Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung der Anlieferungs-Referenzmenge Milch, Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
In den Fällen der Berechnung der ARM Milch für den Erzeuger ist der Einspruch nach § 34 Abs.1 Satz 5 MOG erst gegen den Bescheid des HZA nach § 10 Abs.3 MGV gegeben.
Normenkette
FGO § 44 Abs. 1; MilchGarMV § 4 Abs. 1, §§ 5, 10; MOG §§ 8, 34 Abs. 1 S. 5; AO 1977 § 348 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Milcherzeuger. Auf seinen Antrag berechnete die Molkerei (Käuferin) für den Kläger gemäß § 6a der Milch-Garantie- mengen-Verordnung (MGV) i.V.m. Art.3a Abs.1 und 2 der Verordnung (EWG) Nr.857/84 (VO Nr.857/84) des Rates vom 31.März 1984 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 90/13) i.d.F. des Art.1 Nr.1 der Verordnung (EWG) Nr.764/89 vom 20.März 1989 (ABlEG Nr. L 84/2) eine vorläufige spezifische Anlieferungs-Referenzmenge (ARM) in Höhe von 60 % der maßgebenden Prämienmilchmenge und teilte ihm dies durch Schreiben vom 21.August 1989 mit. Eine entsprechende Mitteilung erhielt der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) am 30.August 1989.
Mit Schreiben vom 5.Januar 1990, das bei der Käuferin am 10.Januar 1990 einging, legte der Kläger gegen die Festsetzung der ARM Einspruch ein und beantragte, diese auf 100 % der maßgebenden Prämienmilchmenge festzusetzen. Das HZA verwarf den Einspruch als unzulässig (Einspruchsentscheidung vom 22.Mai 1990), weil er verspätet eingelegt worden sei.
Die Klage blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) bestätigte die Auffassung des HZA, daß der Einspruch unzulässig sei, weil er verspätet eingelegt worden sei. Der nach § 348 Abs.1 Nr.2 der Abgabenordnung (AO 1977) mit dem Einspruch anfechtbare Verwaltungsakt (Feststellungsbescheid) habe in der stillschweigenden Entgegennahme der Mitteilung der Käuferin über die Referenzmengen nach § 4 Abs.5 Satz 2 MGV durch das HZA gelegen. Da dieser Verwaltungsakt nicht schriftlich ergangen sei, müsse er keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. Daher komme nicht § 356 AO 1977, sondern die einmonatige Rechtsbehelfsfrist nach § 355 Abs.1 Satz 1 AO 1977 zur Anwendung. Unter Berücksichtigung dieser Frist sei der erst im Januar 1990 eingelegte Einspruch des Klägers verfristet.
Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die stillschweigende Entgegennahme der Mitteilung der Käuferin über die ARM durch das HZA sei kein Verwaltungsakt. Falls man dennoch in dem Verhalten des HZA den Erlaß eines Bescheides sehen wolle, so sei dieser vor dem 14.Mai 1990 nicht rechtswirksam geworden, weil der Kläger erst zu diesem Zeitpunkt von der Entgegennahme der Mitteilung der Käuferin durch das HZA erfahren habe. Hilfsweise macht der Kläger geltend, daß für den nicht schriftlich erteilten Bescheid des HZA § 356 Abs.2 AO 1977 gelte, wonach der Einspruch innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig sei. Der Kläger habe auch einen Anspruch auf Festsetzung einer ARM in Höhe von 100 % der Prämienmenge. Er sei ehemaliger Nichtvermarkter. Wie der EuGH festgestellt habe, dürften die Nichtvermarkter nicht deshalb benachteiligt werden, weil sie von der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Nichtvermarktungsprämie Gebrauch gemacht hätten (EuGH-Urteile vom 11.Dezember 1990 C-189/89 und C-217/89, EuGHE 1990, I-4539 und I-4585).
