Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilung von Bekanntgabemängeln durch Einspruchsentscheidung
Leitsatz (NV)
Ist ein Bescheid über die Festsetzung von Zinsen wegen Hinterziehung von Einkommensteuer gegenüber Ehegatten nicht wirksam geworden, weil er den Ehegatten nur in einer Ausfertigung zugesandt wurde, obwohl sie einander nicht zu Empfangsbevollmächtigten bestellt hatten, so kann dieser Bekanntgabemangel durch fehlerfreie Zustellung der Einspruchsentscheidung geheilt werden. Dabei ist es unerheblich, wenn sich der Tenor der Einspruchsentscheidung in der Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet erschöpft.
Normenkette
FGO § 44 Abs. 2; AO 1977 § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 155 Abs. 1, 5, § 367 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger ist Hochschullehrer und als Chefarzt tätig. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger und selbständiger Tätigkeit. 1984 hat er für die Jahre 1980 bis 1982 bislang nicht erklärte Einnahmen angezeigt. Für die hierdurch bedingten Mehrsteuern setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) durch Bescheid vom 11. April 1985 Hinterziehungszinsen fest. Der Bescheid wurde an "Herrn und Frau Prof. Dr. ... " gerichtet und lediglich in einer Ausfertigung versandt. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. In den Gründen der Einspruchsentscheidung wurden der sich für die Jahre 1980 bis 1982 errechnete Gesamtbetrag der festgesetzten Zinsen und die zu verzinsenden Beträge für die einzelnen Jahre angegeben, nicht aber der der Verzinsung zugrunde gelegte Zinslauf und die auf die einzelnen Jahre entfallenden Zinsen.
Das Finanzgericht (FG) gab der anschließend erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 330 abgedruckten Gründen statt.
Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dessen Auffassung, der Zinsbescheid sei den Klägern nicht wirksam bekanntgegeben worden, ist unrichtig.
Das FG hat die rechtswirksame Bekanntgabe des Zinsbescheides nach der im Streitfall maßgeblichen Fassung der Abgabenordnung (AO 1977) verneint, weil er den Klägern lediglich in einer Ausfertigung zugesandt worden ist, obwohl sie sich gegenseitig nicht zum Emfpang bevollmächtigt hatten. Der Umstand, daß die Kläger beide die Einkommensteuererklärungen 1980 bis 1982 unterschrieben haben, reiche für die Annahme einer solchen Vollmacht nicht aus; diese erstrecke sich lediglich auf die Einkommensteuerbescheide und ggf. auf Bescheide über unmittelbar aus den Erklärungen oder den Steuerbescheiden resultierende steuerliche Nebenleistungen, wie die Festsetzung von Verspätungszuschlägen, nicht aber auf die Festsetzung von Hinterziehungszinsen.
Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob dem beizupflichten ist. Etwaige Mängel bei der Bekanntgabe des Zins bescheides sind durch die fehlerfreie Zustellung der nachfolgenden Einspruchsentscheidung an den gemeinsamen Bevollmächtigten beider Kläger (wobei eine Ausfertigung genügte, vgl. § 8 Abs. 1 Satz 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes) geheilt worden (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH --, vgl. z. B. BFH- Urteile vom 24. März 1987 X R 28/80, BFHE 150, 293, BStBl II 1988, 316, unter 3. der Entscheidungsgründe; vom 16. Mai 1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942; vom 14. November 1990 II R 255/85, BFHE 162, 380, BStBl II 1991, 49; vom 18. Dezember 1991 XI R 42, 43/88, BFHE 167, 347, BStBl II 1992, 585; vom 15. September 1992 VIII R 20/89, BFH/NV 1993, 576; Beschluß vom 12. November 1992 XI B 69/92, BFHE 170, 106, BStBl II 1993, 263). Gegenstand einer Anfechtungsklage ist der ursprüngliche Bescheid in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat. Der ursprüngliche -- unwirksame -- Verwaltungsakt ist demgemäß nur in der Gestalt der -- wirksamen -- Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. § 44 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Wie der BFH wiederholt entschieden hat, ist es dabei unschädlich, daß der Tenor der Einspruchsentscheidung sich in der Zurückweisung des Einspruchs erschöpft. Denn durch die Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet wird der ursprüngliche Verwaltungsakt inhaltlich bestätigt, dessen Existenz und Inhalt dem Einspruchsführer -- wie auch im Streitfall den Klägern -- vor Einlegung des Einspruchs notwendig (und ohne, daß es hierzu besonderer Feststellungen bedürfte) bekannt war (BFH-Urteile vom 5. Dezember 1990 II R 109/86, BFHE 163, 223, BStBl II 1991, 181; vom 26. März 1991 VIII R 20/91, BFH/NV 1991, 793; in BFHE 167, 347, BStBl II 1992, 585; vom 10. Dezember 1992 IV R 136/91, BFH/NV 1993, 577). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.
Die Vorinstanz ist von einer abweichenden Rechtsauffassung ausgegangen. Ihr Urteil war deshalb aufzuheben. Der Senat kann nicht durcherkennen. Es fehlen vor allem tatsächliche Feststellungen dazu, ob die Kläger Steuern hinterzogen haben. Das FG wird die erforderlichen Feststellungen im 2. Rechtsgang nachzuholen haben. Die Sache wird dazu zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen