Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer behördlichen Maßnahme als Verwaltungsakt keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung; keine Verpflichtung des FG zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH
Leitsatz (NV)
- Die Frage, ob eine behördliche Maßnahme ein Verwaltungsakt ist, ist im Einzelfall im Wege der Auslegung der behördlichen Erklärung zu beantworten. Hierbei handelt es sich nicht um eine abstrakte Rechtsfrage, die im Interesse der Allgemeinheit einer Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf.
- Nur letztinstanzlich entscheidende nationale Gerichte sind zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, wenn es um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht. Deshalb liegt kein Verfahrensmangel vor, wenn ein FG, dessen Entscheidung mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden kann, Gemeinschaftsrecht auszulegen hat und sowohl von der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH als auch von der Zulassung der Revision absieht.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3; AO 1977 § 118; EG Art. 234
Tatbestand
I. Das Hauptzollamt A, dessen Zuständigkeit zwischenzeitlich auf den Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt ―HZA―) übergegangen ist, erteilte dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) mit Bescheid vom … April 1998 die Zusage, versteuerten Kaffee gegen Steuerentlastung an einen Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat zu liefern. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass der Nachweis der Versteuerung oder Steuervorbelastung durch eine vom Hersteller oder Steuerschuldner ausgestellte Versteuerungsbestätigung zu erbringen sei.
Mit Schreiben vom … März 1999 erteilte das Hauptzollamt A dem Kläger "eine weitere Auflage" zur Zusage vom … April 1998. Hiernach sei bei einem Antrag auf Steuerentlastung in der Form der Vergütung eine für ihn vom Hersteller oder Steuerschuldner ausgestellte Versteuerungsbestätigung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck vorzulegen. Den hiergegen vom Kläger eingelegten Einspruch wies das Hauptzollamt A zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die vom Kläger erhobene Klage ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger die Aufhebung der Mitteilung vom … März 1999 begehre. Hierbei handele es sich nicht um einen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt, sondern nur um einen Hinweis auf eine gesetzliche Voraussetzung für die Vergütung von Kaffeesteuer. Soweit der Kläger die Verpflichtung des HZA zur Erteilung einer Zusage ohne entsprechende Auflage begehre, sei die Klage unbegründet. Eine Zusage werde nach § 20 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Kaffeesteuergesetzes (KaffeeStV) vom 14. Oktober 1993 (BGBl I, 1747) i.d.F. des Art. 1 Nr. 18 der Verordnung vom 13. Februar 1997 (BGBl I, 235) unabhängig davon erteilt, ob der Antragsteller später Versteuerungsbestätigungen beibringen könne. Das HZA könne dem Kläger auch keine Zusage mit der Nebenbestimmung erteilen, dass eine Vergütung von Kaffeesteuer ohne Beibringung einer Versteuerungsbestätigung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck gewährt werde. Es liege im Verantwortungsbereich des Klägers, sich von seinen Geschäftspartnern die Ausstellung entsprechender Versteuerungsbestätigungen vertraglich zusichern zu lassen. § 20 Abs. 3 Satz 5 KaffeeStV verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht. Nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren ―RL 92/12― (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 76/1) habe die Kaffeesteuer beibehalten werden können. Die Anforderung einer Versteuerungsbestätigung für eine Steuervergütung stelle keine im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten mit dem Grenzübertritt verbundene Formalität i.S. des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 RL 92/12 dar.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers. Er trägt vor, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Es sei die Frage zu klären, ob die ihm mit Schreiben vom … März 1999 mitgeteilte Auflage ein anfechtbarer Verwaltungsakt sei. Dies sei entgegen der vom FG vertretenen Auffassung der Fall, weil diese Auflage die ihm erteilte Zusage einschränke und das verabredete Anmeldungsverfahren ändere. Ferner habe das FG die Frage unzutreffend beantwortet, ob § 20 Abs. 3 KaffeeStV mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichheitsgrundsatz sowie der gemeinschaftsrechtlich garantierten Freiheit des Warenverkehrs und der Zollunion zu vereinbaren sei. Da er den Kaffee aus dem gewerblichen Zwischenhandel oder Einzelhandel beziehe, sei es ihm unmöglich, die geforderten Versteuerungsbestätigungen auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck beizubringen. Es stelle zudem einen Verfahrensmangel dar, dass das FG den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht um eine Vorabentscheidung ersucht und die Revision nicht zugelassen habe.
Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil in der Beschwerdeschrift ein Grund, der zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) führen könnte, nicht schlüssig dargelegt ist, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert.
1. Für die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist ferner ein konkreter und substantiierter Vortrag, warum im Einzelnen die Klärung der Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/ oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt, also ein Vortrag zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit (vgl. Senatsbeschluss vom 2. April 2002 VII B 66/01, BFH/NV 2002, 1308; Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 25. April 2002 II B 24/01, BFH/NV 2002, 1311). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht.
Soweit der Kläger geltend macht, es sei die Frage zu klären, ob die ihm mit Schreiben vom … März 1999 mitgeteilte "Auflage" ein anfechtbarer Verwaltungsakt sei, handelt es sich nicht um eine abstrakte Rechtsfrage, die im Interesse der Allgemeinheit einer Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Denn die Frage, ob eine behördliche Maßnahme ein Verwaltungsakt i.S. des § 118 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ist, ist im Einzelfall im Wege der Auslegung der behördlichen Erklärung zu beantworten (vgl. BFH-Urteile vom 2. Juli 1997 I R 32/95, BFHE 183, 496, 498, BStBl II 1998, 176, 177; vom 25. April 2001 I R 80/97, BFH/NV 2001, 1541, 1543). Der Sache nach wendet sich der Kläger gegen das vom FG gefundene Auslegungsergebnis und damit gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung. Dies kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen, weil hiermit kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 2000 III B 16/00, BFH/NV 2001, 202; vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476).
Entsprechendes gilt hinsichtlich des Vorbringens des Klägers, das FG habe die Frage unrichtig beantwortet, ob § 20 Abs. 3 KaffeeStV mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichheitsgrundsatz sowie der gemeinschaftsrechtlich garantierten Freiheit des Warenverkehrs und der Zollunion zu vereinbaren sei. Selbst wenn man der Beschwerdebegründung eine dahin gehende abstrakte Rechtsfrage entnehmen würde, fehlt es an jeglichem Vortrag zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit dieser Frage in einem Revisionsverfahren.
2. Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel liegt ―selbst wenn die Beschwerdebegründung den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügen sollte― jedenfalls nicht vor.
Nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist ein FG nicht zur Anrufung des EuGH verpflichtet, weil seine Entscheidung mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 14. März 2002 V B 119/01, BFH/NV 2002, 1038, 1039; Senatsbeschluss vom 1. August 2002 VII B 35/02, BFH/NV 2002, 1499, 1503). Nur letztinstanzlich entscheidende nationale Gerichte sind zur Vorlage an den EuGH als dem dazu berufenen gesetzlichen Richter i.S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes verpflichtet, wenn es um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Januar 2001 1 BvR 1036/99, Neue Juristische Wochenschrift 2001, 1267, 1268). Diese Auffassung wird vom EuGH auch für den Fall geteilt, dass eine Zulassung des Rechtsmittels durch ein oberstes Gericht erforderlich ist (vgl. Urteil vom 4. Juni 2002 Rs. C-99/00 ―Lyckeskog―, EuGHE 2002, I-4839 Rdnr. 16 und 17). Demgemäß liegt kein Verfahrensmangel vor, wenn ein FG Gemeinschaftsrecht auszulegen hat und sowohl von der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH als auch von der Zulassung der Revision absieht.
Fundstellen
Haufe-Index 1067352 |
BFH/NV 2004, 68 |