Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen der Anhörungsrüge
Leitsatz (NV)
1. Mit dem außerordentlichen Rechtsbehelf der Anhörungsrüge kann nur vorgebracht werden, das Gericht habe gegen den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen.
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst nur die Kenntnisnahme entscheidungserheblichen Vorbringens.
3. Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffene Entscheidung nochmals in vollem Umfang zu überprüfen.
Normenkette
FGO § 133a
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) Köln hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) wegen Umsatzsteuer 1995 abgewiesen (5 K 565/00). Mit Beschluss vom 6. September 2006 (V B 209/05) hat der erkennende Senat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig verworfen. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen.
Mit der auf § 133a der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Anhörungsrüge macht der Kläger geltend, der Senat habe seinen, des Klägers, Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Der Senat habe die Beschwerde nicht mit der Begründung verwerfen dürfen, sie erfülle die Anforderungen des § 116 Abs. 3 FGO nicht, weil die Ausführungen zu den Zulassungsgründen in unübersichtlicher, ungegliederter und unklarer Weise mit Einlassungen zu irrevisiblen oder für das Beschwerdeverfahren sonst unerheblichen Fragen vermengt seien. Hiermit werde die Beurteilung der Zulässigkeit einer Beschwerde der unkontrollierbaren und unkalkulierbaren Beliebigkeit preisgegeben. Im Übrigen habe er, der Kläger, die erforderlichen Darlegungen keineswegs in unübersichtlicher, ungegliederter und unklarer Weise mit unerheblichen Einlassungen vermengt.
Entscheidungsgründe
II. Die Anhörungsrüge und die hilfsweise erhobene Gegenvorstellung haben keinen Erfolg.
1. Gemäß der ab 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Regelung in § 133a Abs. 1 Satz 1 FGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn
1. ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2. das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (§ 133a Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGO genannten Voraussetzungen darlegen (§ 133a Abs. 2 Satz 6 FGO).
Der Kläger hat die Voraussetzungen des § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGO nicht dargelegt. Mit dem außerordentlichen Rechtsbehelf der Anhörungsrüge kann gemäß § 133a Abs. 1 Satz 1 FGO nur vorgebracht werden, das Gericht --im Streitfall der beschließende Senat-- habe im Rahmen der angegriffenen Entscheidung gegen den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verstoßen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Juni 2005 VI S 3/05, BFH/NV 2005, 1458, m.w.N.; vom 3. März 2006 V S 1/06, BFH/NV 2006, 1314).
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt von dem erkennenden Gericht vornehmlich, dass es die Beteiligten über den Verfahrensstoff informiert, ihnen Gelegenheit zur Äußerung gibt, ihre Ausführungen sowie Anträge zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Mai 2005 VII S 17/05, BFH/NV 2005, 1614, und in BFH/NV 2005, 1458; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz 111; von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 96 Anm. 30; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz 217, jeweils m.w.N.).
Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, der Senat habe zu Unrecht entschieden, dass die Beschwerde die Voraussetzungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht erfülle. Mit der damit verbundenen Rüge, der Senat habe in der Sache fehlerhaft entschieden, erfüllt er nicht die Voraussetzungen der Anhörungsrüge. Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffene Entscheidung in der Sache in vollem Umfang nochmals zu überprüfen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. September 2005 V S 12, 13/05, BFH/NV 2006, 198; vom 17. Juni 2005 VI S 3/05, BFHE 209, 419, BStBl II 2005, 614; in BFH/NV 2006, 1314).
Soweit der Kläger geltend macht, der Senat habe seine Einwendungen nicht zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen, liegt ein Verstoß i.S. des § 133a FGO nicht vor. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst nur die Kenntnisnahme entscheidungserheblichen Vorbringens (Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 1996 1 BvR 1463/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 153; BFH-Beschluss vom 16. August 2005 X B 141/04, BFH/NV 2005, 2236), nicht aber das unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt im Beschwerdeverfahren unerhebliche Vorbringen des Klägers, wie das zur Fehlerhaftigkeit der Betriebsprüfung, des angefochtenen Bescheides und des Fehlverhaltens der Rechtsanwaltskammer. Die Darlegungen des Klägers zur angeblichen Fehlerhaftigkeit des FG-Urteils und die Behauptung, es liege Willkür vor, hat der Senat ausweislich der Gründe des Beschlusses zur Kenntnis genommen und beschieden.
2. Soweit der Kläger hilfsweise Gegenvorstellung erhoben hat, kann der Senat offenlassen, ob eine Gegenvorstellung gegen Gerichtsentscheidungen, die --wie beispielsweise die Zurückweisung oder Verwerfung einer Nichtzulassungsbeschwerde-- in materielle Rechtskraft erwachsen, neben der gesetzlich geregelten Anhörungsrüge (§ 133a FGO) noch statthaft ist (zustimmend z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. August 2006 V S 17/06, juris; vom 14. September 2005 VII S 47/05, BFH/NV 2006, 104; vom 13. Oktober 2005 IV S 10/05, BFHE 211, 13, BStBl II 2006, 76; vom 30. März 2005 VII S 13/05, BFH/NV 2005, 1349; vom 13. Januar 2005 VII S 31/04, BFH/NV 2005, 898; offengelassen von BFH-Beschluss vom 27. September 2006 X S 13/06, BFH/NV 2006, 2304; ablehnend z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., 6. Aufl., vor § 115 Rz 29, m.w.N.).
Die Gegenvorstellung des Klägers ist jedenfalls zu verwerfen, weil sich --abgesehen von dem Vortrag, der beschließende Senat habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt-- der Begründung der Antragsschrift keine Rügen schwerwiegender Rechtsverstöße entnehmen lassen.
Fundstellen