Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Zulässigkeit des „Dividendenstripping“ geklärt
Leitsatz (NV)
- Die Frage, ob bei einem taggleichen An- und Verkauf von Aktien wirtschaftliches Eigentum an den erworbenen Aktien begründet werden kann, ist vom BFH geklärt. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder zur Fortbildung des Rechts ist daher wegen dieser Frage nicht gerechtfertigt.
- Die Zulassung der Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Zwar sind nach den Ausführungen des BFH in den vom Beschwerdeführer angeführten Urteilen die Voraussetzungen des § 42 AO 1977 erfüllt, wenn kurz vor dem Stichtag durchgeführte Maßnahmen nach dem Stichtag wieder rückgängig gemacht werden. Eine Abweichung von dieser Rechtsprechung liegt aber nicht vor, wenn das FG § 42 AO 1977 deshalb nicht berücksichtigt, weil es in Übereinstimmung mit dem BFH § 50c Abs. 8 EStG 1991 gegenüber § 42 AO 1977 als lex specialis beurteilt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; AO 1977 § 42; EStG 1991 § 50c Abs. 8 S. 2
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt ―FA―) aufgeworfenen Fragen sind geklärt. Zwar ist eine Rechtsfrage grundsätzlich auch dann klärungsbedürftig, wenn die Finanzverwaltung nicht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung verfährt und mit einem Nichtanwendungserlass auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) reagiert. Die Zulassung der Revision dient in diesen Fällen dazu, Rechtsklarheit herzustellen. Dies gilt aber nur dann, wenn das FA beachtliche vom BFH noch nicht berücksichtigte Gesichtspunkte vorbringt (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1988 VIII B 71/88, BFHE 155, 44, BStBl II 1989, 566). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben.
1. Das FA hält für klärungsbedürftig die Frage, ob auch ein schuldrechtlicher Verschaffungsanspruch auf Aktien wirtschaftliches Eigentum begründen kann und führt im Übrigen aus, bei taggleichem An- und Verkauf von Aktien der gleichen Gattung könnten weder Besitz- noch Eigentumsrechte an den gekauften Aktien erworben werden.
Das FA hat damit keine klärungsbedürftige Frage aufgeworfen, die nicht bereits Gegenstand des BFH-Urteils vom 15. Dezember 1999 I R 29/97 (BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527) war.
Der BFH und ihm folgend das Finanzgericht (FG) gehen in ihren Entscheidungen von der Annahme aus, dass derjenige Dividendeneinkünfte erziele, der (wirtschaftlicher) Eigentümer der Aktien sei. Bei Aktien erlange der Erwerber wirtschaftliches Eigentum im Allgemeinen ab dem Zeitpunkt, von dem ab er nach dem Willen der Vertragspartner über die Wertpapiere verfügen könne. Dies sei in der Regel der Fall, sobald Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten, insbesondere die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen auf den Erwerber übergegangen seien.
Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des FG im Streitfall erfüllt, denn mit Abschluss des Kaufvertrages habe der Verkäufer keinerlei Einfluss mehr auf die veräußerten Aktien nehmen und dem Kläger hätten die mit den Aktien verbundenen Gewinnansprüche durch den Verkäufer nicht mehr entzogen werden können. Dies ergebe sich aus den börsenüblichen Gegebenheiten, die ausweislich der Wertpapierabrechnungen der Lombardkasse vom 19. Juni 1991 auch für den streitgegenständlichen Kauf von der X-AG gegolten hätten. Dem stehe nicht entgegen, dass die Aktien ggf. erst zwei Tage nach dem Vertragsabschluss depotmäßig umgebucht worden seien. Auch die weitere Voraussetzung für die Annahme wirtschaftlichen Eigentums sei erfüllt: Der Besitz oder die vergleichbare, letztlich unentziehbare, Position sei in Erwartung des Eigentumserwerbs eingeräumt worden. Das streitige Aktiengeschäft entspreche den in der BFH-Entscheidung in BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527 als Geschäfte 1, 2, 7, 8 und 9 bezeichneten Geschäftsvorfällen. Hierzu hat der BFH ausgeführt, die Rückkaufsverpflichtung habe sich auf andere Aktien bezogen, die mit den hingegebenen Altaktien nicht identisch gewesen seien. Darüber hinaus sei mit Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages ein Besitzmittlungsverhältnis (§ 929 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB―) oder ein Besitzkonstitut (§ 930 BGB) zu der girosammelverwahrenden Stelle begründet worden.