Das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat im einzelnen ausgeführt, bereits die Mitteilung des Käufers nach § 4 Abs.5 MGV an den Kläger sei als Verwaltungsakt anzusehen. Der Käufer sei nach § 4 Abs.1 MGV als "beliehener Unternehmer" zum Erlaß von Verwaltungsakten ermächtigt. Er teile dem Erzeuger nach § 4 Abs.5 Satz 1 MGV die von ihm eigenverantwortlich berechnete ARM im eigenen Namen mit, darin sei die verbindliche Festsetzung der ARM zu sehen. Diese Auslegung stehe mit den ursprünglichen Vorstellungen des federführenden Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Einklang. Der in der Mitteilung der ARM an den Erzeuger zu sehende Verwaltungsakt könne von diesem form- und fristlos mit dem Neuberechnungsantrag gegenüber dem Käufer nach § 10 Abs.1 MGV und --bei Erfolgslosigkeit-- gegenüber dem HZA nach § 10 Abs.3 MGV angefochten werden. Gegen den ablehnenden Bescheid des HZA habe der Erzeuger die Möglichkeit der Beschwerde nach §§ 349 Abs.1, 357 Abs.1 AO 1977.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des Bescheides des HZA vom 22.Mai 1990. Das HZA hat zu Unrecht das vom Kläger zunächst als Widerspruch, später als Einspruch gegen die Festsetzung der ARM bezeichnete Schreiben vom 5.Januar 1990 auch formal als Einspruch im Sinne der AO 1977 gewertet und diesen wegen verspäteter Einlegung als unzulässig verworfen. Der Kläger ist dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob durch das Schweigen des HZA auf die Mitteilung der Käuferin nach § 4 Abs.5 Satz 2 MGV ein Feststellungsbescheid über die ARM zustande kommt (so die Vorentscheidung, im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats: zuletzt Senatsbeschluß vom 25.März 1986 VII B 164-165/85, BFHE 146, 188 und Senatsurteil vom 30.Oktober 1990 VII R 101/89, BFHE 162, 156; vgl. ferner FG Düsseldorf, Urteil vom 29.Juli 1992 4 K 6642/91 MOG, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1992, 750, und mit Bedenken FG Hamburg, Urteil vom 16.Januar 1992 IV 110/90 S-H, EFG 1992, 476) oder ob der Meinung des beigetretenen BMF zu folgen ist, wonach allein in der Mitteilung des Käufers an den Erzeuger über die berechnete ARM ein Verwaltungsakt zu sehen sein soll (so Schrömbges, u.a. in Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern --ZfZ-- 1992, 101 ff., ZfZ 1992, 119). § 10 MGV enthält hinsichtlich der Berechnung der ARM durch den Käufer im Rahmen des § 8 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.August 1986 (BGBl I, 1397) eine besondere Regelung. Durch sie soll erkennbar insbesondere vermieden werden, daß der Käufer Beteiligter am finanzgerichtlichen Verfahren wird. Dies kommt klarer als zuvor in der durch die Verordnung vom 6.Februar 1990 (BGBl I, 200) geänderten Fassung des § 10 Abs.1 MGV zum Ausdruck. Danach kann der Erzeuger --und zwar ohne Beschränkung auf den Fall geänderter Umstände-- auf die Festsetzung der ARM durch den Käufer jederzeit eine Neuberechnung der ARM durch den Käufer verlangen, ohne an eine Frist gebunden zu sein (§ 10 Abs.1 MGV). Wird diese abgelehnt, kann der Erzeuger --ebenfalls ohne Bindung an eine Frist-- die Überprüfung durch das HZA beantragen (§ 10 Abs.3 MGV). Rechtsbehelfsfähige Entscheidung i.S. der AO 1977 ist daher erst der Bescheid des HZA nach § 10 Abs.3 Satz 1 MGV. Diese Möglichkeit für den Erzeuger, jederzeit die Neuberechnung der ARM durch den Käufer zu verlangen, bestand auch schon vor der genannten Änderung des § 10 Abs.1 MGV. Dies folgt aus § 10 Abs.3 MGV. Danach kann der Erzeuger einen Antrag auf Festsetzung der ARM durch das HZA stellen, wenn der Käufer die begehrte Neuberechnung der ARM ablehnt. Diese Möglichkeit ist nicht, wie möglicherweise früher (§ 10 Abs.1 MGV a.F.), auf bestimmte Fälle beschränkt. Sie ist vielmehr allgemeiner Art und ermöglicht es dem Erzeuger, die Überprüfung der durch den Käufer berechneten ARM durch das HZA zu verlangen (vgl. Schrömbges, ZfZ 1991, 5, 9).
Das in § 10 MGV vorgesehene Verfahren zwingt zu der Schlußfolgerung, daß die Mitteilung des Käufers für sich allein oder auch im Zusammenhang mit dem auf sie bezogenen --schweigenden-- Verhalten des HZA jedenfalls nicht mit den in der AO 1977 vorgesehenen Rechtsbehelfen angreifbar ist.
Unter den im Streitfall gegebenen Umständen ist rechtlich allerdings nicht zu beanstanden, daß das FG die Klage --ohne nähere Begründung-- als zulässig angesehen hat. Nach der in § 10 MGV getroffenen Verfahrensregelung wäre das Schreiben des Klägers vom 5.Januar 1990 --trotz gegenteiliger Bezeichnung-- zwar richtigerweise nicht als Einspruch, sondern als Antrag auf Neuberechnung (§ 10 Abs.1 MGV) und Antrag auf Festsetzung der ARM durch Bescheid des HZA (§ 10 Abs.3 MGV) zu werten gewesen. Das HZA hätte sodann darüber nach § 10 Abs.3 MGV entscheiden und zunächst einen mit dem Einspruch gemäß § 34 Abs.1 Satz 5 MOG anfechtbaren Bescheid i.S. des § 10 Abs.3 MGV erlassen müssen. Da das HZA seine Entscheidung jedoch als Einspruchsentscheidung bezeichnet hat, geht der Senat im Streitfall davon aus, daß das HZA die schweigende Entgegennahme der Mitteilung der Käuferin als Verwaltungsakt anerkannt hat und eine Einspruchsentscheidung erlassen wollte und damit das nach § 44 Abs.1 FGO erforderliche Vorverfahren erfolglos durchgeführt worden ist. Das FG hat dementsprechend im Ergebnis zutreffend die Klage als zulässig angesehen.
Die Vorinstanz hätte die Klage jedoch nach dem zuvor Ausgeführten nicht wegen Versäumung der Einspruchsfrist abweisen dürfen. Es hätte vielmehr die zu Unrecht ergangene Einspruchsentscheidung aufheben und damit dem HZA Gelegenheit geben müssen, in verfahrensrechtlich zutreffender Weise über den Antrag des Klägers auf Neuberechnung der ARM zu entscheiden. Denn es fehlt an dem nach § 10 Abs.3 MGV vorgesehenen ursprünglichen Verwaltungsakt i.S. des § 44 Abs.2 FGO. Die Vorentscheidung kann deshalb keinen Bestand haben.
Die Sache ist entscheidungsreif. Die angegriffene Einspruchsentscheidung des HZA vom 22.Mai 1990 ist deshalb ersatzlos aufzuheben. Es bleibt dem Kläger vorbehalten, in dem nach § 10 MGV vorgegebenen Verfahren erneut eine Entscheidung des HZA in der Sache zu suchen.
Mit dieser Entscheidung geht der Senat nicht über das Begehren des Klägers hinaus. Sein Antrag ist dahin zu verstehen, daß mit ihm --jedenfalls-- erreicht werden soll, die sperrende Wirkung der "Einspruchsentscheidung" des HZA, die eine Entscheidung in der Sache verhinderte, aufzuheben. Diesem Antrag (vgl. § 96 Abs.1 Satz 2 FGO) war zu entsprechen.
Fundstellen
Haufe-Index 64590 |
BFH/NV 1993, 50 |
BFHE 171, 148 |
BFHE 1994, 148 |
BB 1993, 1208 (L) |
HFR 1993, 457 (LT) |
StE 1993, 318 (K) |