger hätte es sich jedoch spätestens nach Erhalt der Einspruchsentscheidungen vom 18. März und 22. April 2003 aufdrängen müssen, dass die bereits im Einspruchsverfahren vorgelegten Verträge und Bescheinigungen nicht geeignet sein könnten, den Schluss darauf zuzulassen, er habe sich Kenntnisse angeeignet, die ihrer Breite und Tiefe nach denjenigen eines Ingenieurs entsprechen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. September 2003 X B 132/02, BFH/NV 2004, 495, unter 5. der Gründe, und vom 3. März 2006 IV B 127/04, BFH/NV 2006, 1133, unter 4. der Gründe). Der Sache nach ist der Kläger offenbar der Auffassung, das FG hätte vor Erlass einer Entscheidung seine vorläufige Beweiswürdigung offen legen müssen. So weit reicht die Hinweispflicht des § 76 Abs. 2 FGO nach ständiger Rechtsprechung des BFH indes nicht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 495, unter 5.c der Gründe, m.w.N.).
4. Soweit der Kläger rügt, es sei überraschend gewesen, dass das FG seine Urteilsbegründung auch darauf gestützt habe, es sei nicht auszuschließen, dass aufgrund der Inanspruchnahme nicht unerheblicher Fremdarbeiten durch ihn, den Kläger, ein sog. "Mischbetrieb" vorgelegen habe, der als gewerblich zu qualifizieren sei, weil die ingenieurwissenschaftlichen Arbeiten in Ingenieurbüros Dritter erbracht worden seien, rügt er ebenfalls die Verletzung rechtlichen Gehörs. Für eine Überraschungsentscheidung ist aber schon deshalb kein Raum, weil die Frage nach dem Vorliegen eines "Mischbetriebs" bereits Gegenstand des Einspruchsverfahrens war und das FA sich hierauf auch im Klageverfahren (Schriftsatz vom 10. Juni 2003) berufen hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. Januar 2004 I B 5/03, BFH/NV 2004, 799; vom 30. März 2004 V B 62/03, juris, und vom 1. Juli 2004 IV B 187/02, BFH/NV 2004, 1421).
5. Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, das Verfahren im Hinblick auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer und das hierzu unter dem Aktenzeichen 1 BvL 2/04 beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren auszusetzen. Zur Begründung wird auf das Senatsurteil vom 24. Februar 2005 IV R 23/03 (BFHE 209, 269, BStBl II 2005, 578) verwiesen.
Fundstellen