Das FA geht von denselben Rechtsgrundsätzen aus, zieht daraus aber andere Schlüsse. Es nennt keine bisher unberücksichtigt gebliebenen Aspekte und wirft auch keine neuen klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf, sondern unterzieht den Sachverhalt lediglich einer anderweitigen tatsächlichen und rechtlichen Würdigung.
2. Das FA hält des Weiteren für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob § 50c Abs. 8 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr gültigen Fassung gegenüber § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) als lex specialis anzusehen sei. Der BFH stütze seine Auffassung auf die amtliche Begründung zu § 50c Abs. 9 bzw. 10 EStG i.d.F. des Standortsicherungsgesetzes (StandOG) vom 13. September 1993 (BGBl I 1993, 1569). Auch die zitierten Literaturstellen beschäftigten sich mit Äußerungen zu der späteren gesetzlichen Fassung.
Entgegen der Auffassung des FA ist der Verweis auf die BTDrucks 12/5016, S. 90 kein Versehen. In der Gesetzesbegründung zu § 50c Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. für das Streitjahr 1991 (BTDrucks 8/3648, S. 24) ist lediglich ausgeführt, der Erwerb über die Börse sei aus dem Anwendungsbereich des § 50c EStG ausgenommen worden, weil die Vorschrift in diesem Bereich nach den Gegebenheiten der Praxis nicht vollziehbar sei. Die Gründe für die Beibehaltung der Börsenklausel in § 50c Abs. 10 EStG i.d.F. des StandOG ―wenn auch in veränderter Form― gelten für die Schaffung des § 50c Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des Streitjahres gleichermaßen. Insoweit hat der BFH zu Recht auf die BTDrucks 12/1516, S. 90 verwiesen. Typische Börsengeschäfte sind danach von den Beschränkungen des § 50c EStG ausgenommen worden, weil sie von der Anonymität der Geschäftspartner geprägt seien und deshalb der Erwerber nicht erkennen könne, dass der Veräußerer nicht anrechnungsberechtigt sei. Gegen die Entscheidung des BFH in BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527, dass § 50c EStG den § 42 AO 1977 nach Tatbestand und Rechtsfolgen verdränge, hat das FA im Übrigen keine neuen, vom BFH bisher nicht berücksichtigte Argumente vorgebracht.
3. Ebenso wenig kann die Rüge des FA zum Erfolg führen, die Zulassung sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), denn der II. und IV. Senat des BFH hätten in Urteilen vom 20. November 1980 IV R 81/77 (BFHE 132, 89, BStBl II 1981, 223) und vom 13. April 1988 II R 134/86 (BFHE 153, 241, BStBl II 1988, 735) ausgeführt, die Voraussetzungen des § 42 AO 1977 seien erfüllt, wenn eine vor dem Stichtag durchgeführte Maßnahme alsbald nach dem Stichtag wieder rückgängig gemacht oder substantiell abgeändert würde. Damit stünde die Entscheidung des I. Senats in BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527, die einen vergleichbaren Sachverhalt betreffe, nicht im Einklang.
Die Entscheidung des I. Senats in BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527 steht schon deshalb nicht im Widerspruch zu den genannten Entscheidungen des II. und IV. Senats, weil der I. Senat § 50c Abs. 8 Satz 2 EStG als lex specialis gegenüber § 42 AO 1977 gewertet hat und daher zu einer eigenständigen Prüfung des § 42 AO 1977 gar nicht gekommen ist.
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Fundstellen