Entscheidungsstichwort (Thema)
Die Rechtsfrage, ob Kindergeld für Kinder zu gewähren ist, die sich tatsächlich überwiegend im außereuropäischen Ausland aufhalten, ist geklärt
Leitsatz (NV)
1. Die in § 63 EStG geregelte Kindergeldberechtigung knüpft grundsätzlich an den Aufenthaltsort und den Wohnsitz der Kinder im Inland, in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum an. Diese Gesetzeslage begegnet keinen verfassungsrechtlichen, europarechtlichen bzw. völkerrechtlichen Bedenken.
2. Die Rechtsfrage, ob eine Kindergeldberechtigung für Kinder besteht, die sich überwiegend im außereuropäischen Ausland aufhalten, ist insoweit bereits geklärt und damit nicht grundsätzlich bedeutsam.
Normenkette
EStG § 31 S. 1, § 63 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 28.09.2005; Aktenzeichen 10 K 6278/04 Kg) |
Tatbestand
I. Der im Libanon geborene Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der deutscher Staatsangehöriger ist, bezog für seine in der Zeit von 1987 bis 1994 geborenen fünf Kinder Kindergeld bis September 2003.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2003 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2003 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und forderte vom Kläger das für diesen Zeitraum an ihn bezahlte Kindergeld in Höhe von 7 380 € nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zurück, weil seine Kinder keinen Wohnsitz in Deutschland i.S. von § 8 AO 1977 mehr inne hätten. Vielmehr hielten sie sich überwiegend und für einen längeren Zeitraum im Libanon auf und seien nicht mehrmals im Jahr regelmäßig nach Deutschland zurückgekehrt.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Der Kläger legte durch seinen Rechtsanwalt gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) Nichtzulassungsbeschwerde ein und beantragte für das Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision Prozesskostenhilfe (PKH) sowie die Beiordnung seines Rechtsanwalts.
Der Senat lehnte den Antrag auf PKH durch Beschluss vom 22. Dezember 2005 III S 28/05 (PKH) mangels Erfolgsaussicht der Nichtzulassungsbeschwerde ab.
Daraufhin begründete der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Nichtzulassungsbeschwerde fristgemäß und beantragte erneut PKH. Die Revision sei wegen Verfahrensmängeln und grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Er trägt im Wesentlichen vor, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO verletzt. Es sei aufgrund unzureichender Sachaufklärung zu der fehlerhaften Feststellung gelangt, die Kinder des Klägers hätten keinen Wohnsitz in Deutschland. Es habe in seiner Entscheidung nicht zu erkennen gegeben, sich mit den Besonderheiten des Falles hinreichend auseinander gesetzt zu haben. Hätte das FG im Streitfall den Sachverhalt zutreffend gewürdigt, wäre es zu der Erkenntnis gelangt, die Kinder des Klägers, die alle deutsche Staatsangehörige seien, hätten nach Maßgabe der zitierten Rechtsprechung ihren Wohnsitz in Deutschland.
Der Rechtsstreit habe darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung des FG verletze den Kläger und seine Kinder in ihrem grundrechtlich verankerten und ihrem durch Art. 13 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 geschützten Recht auf freie Bildung und darüber hinaus das Recht auf Wahl der Bildung, das in Art. 26 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 sowie in Art. 2 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung des Protokolls Nr. 11 vom 20. März 1952 gewährleistet sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Soweit der Kläger geltend macht, das FG hätte unabhängig von einem entsprechenden Beweisantrag von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, ist die Beschwerde mangels ausreichender Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) bereits unzulässig.
a) Für eine schlüssige Verfahrensrüge wären Ausführungen dazu erforderlich gewesen, welche Tatsachen das FG hätte aufklären müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und aus welchen Gründen sich dem FG unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunkts die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. März 2004 VII B 53/03, BFH/NV 2004, 978, und vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43, jew. m.w.N.). Ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht ist nur gegeben, wenn das FG eine konkrete Möglichkeit, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären, nicht genutzt hat (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Tz. 91).
b) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des Klägers nicht.
Insbesondere ist nicht vorgetragen oder erkennbar, welche weiteren Tatsachen das FG hätte aufklären müssen und aus welchen Gründen sich dem FG ohne entsprechenden Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.
Vielmehr beanstandet der Kläger im Kern die seines Erachtens unzutreffende Würdigung des bereits vorgetragenen Sachverhalts durch das FG, wobei er seine Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen des FG setzt. Damit wendet sich der Kläger aber gegen die sachliche Richtigkeit der Vorentscheidung. Dies vermag die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen. Die Rügen des Klägers betreffen auch keine offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung, die ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO führen (z.B. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2003 III B 125/02, BFH/NV 2003, 1445, m.w.N.).
2. Der Rechtsstreit ist auch nicht grundsätzlich bedeutsam i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, da die von dem Kläger aufgeworfene Rechtsfrage bereits eindeutig geklärt ist.
a) Zwar besteht der Sinn und Zweck des Familienleistungsausgleichs nach § 31 Satz 1 EStG darin, das Existenzminimum des Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung entweder durch den Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Kindergeld freizustellen. Insoweit ist das vom Kläger angesprochene Recht auf Bildung seiner Kinder durch die Versagung des Kindergeldes zumindest auch mittelbar berührt.
b) Die in § 63 Abs. 1 EStG geregelte Kindergeldberechtigung knüpft insoweit aber eindeutig an den Aufenthaltsort und den Wohnsitz der Kinder im Inland, in der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum an.
Diese Gesetzeslage begegnet entgegen der Auffassung des Klägers auch keinen verfassungsrechtlichen, europarechtlichen bzw. völkerrechtlichen Bedenken.
Die gesetzliche Regelung steht nach der Rechtsprechung des BFH im Einklang mit dem Grundgesetz --GG-- (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, m.w.N.). Völkerrechtlich gesehen ist die Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu anderen Staaten auf das eigene Staatsgebiet begrenzt (sog. Territorialitätsprinzip, vgl. hierzu Ignaz Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 9. Aufl. 1997 Tz. 1510). Die Bundesrepublik Deutschland ist somit grundsätzlich nur verpflichtet, für Kinder, die ihren Wohnsitz im Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, Kindergeld zu gewähren. Etwas anderes gilt aufgrund anders lautender zwischenstaatlicher Abkommen lediglich für Kinder, die ihren Wohnsitz innerhalb der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum haben. Diesen Rechtsgrundsätzen entspricht die gesetzliche Regelung der §§ 62 ff. EStG.
c) Letztlich wendet sich der Kläger auch in diesem Zusammenhang gegen das materiell-rechtliche Ergebnis der Vorentscheidung, dass seine Kinder ihren Wohnsitz im Libanon und nicht in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Fundstellen